Jede Generation die gleiche Scheiße

"Deutschlandbilder - Kunst aus einem geteilten Land". Der Autor sprach mit dem Ausstellungskurator Eckhart Gillen

Herr Gillen, sind Sie links?

Ich würde sagen, sozial und liberal im linken Spektrum, aber nicht dogmatisch oder parteigebunden. Ich komme aus Karlruhe, aus einer katholischen Familie. Mein Vater war Lyriker, Theater- und Kunstkritiker. Er sagte immer: Im Herzen ist man Sozialist, aber in der Praxis läuft es anders.

Machen Sie eine derart thematisch vorbelastete Ausstellung eigentlich freiwillig?

Ja, wobei ich das "Deutschland"-Thema immer gemieden habe. Als ich Ende 1966 in Heidelberg zu studieren anfing, bin ich schnell in die Studentenbewegung reingerutscht. Bei uns im kunstgeschichtlichen Institut waren die geschichtsphilosophischen Thesen von Benjamin sehr wichtig. Die Universität wurde geschlossen, und wir haben jeden Tag demonstriert. Die ersten Fraktionen entstanden: Kritische Theorie, Frankfurter Schule und die dogmatische Ausrichtung. Überlegungen tauchten dann auf, was man eigentlich mit der Kunstgeschichte machen soll. Ich studierte noch Soziologie am besetzten "Rosa Luxemburg"-Institut. Nachts hörte man den Polizeifunk ab. Man hat Texte gelesen. Benjamin war für mich wichtiger als Marx, in dessen "Kapital" ich recht bald steckengeblieben bin. Viele Monate lang haben wir Studenten Seminare für uns gemacht. So fing es an. Hinzu kam, daß ich schon in Karlruhe Kontakt zu Karl Hubbuch und seinen Schülern hatte.

Das war die erste Brücke in die DDR. Noch als Schüler bin ich nach Ost-Berlin gefahren. Damals faszinierte mich die Idee einer Verbindung von Kunst und Leben, später fing ich an, Kunstkritiken zu schreiben. Mich interessierte, was in der DDR künstlerisch passierte. Zu dem Thema gab es gar nichts, absolute Terra incognita. 1971 wollte ich für ein Jahr nach West-Berlin, wo ich dann geblieben bin. Mir wurde klar, daß die DDR-Kunst im Grunde nur die Travestie der Revolutionskunst und des Konstruktivismus war. Daraufhin habe ich mich jahrelang mit den Anfängen der Avantgarde 1917 beschäftigt, mit dem russischen Bauhaus, mit Majakowski und später mit Amerika. Mit Deutschland hatte ich nichts am Hut.

In Ihrem Katalogtext wimmelt es von Begriffen wie "Nation", "Identität" und immer wieder "Deutschland". Genau um diese Begriffe geht es in der Diskussion der Neuen Rechten. Fühlen Sie sich in einem solchen Kontext heimisch?

Nein, ich habe meine Biographie erzählt, um zu zeigen, daß ich als Jahrgang 1947 ein solches Thema gemieden habe. Bei vielen Atelierbesuchen Mitte der achtziger Jahre bei Künstlern in der DDR stellte sich heraus, daß sie nicht über den Kommunismus, sondern über den Antifaschismus dazu gekommen sind, daß sie sich als deutsche Künstler in bestimmten Traditionen sahen. Ich hatte Interesse an der Frage, warum deutsche Kunst so belastet ist durch Politik, warum sie immer sublimieren oder kompensieren muß.

Wer sagt denn, daß die deutsche Kunstgeschichte durchweg politisch belastet ist?

Wenn man sieht, mit welchen Vorstellungen z. B. die Künstler des "Blauen Reiters" oder der "Brücke" in den Ersten Weltkrieg gezogen sind, dann war das schon sehr politisch: der Vitalismus, vor allem die Begriffsbildung deutscher Kultur gegen westliche Zivilisation. Diese Polarisierung ist heute noch aktuell. Hans Jürgen Syberberg, Christa Wolf oder Stefan Heym: Sie alle operieren mit einem anti-westlichen Affekt. Diese Trennung, die vielleicht bis auf die Reformationszeit zurückgeht - Innerlichkeit und innere Freiheit, Obrigkeit und Untertänigkeit -, hat sich auch auf die Kunst ausgewirkt und verhindert, daß Kunst ein normaler gesellschaftlicher Bereich wurde. Während die Franzosen Revolution machen, schreibt Schiller ästhetische Briefe ans Menschengeschlecht. Freiheit und Staat kamen in Deutschland nicht zusammen. Die Revolutionäre von 1848 waren Patrioten und zugleich Demokraten, und das "Kommunistische Manifest" sagt ja, Deutschland soll ein einig Land sein, eine Republik. Was wir als "Nation" bezeichnen, ist total mißglückt, beginnt in Versailles und endet 1945 in der totalen Zerstörung. Dazwischen lagen ein paar Jahre Weimarer Republik, wobei Hindenburg bereits die Weichen gestellt hat für das, was hinterher kam.

Die deutsche Situation ist extrem in Vergleich zu kaufmännisch-pragmatischen Nationalstaaten wie Frankreich oder England, und sie ist in der Kunst auch gut zu sehen. Was ich zeigen will, ist nicht die Entwicklung der deutschen Kunst nach 1945 an sich. Mich interessiert Kunst in Bezug zur Gesellschaft und zum Politischen.

Wer sind überhaupt Ihre Adressaten? Junge Leute interessieren sich mehr für Dr. Motte als für die DDR. Kann es nicht sein, daß der Begriff der Nation längst kein Tabu mehr ist, wie Sie annehmen, sondern ein historisches Auslaufmodell geworden ist?

Natürlich ist die Nation ein Auslaufmodell geworden, weil wir den Weltmarkt, die Globalisierung und die EG haben. Aber für Franzosen ist es einfacher, sich auf ein solches Modell einzulassen, als für die Deutschen, die absolut nicht wissen, was sie mit sich anfangen können. In Deutschland gibt es eine Tradition von Selbstzweifel und Selbsthaß, was für die Nachbarn sehr unangenehm ist. Die Deutschen haben kein Verhältnis zu ihrer Geschichte - ein typisches Phänomen der Bundesrepublik der fünfziger Jahre. Die eigentliche Auseinandersetzung begann erst durch die Studentenbewegung. Der Titel "Deutschlandbilder", der von einem Künstler stammt, sagt ja, daß es kein festgefügtes Deutschland-Bild gibt, sondern viele Bilder.

Mit dem Untertitel "Kunst aus einem geteilten Land" suggerieren Sie aber schon, daß die Scherben der deutschen Teilung zu einem gesamtdeutschen Mosaik zusammengefügt werden sollen.

Das stimmt nicht. Die Ausstellung besteht aus harten Brüchen und Wendungen. Das Thema ist ja nicht an den Haaren herbeigezogen, die Künstler arbeiten daran. Es scheint so zu sein, daß der rote Faden in der Situation nach 1945 die mentale Auseinandersetzung der Künstler mit dem Thema ist. Ich glaube nicht, daß die Ausstellung Ost und West schön zusammenfügt zu einem gesamtdeutschen Panorama. Im Gegenteil, das Thema steht hart im Raum. Der Untertitel "Kunst aus einem geteilten Land" hat mich auch lange gestört, denn der Beginn der Ausstellung ist 1933 und nicht 1945. '45 ist die Konsequenz von '33. Der Zivilisationsbruch beginnt '33. Der Untertitel ist mehr eine Metapher für das Geteiltsein überhaupt. In "Deutschlandbilder" soll nicht die deutsche Teilung aufgehoben werden. Am Ende sind alle Fragen offen, denn Künstler geben in ihren Arbeiten keine Antworten, sie legen den Finger in die Wunde. Sie verstören und irritieren. Für Leute, die wieder die Nation pflegen wollen, wird diese Ausstellung eine Faust aufs Auge sein.

Dürfen wir uns also auf eine schrille Rocky-Horror-Picture-Show der deutschen Geschichte freuen?

Mir wurde vorgeworfen, die Ausstellung sei eine Trauerveranstaltung, ein Requiem. Aber es gibt sehr viel Sarkasmus, Wut und Witz, z. B. bei Oehlen, Büttner, Kippenberger, Polke und Lewandowsky. Pathos ist höchstens um '45 ein Thema gewesen, auch bei den Atheisten Hans Grundig oder Horst Strempel. Ansonsten haben wir eher böse Bilder, z. B. das "Pandämonische Manifest" von Baselitz und Schönebeck. Dieses ganze Kapitel heißt "Manifestation der vaterlosen Generation". Danach folgt die "Phänomenologie des Verdrängten". Jeder Raum ist ein Wechselbad der Zeit und der Gefühle. Jede Generation wird sozusagen mit der gleichen Scheiße konfrontiert und muß neu damit umgehen.

Martin Kippenberger malt sein Bild "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken". Anselm Kiefers Auseinandersetzung mit der deutschen Scholle wird im Raum "Deutschlands Geisteshelden" von Diter Rots Beethoven-Köpfen aus Schokolade in einer Zinkwanne irritiert. Georg Herold taucht in verschiedenen Räumen auf, mit seinen Duftstoffen für die Stasi-Hunde, mit dem Dürer-Hasen, mit der Hitler-Rede zur entarteten Kunst, davor eine Figur von Otto Freundlich aus dem Jahre 1934. Überall in der Ausstellung sind Brechungen. Ich mache keinen Heldensaal wie im Museum Ludwig.

Um zu belegen, daß die Protestbewegungen in Nachkriegsdeutschland auf die Nazi-Vergangenheit und das Tabu der Nation zurückgehen, berufen Sie sich auf Gottfried Benn, Ernst Nolte und Hans Jürgen Syberberg, der die Sache so sieht: "Die Russen haben die Deutschen vergewaltigt, die Amerikaner haben ihnen Schokolade angeboten, da haben sie freiwillig die Beine breit gemacht." Sind Ihnen solche Kronzeugen nicht peinlich?

Man kann sie als peinlich empfinden oder nicht, sie gehören zu den "Deutschlandbildern". Syberbergs Hitler-Film oder Kiefers mythologische Recherchen sind für das Thema zentral. Beide sagen, daß die Nazis viele Dinge besetzt haben, die, wären sie nicht durch ihre Hände gegangen, durchaus auch etwas Positives haben können. Diese Kontaminierung durch die Nazis führte dazu, daß z. B. die Nachkriegsarchitekten den Heimatbegriff im Wohnungsbau überhaupt nicht mehr wollten. Egon Eiermann sagte im Darmstadter Gespräch 1951: Meine Heimat ist die Welt, mir ist egal, ob sich die Leute in meinen Bauten wohlfühlen. 1934 hat er für Hitler die Ausstellung "Gebt mir vier Jahre Zeit" unterm Funkturm gemacht. Diese Geschichtsverleugnung und -auslöschung findet man in Deutschland immer wieder. Goebbels, Schüler von Gundolf, steht vor dem zerstörten Berlin und sagt: Endlich sind die letzten Reste dieser Zivilisation, des Materialismus zerstört, jetzt können wir alles neu bauen. Friedrich Gundolf sagt 1914: Kultur ist Wandlung, Schöpfen und Zerstören, wer schöpferisch ist, wie die Deutschen, hat das Recht zu zerstören, um neu anzufangen.

Das ist die Haltung der fünfziger Jahre, die sich auch in der Kunst ausdrückt. Dagegen haben sich Künstler wie Baselitz oder Kiefer gewandt. Ich kann nicht ein Phantom sein wie in Huxleys "Brave New World". Ich habe nie Urlaub in Deutschland gemacht und ich war stolz darauf, wenn man zu mir sagte: Du siehst gar nicht typisch deutsch aus. Mit so einer Haltung kann man nicht alt werden. Dieses Problem sieht man auch an den Emigranten. Sie haben sich schwer getan, Englisch zu lernen. Sie haben Schiller und Nietzsche gelesen, Beethoven und Wagner gehört. Man kann Wagner nicht verleugnen, nur weil er kontaminiert ist.

Ich glaube, daß die Ausstellung eine Position gegen diese Selbstverleugnung bezieht. Auch wenn mir vieles aufstößt, was Syberberg vor allem nach dem Mauerfall formuliert, ich sehe ihn auf der gleichen Ebene, wie vieles, was mir in der DDR aufstößt, die Innerlichkeit, die Kunstfrömmigkeit, der antiamerikanische Affekt, den ich nicht teile. Dieser unbedarfte Anti-Amerikanismus, auch in der Studentenbewegung, hat mich immer gestört.

Also sehen Sie sich als Chronisten, der seinen Landsleuten die Selbstverleugnung unter die Nase reiben will?

Ich mache diese Ausstellung als gebranntes Kind, das die sechziger Jahre erlebt hat.

Syberberg argumentiert nicht nur anti-amerikanisch, sondern auch anti-sowjetisch und antisemitisch, um in einer plumpen Dialektik auf das deutsche Kulturerbe zu kommen, das verteidigt werden muß. Dieser Position verschaffen Sie eine breites Forum.

Syberberg schreibt keinen Aufsatz im Katalog, ich zitiere ihn nur im Vorwort, um die Ambivalenz zu zeigen. Syberberg ist Erbe des ästhetischen Fundamentalismus. Das gilt auch für Botho Strauß. Ich zitiere beide in dem Sinne, daß sie, ohne es zu wissen, die falsche Therapie für ein offensichtliches Problem vorschlagen. Ich teile nicht die Therapie, aber die Diagnose des ästhetischen Fundamentalismus, die Atomisierung, die Massengesellschaft, etc. Ich zeige, daß sie die Position des George-Kreises vertreten, daß sie wieder zurückfallen auf dem Stand des 1. August 1914.

In bezug auf die Nazi-Vergangenheit sprechen Sie von einer "kollektiven Amnesie" und einer "kollektiven Lebenslüge" der Deutschen. Erst Bundespräsident Roman Herzog habe damit aufgeräumt, indem er anläßlich des 50. Jahrestages des Warschauer Aufstands am 1. August 1994 die Polen um Vergebung bat für das, "was ihnen von Deutschen angetan worden ist" und nicht für das, was "in deutschem Namen" geschah. Mit dieser feinen Ausdifferenzierung wird eine rechtsstaatliche Verantwortlichkeit pulverisiert, nur deshalb kann die CSU Schlesien zurückfordern.

Davor hieß es, Hitler und die Nazis hätten eine Fremdherrschaft über die Deutschen geführt, sie manipuliert. Insofern ist die Aussage von Herzog positiv. Die Polen haben auf so einen Satz gewartet. Er ist spät genug gekommen. Daß diese Aussage weitere politische Implikationen hat, will ich nicht ausschließen. Aber ich kann nicht zu sehr auf die Vergangenheitspolitik eingehen. Dafür haben wir eine eigene Ausstellungszeitung, die ausschließlich den politischen Umgang ab 1945 mit der Geschichte behandelt.

Sie bezeichnen die RAF als "Todesspiel". Die Terroristen kompensierten das Versagen ihrer Eltern in der Nazi-Diktatur, schreiben Sie. In dieses simple Erklärungsmuster wird auch die APO gepreßt. Ist Geschichte nichts weiter als Psycho-Therapie? Nehmen Sie die politischen Forderungen der Studentenbewegung gar nicht ernst?

Die Motive kann man von den politischen Forderungen gar nicht trennen. Die Auseinandersetzung mit den Eltern hat stark zur Politisierung beigetragen. Die 68er kann man nicht auf einen Punkt bringen. Daß '68 überhaupt den Beginn einer demokratischen, republikanischen Entwicklung war, ist völlig unbenommen. In dem Fall ging es mir um den "Stammheim"-Zyklus von Richter. Ihm wurde immer wieder vorgeworfen, daß er nicht die Opfer darstellt, sondern nur die Täter. Er identifiziert sich politisch nicht mit der RAF, er sieht, daß sie zu Tätern werden und daß sie selber Opfer geworden sind. Wozu die Väter - die Täter - nicht stehen, setzt sich unbewußt fort.

Daß Schleyer ein SS-Mann war, hat Symbolkraft. Die RAF ist nicht repräsentativ für die Studentenbewegung, sondern ein Seitenzweig mit einem leider sehr unkritischen Sympathisantenfeld. Ich kann mich noch sehr gut an die Debatten in unserer Wohngemeinschaft erinnern. Ich stand mit meiner Meinung sehr isoliert da und war trotzdem sehr bewegt, als ich die Nachricht vom Tode Ulrike Meinhofs hörte. Ich war hin- und hergerissen. Was Meinhof in den sechziger Jahren publizistisch gemacht hatte, war ja gerade nicht sektiererisch. Das ist ein schwieriges Feld.

Was mich immer daran gestört hat, ist, daß Leute, die nie in Amerika waren, so anti-amerikanisch waren. Die Amerikaner haben trotz Rassismus keinen Faschismus gehabt, sie haben "New Deal" mit planwirtschaftlichen Zügen gemacht. Dabei hatten sie genau diesselbe Wirtschaftskrise wie wir in Deutschland. Richter entwickelt eine Sympathie für die RAF und zeigt sie in ihrem Scheitern, das aber nicht kriminell ist. Die Dresdener Bank zog die Unterstützung für das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt zurück, als die Bilder ausgestellt wurden. Diese Thematik ist immer noch aktuell. Was über die RAF gelaufen ist, wurde in das gesamte linke Spektrum übertragen. Deshalb habe ich Ernst Nolte zitiert, der sagt: Wir müssen nicht '33 bewältigen, sondern '68 - eine Aussage aus den achtziger Jahren, die sehr zu denken gibt. Aber Gott sei Dank ist die geistig-moralische Wende nicht gelungen.

Problematisch finde ich Ihren Umgang mit Gerhard Richters "RAF"-Zyklus. Sie unterstellen den "politischen Gefangenen", mit Begriffen wie "Isolationshaft" und "Isolationsfolter" Sympathien unter Intellektuellen erzwungen zu haben. Richters Gemälde würden "die priviligierten Haftbedingungen" zeigen. Dagegen berichtet Irmgard Möller, die einzige Überlebende der Stammheimer Todesnacht von 1977, minutiös von der Psychofolter durch mehrmalige Leibesvisitationen täglich oder durch permanente Beobachtung. Ist es nicht zynisch, Richters Gemälde als Beweismittel gegen Möller ins Feld zu führen?

Mit dem Begriff der "Isolationsfolter" wurde schon ein unglaublicher Druck gemacht, dem auch ich aufgesessen bin. Ich denke, man muß Abstriche machen. Bis zur fingierten Ermordung der Gefangenen wurde mit solchen Begriffen ganz bewußt Politik gemacht. Eine fatale Politik, die nicht aufgehen konnte. Diese Anmaßung der RAF, für das Volk zu sprechen. Es war ein Wahn, der unpolitisch war, der sehr viel mit der deutschen Mythologie zu tun hat, mit den Nibelungen, ein Wahn, dessen Ausformung durch die RAF ohne die deutsche Geschichte in einem anderen Land nicht denkbar ist. Das geht bis hin zur Äußerung Ulrike Meinhofs 1972 anläßlich der Ermordung jüdischer Sportler durch ein Palästinenser-Kommando während der Olympischen Spiele in München, Israel sei ein faschistischer Staat. Dieser Extremismus ist schon sehr deutsch. Künstler sind nicht schlauer als wir alle, sie sehen nur stellvertretend für uns. Karl Hofer hat 1933 den "Mann in den Ruinen" gemalt, aber in der realen Politik und im realen Leben hat er danebengelangt - in seiner politischen Einschätzung oder wie er mit seiner Frau umging. Mitten im Krieg bezeichnete er Roosevelt als Krüppel und Churchill als versoffen. Die Künstler stellen Fragen, sie wissen nicht die Wahrheit. Ihre Bilder sind zerbrochene Spiegel, in denen wir uns selbst sehen.

Aha. Hat eigentlich ein Künstler abgesagt?

Nicht, daß ich wüßte. Es gab Künstler wie Carlfriedrich Claus, der zuerst nicht wollte, sich aber dann sehr engagiert hat.

Hat sich ein Künstler gegen die deutsche Thematik gewehrt?

Mit Frau Nay gab es Korrespondenzen und Gespräche. Sie meint, daß die Kunst der Nachkriegszeit wiedergutgemacht hat, was die Politik verdorben hat. Georg Baselitz hat zuerst gesagt, er sei kein deutscher Künstler.

Heutzutage scheinen Künstler alles mitzumachen.

Ich weiß es nicht. Es gab sehr viele Gespräche. So glatt war es nicht. Die meisten Gespräche habe ich mit Künstlern geführt, dann mit Leihgebern, die sehr genaue Begründungen haben wollen. Diese Gespräche haben die Ausstellung stark geprägt, auch was die Ost-West-Auseinandersetzung im Beirat mit Eugen Blume, Klaus Werner und Matthias Flügge angeht.

Sie stellen west- und ostdeutsche Künstler polar gegenüber, Hartung und Glöckner, Hofer und Grundig, Dix und Strempel, Uecker und Altenbourg, Baselitz und Ebersbach, Immendorff und Penck, Polke und Lewandowsky. Wird Geschichte ausschließlich von Männern gemacht?

Diese Frage hat sich sehr früh gestellt. Das ist wirklich auffallend, daß wir nur vier Frauen in der Ausstellung haben, Hanne Darboven, Astrid Klein, Rosemarie Trockel und Eva Hesse. Das hat natürlich nichts damit zu tun, daß ich mit Künstlerinnen nicht zusammenarbeiten will. Da kann man nur spekulieren. Offenbar ist diese Thematik wahrscheinlich doch eher bei Männern und weniger bei Frauen von Interesse gewesen. Ich weiß es nicht. Es gibt natürlich Künstlerinnen, die hätten dabei sein können. Mit Katharina Sieverding haben wir bis zum Schluß diskutiert. Sie hat ihre großen Auftritte in diesem Jahr, und es war nicht zwingend. Bei Rebecca Horn habe ich Probleme, wenn sie einen Koffer, mit einem Judenstern drin, wie einen Jahrmarktseffekt einfach auf- und zuklappen, hoch- und runterlaufen läßt. Ihre Arbeit in Münster, die auch in so einen Zusammenhang gehört mit dem SA-Bunker, hat mich überhaupt nicht überzeugt und man kann sie auch nicht übertragen. Das hat aber nichts damit zu tun, was sie sonst macht. Es ist nicht so, daß ich mich nicht bemüht hätte, aber es ist offenbar ein Thema, das wohl mehr Männer besetzt haben.

Gegenbeispiel: Wo hat sich denn ein Künstler wie Andreas Slominski jemals mit einem solchen Thema beschäftigt?

Wir haben seinen Glückspfennig, den er in Buchenwald gefunden hat, und wir haben einen Ofen von ihm mit dem Haufen Astgabeln, daneben Kippenbergers Bild "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken". Zu Slominski gibt es einen schönen Katalogtext von Durs Grünbein, den ich nicht vorwegnehmen will.

Die "Deutschsein"-Ausstellung 1992 in der Düsseldorfer Kunsthalle hat heftige Proteste hervorgerufen. Befürchten Sie nicht Störaktionen oder Anschläge?

Das ist eine Frage der Politik, nicht der Kunst. Natürlich gibt es einen Affekt gegen Deutschland. Das ist sozusagen der Fettfleck, auf dem Kohl sitzt. Dieser Affekt ist typisch deutsch und durchzieht die ganze deutsche Geschichte. Es geht nicht darum, mit dieser Ausstellung ein neues Deutschlandbild zu zimmern. Der Vorteil von Berlin ist immer gewesen, daß man gerade hier diskutiert, Dinge in Frage stellt und sich mit Deutschland anders auseinandersetzt. Der Ausstellungsort mit dem Gropius-Bau, der Topographie des Terrors, dem Luftwaffenministerium ist symbolträchtig. Aus dem Idyll in Baden und Heidelberg kommend, habe ich in Berlin die Spuren der Geschichte gesehen. Aber es geht mir um Kunst und nicht darum, Kunst zu benutzen, um irgendwelche Ideologiegeschichte abzuhandeln. Es gibt nicht so etwas wie ein "deutsches Wesen" oder eine "deutsche Kunst", deshalb wird die Ausstellung sie auch nicht zeigen.

Nach "Deutschlandbilder" wird der Martin-Gropius-Bau für die Dauerausstellung "Einigkeit und Recht und Freiheit" der Bundesregierung umgebaut. Ist Ihre Ausstellung nur das Vorspiel für eine allumfassende Neukonstruktion der deutschen Nation?

Ich hoffe nicht. Ich hoffe, daß die Ausstellung die Vorstellung austreibt, Kunst sei der Kitt zwischen Ost und West und würde gutmachen, was die Politik verdirbt. Die Ausstellung kann das nicht bedienen. Das wird keine Repräsentationsausstellung, mit der man sich schmücken kann. Die Kraft der Kunst liegt doch darin, daß sie die Brüche, die Widersprüche, die Irritationen zeigt. Wenn sie nur noch der Schmuck, der Dekor, das Sahnehäubchen wäre, dann brauche ich auch keine Ausstellung mehr zu machen.

"Deutschlandbilder - Kunst aus einem geteilten Land", 7.September 1997 bis 11.Januar 1998, Martin-Gropius-Bau, Berlin-Kreuzberg, Stresemannstr.110, Di-So 10-20 Uhr, Katalog DM 42