Wer zahlt, schafft an

Deutschland will nicht nur als "Zahlmeister" Europas, sondern als Europameister anerkannt werden

Das Bonner Klagen, Deutschland leiste überhöhte EU-Beiträge - spottete der britische Economist letzte Woche - erinnere an Margaret Thatchers Lamento in den achtziger Jahren. Doch wenn Finanzminister Theo Waigel heute damit droht, die seiner Ansicht nach zuviel gezahlten Gelder von den EU-Behörden zurückzufordern, geht es genau genommen nicht um die paar "pfennigs", sondern darum, diese in politisches Kapital umzumünzen.

Noch im Vorfeld des Amsterdamer EU-Gipfels vergangenen Juni hatte das Bonner Außenministerium selbst ausführlich begründet, daß "der deutsche Finanzierungsanteil am EU-Haushalt leistungsgerecht" sei, da er mit knapp 30 Prozent "in etwa der Höhe unseres Anteils am Bruttosozialprodukt der Union entspricht". Wichtiger als dieser rein finanzielle Gesichtspunkt sei aber "der wirtschaftliche und politische Nutzen", den Deutschland aus seiner EU-Mitgliedschaft ziehe, etwa im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung. Vor allem aber seien die engen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen in der EU die Voraussetzung dafür, "um im Wettbewerb mit Nordamerika und Asien bestehen zu können".

Der direkte Zusammenhang zwischen Beitragshöhe und politischem Einfluß geht auch aus einem 1992 mit der EU geschlossenen Vertrag hervor, in dem Deutschland zusätzliche Sitze im Europäischen Parlament zugestanden und Frankfurt am Main als Sitz der künftigen Europäischen Zentralbank festgelegt wurde.

Dem bis 1999 geltenden sogenannten Eigenmittelbeschluß, durch den der EU-Rat die Beiträge der einzelnen Mitgliedsstaaten festlegt, haben 1994 Bundestag und Bundesrat - auch die Vertreter Bayerns, die populistischen Wortführer der Anti-Europa-Front - zugestimmt. Worum es den Bayern in Wirklichkeit geht, ist einer Pressemitteilung des damaligen Leiters der Bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber, vom Sommer 1995 zu entnehmen, in der er die von den EU-Außenministern ins Auge gefaßte Steigerung der Finanzhilfen für die Mittelmeer-Anrainerstaaten Nordafrikas als "völlig inakzeptabel" kritisierte: "Die Integration der osteuropäischen Länder muß eindeutig Vorrang haben. Das muß auch in Förderfragen zum Ausdruck kommen. Prag und Warschau stehen uns näher als Tunis oder Algier." Mit Hinblick auf die hohen Zahlungen Deutschlands in die EU komme es darauf an, "die Prioritäten richtig zu setzen".

Die Logik ist schlicht: Wenn Deutschlands Anteil an der Finanzierung des EU-Haushalts den Frankreichs um mehr als das Siebenfache übertrifft, ist die EU-Ost-Erweiterung auch um mehr als das Siebenfache bedeutender als die Förderung nordafrikanischer Staaten. Man erinnere sich, wie Verteidigungsminister Volker Rühe Anfang 1996 der französischen Regierung wegen der Abschaffung der Wehrpflicht vorwarf - im "deutlichen Unterschied" zu Deutschland -, "seine erste Priorität" außerhalb des Kerngebiets von Europa zu sehen und somit die "Bündnisverteidigung" (die "Ostfront") zu vernachlässigen. In der Folge strich Rühe die Titel aus dem Bundeswehrhaushalt, die das deutsch-französische Projekt eines Aufklärungssatelliten betrafen, da diesem angesichts der knappen Kassenlage keine "Priorität" zukomme.

Die EU-Ost-Erweiterung, neben der Vorbereitung auf den "weltweiten Wettbewerb der Produkte, Arbeitskosten und Wirtschaftsstandorte" eine der "zwei großen, alle anderen Aufgaben überragenden Herausforderungen" (Positionspapier des Auswärtigen Amts), wird teuer, soll aber ohne Beitragssteigerungen finanziert werden, so der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Kurt Falthauser, Ende Februar dieses Jahres.

Statt dessen sollen die Fördermittel des EU-Struktur-/Ausgleichsfonds, die zur Zeit vor allem den wirtschaftlich schwächeren Mitgliedsstaaten mit einem starken Anteil landwirtschaftlicher Produktion wie Griechenland oder Portugal, insgesamt rund 50 Prozent der Bevölkerung Europas zugute kommen, umgeleitet werden. Statt nach dem "Gießkannenprinzip" und "planwirtschaftlich von oben herab" sollen die Gelder in Zukunft nach dem "Subsidiaritätsprinzip" verteilt werden.

Im Klartext heißt das: Die Betroffenen werden mit einer fünfzigprozentigen Eigenbeteiligung zur Kasse gebeten. So soll erreicht werden, daß einzelne Regionen in Zukunft "gemäß ihrenPrioritäten" erst selbst aktiv werden müssen, bevor sie Unterstützung erhalten. Damit wären die wirtschaftlich schwächeren Regionen von der Hilfe ausgeschlossen. Eine Reform der europäischen Agrarpolitik, die in

erster Linie die Stützung der Preise landwirtschaftlich erzeugter Produkte abschaffen soll, würde diesen Trend fortsetzen.

Wie die so ersparten Gelder auf diesem Weg schließlich in die bevorzugten Regionen Osteuropas gelangen würden, verdeutlichte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber im Mai 1996 auf der Bayreuther Konferenz "Gemeinsam gestalten im Grenzraum Ost-West".

Die Grenzregionen könnten die "Speerspitze" der "Wiedervereinigung Europas" stellen, wenn sie ihre jeweiligen Vorteile zusammenführten: "Know how für Spitzenprodukte einerseits und kostengüstiges Lohnniveau andererseits."

Der Vorteil für Bayern, das bereits federführend beim Aufbau grenzüberschreitender Strukturen vor allem im bayerisch-tschechischen und tschechisch-polnischen Raum engagiert ist, wäre nicht von der Hand zu weisen. Schon jetzt wird zum Beispiel der Ausbau der Infrastruktur in diesen sogenannten Euro-Regionen mit EU-Geldern gefördert. Eine solche Euro-Region könnte nun eine weitere, projektbezogene Förderung aus den Töpfen des EU-Strukturfonds beantragen und erhielte das Projekt zu 50 Prozent aus dem EU-Haushalt finanziert.

Ein an dem Projekt beteiligtes bayerisches Unternehmen mit dem entsprechenden Know how könnte neben einem kostengünstigen Lohnniveau auch noch mit der Rückzahlung der Hälfte seiner Investitionskosten rechnen.