Deutschmark unter Spekulationsdruck

Der starke Dollar stellt die Kaltblütigkeit der Bundesbank auf die Probe

Der spektakuläre Kursverfall der Mark hält scheinbar unaufhaltsam an. Als der Dollar in der zweiten Juliwoche für 1,76 Mark getauscht wurde, sah Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer bereits das Ende der "Währungskorrektur" gekommen; eine Woche später mußten bereits 1,80 Mark je Dollar bezahlt werden. Am 5. August wurden auf den internationalen Finanzmärkten erstmals 1,88 Mark für einen Dollar verlangt. "Wenn der Dollar über die Marke von 1,90 steigt", prophezeite darauf Willi Leibfritz, Chefökonom des Ifo-Instituts, "werden in Frankfurt die Alarmglocken läuten."

In Frankfurt am Main, dem Sitz der Deutschen Bundesbank wie der zukünftigen Europäischen Zentralbank, bereiten die Geldfürsten bereits Gegenmaßnahmen vor. Zwar werden seit Wochen vor allem in der internationalen Presse lancierte Spekulationen, man plane den Wertverlust der Mark durch Zinserhöhungen zu kontern, offiziell bestritten, doch äußerte der Chefökonom der Bundesbank, Otmar Issing, schon Ende Juli Sorgen über den "möglichen inflationären Effekt" der derzeitigen Situation. Die Formulierung, es gebe "keinen automatischen Zusammenhang" zwischen Dollarkurs und Zinsraten, klingt jedenfalls nicht nach einem glaubwürdigen Dementi.

Das Zögern offenbart allerdings mehr als nur taktische Finesse. Sollte es sich bei den ersten Andeutungen möglicher Zinserhöhungen nach der letzten Sitzung des Zentralbankrats im Juli tatsächlich nur um einen "Bluff" gehandelt haben, wie die Financial Times vermutet hatte, so weiß man mittlerweile zumindest, daß sowas auf den Finanzmärkten wenig Eindruck macht. Tatsächlich ist die Herausforderung, der sich die Bundesbank gegenüber sieht, nicht ohne, zumal der Angriff nicht nur gegen die Mark, sondern auch gegen die geplante gemeinsame europäische Währung, den Euro, gerichtet ist. Gelingt es den Devisenhändlern, die faktische europäische Ankerwährung, die Mark, vom Kurs zu bringen, ist bewiesen, was sowieso schon alle vermuten: daß der Euro so weich wie französisches Weißbrot wird. Neben dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung sowie der Krise in Japan ist es vor allem die Erwartung eines instabilen Euro, der die Spekulanten hin zum Dollar und weg von der Mark treibt.

Die Konfusion wird auch dadurch nicht geringer, daß die Bundesbank selbst seit langem nichts anderes erwartet. Ihre bisher schon wenig erfolgreiche Strategie, das Euro-Inflationsrisiko durch die Einengung des Teilnehmerkreises zu verringern, hat durch die Schwäche der Mark zusätzliche Überzeugungskraft eingebüßt. Schon um seine Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, muß Tietmeyer also etwas unternehmen. Eine Entscheidung über erste Zinserhöhungen wird spätestens für die nächste Sitzung des Zentralbankrats am 21. August erwartet. Koste es, was es wolle. Schließlich würden höhere Zinsen das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum weiter belasten, da die Unternehmen kaum verteuerte Kredite für Investitionen akzeptieren dürften. Mit schwerwiegenden Folgen für den Bundeshaushalt: Sinkenden Steueinnahmen stünden steigende Ausgaben wegen der erhöhten Arbeitslosigkeit gegenüber.

Allerdings entspräche ein solcher Bundesbank-Kurs ihrer Philosophie, wonach die Geldwertstabilität vor allen anderen Zielsetzungen, etwa der Vollbeschäftigung, rangiere. Die französischen Vorschlägen beinhalten das Gegenteil: die künftige Europäische Zentralbank solle sich den politischen Richtlinien einer "Europäischen Wirtschaftsregierung" unterordnen.

Das wichtigste Aktionsfeld wird jedoch der Streit über den Kreis der Teilnehmer der 1999 geplanten Einführung des Euro sein, wobei dieser Streit sich auf die Frage konzentriert, ob Italien, das hierzulande als "Weichmacher" gilt, dazugehören wird oder nicht. Darüber werden die Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten im Mai 1998 eine Mehrheitsentscheidung treffen, wobei die Konvergenzkriterien die Grundlage bilden.

Das Europäische Währungsinstitut wird dazu die statistischen Daten liefern. Diesem Gremium gehört u. a. Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer an, ein erklärter Gegner einer italienischen Euro-Teilnahme. Da die Staatsverschuldung Italiens mit 123 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das im Maastricht-Vertrag festgeschriebene Kriterium derzeit um mehr als das Doppelte überschreitet, ließe sich ein Ausschluß ohne Schwierigkeit begründen. Das würde dann allerdings auch Belgien treffen, dessen Teilnahme auch von den Hardlinern als unbedenklich eingestuft wird und sich schon aus geographischen Gründen gebietet.

Dies beweist allerdings nur, wie belanglos die Konvergenzkriterien in ökonomischer Hinsicht tatsächlich sind. Wenn demnach die Europäische Kommission im Frühjahr dieses Jahres rundweg alle EU-Mitglieder (mit Ausnahme Griechenlands) als grundsätzlich geeignet für die Euro-Teilnahme bezeichnete, spielte dabei keine angeblich ökonomisch untermauerte Zahlenspielerei, sondern die politisch begründete Furcht aller die Hauptrolle, sich durch den Ausschluß des einen selbst in die Lage des potentiell Ausgeschlossenen zu manövrieren.

Überträgt man andererseits die beispielsweise von der Commerzbank favorisierte Kleingruppe von Euro-Teilnehmern - Deutschland, Frankreich, Benelux und Österreich - auf die Landkarte, ergibt sich ein zusammenhängender geopolitischer Block: Kerneuropa, ein politisches Projekt mit einheitlicher Währung und einheitlicher Ausländerpolizei.