T. J. Childers, Drummer von Inter Arma, im Gespräch über KI in der Musikproduktion

»Ohne Inszenierung geht es nicht«

Bereits als Kind lernte T. J. Childers, Schlagzeug zu spielen, mittlerweile ist er Drummer der Metal-Band Inter Arma. Mit der »Jungle World« sprach er über die richtige Live-Performance, KI und technische Hilfs­mittel bei der Musikproduktion und das neue Album von Inter Arma.
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Kürzlich habe ich Cormac McCarthys »Der Passagier« zu Ende gelesen. Für mich entspricht der Roman und die Stimmung, die er erzeugt, in etwa der von Inter Arma geschaffenen Musik. Beide beschwören eine düstere Atmosphäre herauf, legen verschiedene Schichten menschlichen Leidens frei und loten aus, wie man damit umgehen kann.
Ich habe das Buch noch nicht gelesen, verstehe aber gut, was Sie meinen. Ich bin ein großer Fan von Cormac McCarthy, ebenso wie Mike (Mike Paparo, der Sänger von Inter Arma; Anm. d. Red.), der alle unsere Texte schreibt. Die Sprache, die McCarthy verwendet, ist eher minimalistisch, aber er entwirft mit nur wenigen Worten ein lebendiges Bild. Das gilt auch für seine Art, Dialoge zu schreiben. Jemand sagte mal, diese seien typisch dafür, wie die Leute tatsächlich reden, und doch sei es eine Art zu sprechen, wie niemand es wirklich tut. Es ist eine nahezu antiquierte Sprache, und ich glaube, vom musikalischen Standpunkt betrachtet trifft das auch auf Inter Arma zu. Unsere Platten klingen nicht wie moderner Metal. Es ist eher eine Art Rock ’n’ Roll der alten Schule.

Woher nimmt Mike Paparo die ­Inspiration für seine Texte?
Die Texte sind meistens nicht politisch, sondern eher persönlich. Sie handeln von seinen Kämpfen mit seiner Depression, von Beziehungen, die enden, dem Umgang mit Traurigkeit und dem Umgang damit, wie beschissen die Welt ist. Es geht um den Versuch, durch den Tag zu kommen, trotz allem ein funktionierender Mensch zu sein und zu versuchen, sich ein gewisses Maß an Glück zu bewahren. Davon abgesehen würde Mike sich freuen, wenn er wüsste, dass Sie Vergleiche zwischen Cormac McCarthy und seinen Texten ziehen, denn dieser ist eine seiner großen Inspirationen.

»Damals habe ich von der Quanti­sierung im Studio gesprochen, bei der alles perfekt klingen soll. Das Resultat hört sich für mich gar nicht interessant an. Das liegt wohl auch daran, dass ich einen Punkrock-Hintergrund habe.«

Ich habe Inter Arma zuletzt 2019 in Antwerpen live spielen sehen, und mir fällt nur eine einzige Band ein, die es geschafft hat, auf der Bühne ein ähnliches Maß an Intensität zu erzeugen, Neurosis während ihrer »Souls at Zero«-Tour 1991. Wie gelingt Ihnen diese Präsenz auf der Bühne?
Die einfache Antwort wäre: Wer will schon eine Band sehen, die nur auf der Bühne steht und den Song runterspielt? Es ist immerhin eine Live-Performance, mit Betonung auf das Wort Performance. Ohne ein gewisses Maß an Inszenierung geht es nicht. Man möchte aber auch den eigenen Songs gerecht werden, zumindest wenn man sich intensiv mit ihnen auseinandersetzt und auch sein Instrument mit Hingabe spielt – und Neurosis sind das Paradebeispiel hierfür. Daher habe ich trotz allem nicht das Gefühl, dass ich den Leuten etwas vorspiele. Ich möchte einfach so viel Energie und Emotionen vermitteln, wie ich nur kann, und dabei verausgabe ich mich dann auch völlig. Insbesondere an einem guten Abend – wenn das Publikum und der Sound gut sind – bin ich mental kaum mehr anwesend. Ich lasse mich einfach treiben.

Es ist fünf Jahre her, dass Sie Ihr viertes Album »Sulphur English« veröffentlicht haben. Wie entsteht bei Inter Arma neue Musik?
Ich bin der Haupt-Songwriter in der Band, was die Musik anbelangt. Natürlich setze mich nicht hin mit dem Vorsatz, einen Song zu schreiben, der sich anhören soll, als wäre er die Begleitmusik für einen Roman von Cormac McCarthy oder so. Aber es gibt in jeder Kunstform Parallelen zu anderen Formen, und zumindest in der Kunst, zu der ich mich hingezogen fühle, steckt immer eine Art von Dunkelheit. Ich schreibe aber nicht alles allein. Weil wir alle in derselben Stadt wohnen, jammen wir auch viel. Manchmal überlege ich mir dann zu Hause, wie es weitergehen kann, und nicht selten taucht die nächste Idee auch direkt beim gemeinsamen Spielen auf.

Wie kommt Ihr Sänger Mike Paparo ins Spiel?
Er ist bei den Bandproben und so ziemlich während des gesamten Songwritings dabei. Er hört sich die Songs an und bekommt Ideen für Texte, die ­darauf basieren, wie ein Stück klingt. Dann entscheidet er auch, was er stimmlich dazu macht: ob es eher melodischer ist oder eher was, das härtere Vocals braucht.

In einem Statement der Band zum neuen Album »New Heaven« heißt es, dieses sei das vielseitigste Ihrer Karriere. Wie kam es dazu?
»New Heaven« ist sicherlich nicht annähernd so aggressiv wie »Sulphur English«. Das letzte Album war sehr brutal und direkt, es hat die Hörer die gesamte Spieldauer hindurch geprügelt. Die neue Platte hat mehr Licht und Schatten, und sie ist definitiv viel melodischer. Um ehrlich zu sein, war das keine Absicht. Die einzige bewusste Entscheidung beim Songwriting war, dass wir versuchen wollten, alles präziser auf den Punkt zu bringen. Nicht unbedingt kürzere Songs, aber sie sollten nicht ganz so mäandern wie zuvor. Es ist aber nicht so, als ob wir jetzt dreiminütige Popsongs schreiben würden. Ich glaube, das würde uns nicht einmal gelingen, wenn wir es müssten.

Wofür steht der Albumtitel »New Heaven«?
Wir haben das Gefühl, dass wir mit dieser Platte ein neues Kapitel begonnen haben. Das gilt zwar in gewisser Weise für jede unserer Platten, aber dieses Mal sind wir selbst nach unseren Maßstäben weitergegangen. Es ist nicht so, als ob wir damit eine komplett andere Band geworden wären; es steckt mehr, aber zugleich auch weniger Inter Arma darin, auch wenn das paradox klingen mag.

In letzter Zeit haben einige Bands Künstliche Intelligenz verwendet, beispielsweise um Albumcover zu entwerfen. Wie stehen Sie zu der aktuellen Entwicklung?
Ich bin kein Fan davon, Punkt. Mag sein, dass in fünf bis zehn Jahren Leute mit Hilfe von KI Songs schreiben können, die überzeugender sind, als das jetzt der Fall ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Computer und Maschinen jemals in der Lage sein werden, menschliche Gefühle zu ersetzen. Ich glaube nicht, dass das jemals passieren wird.

Das erinnert mich an einen Artikel, den Sie vor ein paar Jahren für das Magazin Modern Drummer geschrieben haben, wo Sie technische Hilfsmittel bei der Produktion des Schlagzeugsounds kritisierten.
Damals habe ich von der Quantisierung im Studio gesprochen, bei der alles an ein rhythmisches Raster angepasst wird, optimal ab­gestimmt ist und perfekt klingen soll. Das Resultat hört sich für mich überhaupt nicht interessant an. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich eine Punkrock-Hintergrund habe. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist bewundernswert, wenn jemand sein In­strument technisch wirklich gut beherrscht. Die Band Nile ist ein gutes Beispiel dafür. George Kollias ist wahrscheinlich der schnellste Schlagzeuger der Welt. Aber nach ein paar Songs … der Typ ist so gut, dass es mich langweilt. Er ist so schnell, dass es nach ­einer Weile bekloppt klingt, weil es so perfekt ist. Ich würde lieber jemanden hören, der langsamer spielt und ein bisschen aus dem Rhythmus kommt. Für mich ist das viel spannender als ­jemand, der 20 Minuten lang perfekt 250 Beats pro Minute spielen kann.

Können Sie ein Beispiel geben?
Die aufregendste Platte aus dem Death-Metal-Bereich ist für mich das Album »King of All Kings« von Hate Eternal. Diese Platte ist der Wahnsinn, weil die Band so schnell spielt, aber es ist nicht quantisiert. Das klingt wie ein Güterzug, der mit 1.000 Meilen pro Stunde durch die Landschaft schießt. Er springt fast aus den Gleisen, beinahe gibt es ­einen Crash, aber dann hält er doch die Spur. Für mich ist das ein verdammt cooler Sound. Sogar auf alten Motörhead-Platten kann man hier und da kleine Unvollkommenheiten hören. So ist es auch bei unseren Platten: Wenn man sich meine Schlagzeugspur mit Kopfhörern anhört und sich auf mein Spiel konzentriert, hört man, dass ich überall Fehler mache. Aber wenn die Aufnahme insgesamt gut ist, dann ist mir das scheißegal.

Es gibt ein Video auf Youtube, auf dem Sie im Alter von sieben Jahren beim Jammen mit Ihrem Onkel und Ihrem Vater zu sehen sind. Es ist beeindruckend, wie gut Sie damals schon gespielt haben. Wie haben Sie ein Gefühl für den Sound bekommen, den Sie spielen wollen?
Eigentlich wollte ich zuerst Gitarre lernen, aber mein Vater brauchte einen Schlagzeuger für seine Coverband, also hat er mich ans Schlagzeug gesetzt. Aber ich bin froh, dass er das getan hat. In den ersten zehn Jahren habe ich nur Coversongs gespielt, AC/DC, Led Zeppelin, Lynyrd Skynyrd und solche Sachen. Das war so ziemlich die beste musikalische Ausbildung, die ich hätte bekommen können, weil ich dadurch nicht nur gelernt habe, wie man Schlag­zeug spielt, sondern auch, wie man für den Song spielt. Phil Rudd (Schlagzeuger von AC/DC, Anm. d. Red.) ist ein perfektes Beispiel dafür. Er weiß genau, dass man nicht übertreiben soll. Man sollte hier und da mit einem drum fill oder einer sonstigen Akzentuierung ein wenig Würze reinbringen und ansonsten die Gitarren glänzen lassen. Wenn ich AC/DC auflege, höre ich auf … (imitiert das Gitarrenriff am ­Anfang von »Back in Black«), ich höre nicht auf Phil Rudd (klatscht die entsprechende Schlagzeugsequenz auf seinen Oberschenkel) Das ist zwar auch cool, aber Fan ihres Sounds bin ich wegen der Riffs.

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Inter Arma: Die 2006 gegründete Band Inter Arma aus Richmond, Virginia, widersetzt sich jeder musikalischen Kategorisierung und entwickelt sich mit jeder Ver­öffentlichung weiter. Oftmals wird ihre Musik als sperrig, immer jedoch als brachial empfunden. Der Bandname geht auf einen Ausspruch Ciceros zurück, »Inter arma enim silent leges« (»Denn unter den Waffen schweigen die Gesetze«). Am 26. April erscheint auf Relapse Records »New Heaven«, das fünfte Album des Quintetts. Inter Arma werden in einigen Mo­naten eine ausführliche Europatournee absolvieren.

T. J. Childers (41) ist Schlagzeuger der Metal-Band Inter Arma, hat sein Instrument bereits im Alter von drei Jahren zu ­spielen begonnen und schreibt die meisten Songs. Das macht er allerdings mit Hilfe einer Gitarre.