Kathleen Hanna (Bikini Kill / Le Tigre) hat ihre Autobiographie »Rebel Girl« geschrieben

Nicht mehr alles anders machen

Kathleen Hanna hat ihre Autobiographie vorgelegt. Die Musikerin, vor allem bekannt wegen ihrer Bands Bikini Kill und Le Tigre, hat aber keine Chronik der Riot-Grrrl-­Bewegung geschrieben, sondern erzählt vor allem Tratsch aus ihrem Privatleben – und knickt vor vielen pseudoemanzipa­torischen Ideen der Gegenwart ein.

Die Aufforderung »Ausziehen!« habe sie vom Publikum in Strip-Bars, in denen sie zeitweilig Geld verdiente, nie gehört, von männlichen Punks bei Konzerten hingegen unzählige Male. Das ist eine der Schlüsseleinsichten von »Rebel Girl«, der kürzlich auf Englisch erschienenen Autobiographie von Kathleen Hanna.

Die Sängerin der feministischen Bands Bikini Kill, Le Tigre und The Julie Ruin war Anfang der neunziger Jahre unfreiwillig zur Wortführerin der Riot-Grrrl-­Bewegung stilisiert worden, die sich zunächst als vehementer Einspruch gegen den subkulturellen Machismo von Punk und Hardcore formiert hatte. Hieraus wurden zwar Ansätze einer Gesellschaftskritik entwickelt, innere Widersprüche und Reibungen sorgten jedoch dafür, dass der Aufbruch Mitte der Neunziger implodierte, während die schamlose kulturindustrielle Aneignung der Parole »Girl Power« gleichzeitig eine so scheußliche wie verlogene Karikatur der originären Ideen auf den globalen Markt warf.

Die Devise »Girls to the front!«, die Bikini Kill einst von den Bühnen riefen, damit junge Frauen ohne Sorge vor Grapschereien tanzen konnten, wird für nichtig erklärt.

Hanna, 1968 in eine dysfunktionale Mittelschichtsfamilie mit liebevoller Mutter, übergriffigem Vater und unberechenbarer älterer Schwester ­geboren, schildert nun erstmals ausführlich ihren Werdegang – vor und nach Bikini Kill, jener Band, die sie 1990 in Olympia, Washington, gemeinsam mit Tobi Vail und Kathi Wilcox zunächst als Trio gegründet hatte. Alsbald stieß Billy Karren dazu, dessen genial-schrammeliges Gi­tarrenspiel den aufgedrehten Sound besorgte, der für die Dauer von zwei EPs, drei Singles und zwei Alben Bestand hatte, bis die Gruppe 1998 zerbrach. Ihre Reputation als richtungsweisende Band blieb.

Schonungslos ehrlich berichtet Hanna von ihrem waffenvernarrten Vater; von einer Vergewaltigung; vom ständigen Pleitesein, das zeitweilig zum schnellen Verdienst mit Striptease zwang; von schmerzhaften Auseinandersetzungen zwischen Frauenrechtlerinnen – zwischen ihr und weiteren Protagonistinnen der Riot-Grrrl-Bewegung, aber auch mit der Radikalfeministin Andrea Dworkin –; der Belastung, der sie als informelle Ansprechperson der Bewegung ausgesetzt war, weil ihr Frauen von Missbrauch, Sorgen und Nöten berichteten, während wildfremde Männer Konzerte von Bikini Kill nicht selten zum Anlass nahmen, gewalttätig zu werden; von ihrer Entfremdung von der Musikszene in Olympia, die in den neunziger Jahre nach reichlicher medialer Berichterstattung zum hippen Magnet für Leute wurde, die irgendetwas sein wollten; von einem Stalker; von einer Fehl­geburt; schließlich von ihrem Leiden an Borreliose, einer jahrelang unentdeckten Erkrankung.

Keine Spur von Selbstheroisierung und Eitelkeit

Die dunklen Passagen wechseln sich stets mit den hellen, dem Leben zugewandten Phasen und Erlebnissen ab – dem kindlichen Entdecken der Freude, die das Singen bereitet; der Entdeckung der transformativen Kraft, die der Kunst innewohnen kann; den schüchternen Versuchen, das sich entwickelnde feministische Bewusstsein zu artikulieren oder diesem in Form der kurzlebigen Galerie Reko Muse einen Ort zu sichern; von Amy Carter und Viva Knievel, ihren beiden kurzlebigen Bands vor Bikini Kill; dem besonderen Band zwischen ihrer Katze Davis und ihr; der Ehe mit Adam Horowitz von den Beastie Boys und der Adoption des gemein­samen Sohns.

Dabei gibt es, und das ist an dieser Autobiographie im Besonderen zu loben, keinerlei Spur von Selbstheroisierung und keine Eitelkeit, welche das paradoxe Punk-Stardom der Autorin widerspiegeln würde, die nie eine Anführerin sein wollte, aber ständig zu einer solchen gemacht wurde. Unumwunden gibt Hanna zu, aufgrund ihrer eigenen fehlgeleiteten Wut »mehr als einmal psychologische Molotow-Cocktails in die falschen Fenster geworfen zu haben«, und zeichnet nach, wie sie sich häufig in selbstdestruktive Sackgassen manövriert hat.

Unbändige Lust auf Hot Dogs

Gleichwohl ist viel vom Geschilderten urkomisch, denn zu den besonderen Qualitäten der Sängerin zählt es seit jeher, trostlose Situationen oder Momenten schierer Verzweiflung nicht nur in Lyrics witzig zu wenden. Besonders heiter ist die Anekdote, dass Hanna, nachdem sie im Herbst 1995 drei ihr nahestehende Menschen in drei Tagen verloren hatte, von einer unbändigen Lust auf Hot Dogs überwältigt wurde und den Verkäufer einer Frittenbude in eine Art Performance verwickelte, die nur aus ihm, ihr und zehn einzeln bestellten Hot Dogs bestand.

Wer sich für die Geschichte von Riot Grrrl interessiert, muss hinnehmen, dass diese Autobiographie ausdrücklich aus einer persönlichen Warte heraus geschrieben ist, die von einigen markanten Ereignissen innerhalb der Bewegung absieht und eine musikhistorische Dokumentation unterlässt. Hanna verschweigt eines ihrer interessantesten Nebenprojekte, die kurzlebige Band Suture mit Sharon Cheslow und Dug E. Birdzell, und handelt die gemeinsame Tour von Bikini Kill und Huggy Bear durch Großbritannien, die Anfang 1993 zum Fanal für zahllose Mädchen und junge Frauen sowie zum Anlass etlicher Bandgründungen wurde, in wenigen Absätzen ab.

»Kurt Cobain smells like Teen Spirit«

Die wochenlange Tour von Bikini Kill und Team Dresch durch Europa wiederum, die im Frühjahr 1996 dasselbe für viele lesbische und schwule Heranwachsende bewirkte, findet nur in einem Nebensatz über die sich anbahnende Beziehung mit Adam Horowitz ­Erwähnung.

Dafür gibt es stellenweise niedlichen Tratsch wie den, dass der temporäre Umzug von Bikini Kill nach Washington, D.C., 1992 keineswegs musikalische Gründe hatte, sondern pragmatische, weil zwei Bandmitglieder eine Weile mit zwei Mitgliedern von Nation of Ulysses liiert waren, Bikini Kills stilprägender Bruderband.

Viel Platz erhält derweil die Verwicklung zwischen Hanna und der Hole-Sängerin Courtney Love, die in den Neunzigern medienwirksam aneinandergerieten. Hanna hatte einmal, als Nirvana noch eine Band aus Olympia waren, scherzhaft »Kurt Cobain smells like Teen Spirit« an dessen Wand gekritzelt; »Teen Spirit« ist eine Deodorantmarke.

Befremdlich erscheinen einige Passagen, in denen Hanna vor dem Sprechort-Gehabe der Gegenwart einknickt.

Cobain wandelte dies später zum fast gleichlautenden Titel des größten Hits seiner Band ab, während die Urheberin der Zeile hinter dem Weltruhm verschwand – wie auch Vail, die eine Weile mit Cobain liiert ge­wesen war, als wesentliche Inspiration für den Klassiker »Nevermind« gilt und, so Hanna, problemlos Nirvanas Schlagzeugerin hätte werden können.

Befremdlich erscheinen derweil einige Passagen, in denen Hanna vor dem Sprechort-Gehabe der Gegenwart einknickt. Die Lektüre vermittelt stellenweise den Eindruck, als wolle mit nachträglicher Verve betont werden, dass Riot Grrrl a priori aus einem rassistischen Vorbehalt heraus agiert hätte – und das, obwohl Hanna, Vail zitierend betont, dass das, was in der Gegenwart »Kritik« genannt wird, »eher punitiv statt produktiv wirke«.

Die Devise »Girls to the front!«, die Bikini Kill einst von den Bühnen riefen, damit junge Frauen ohne Sorge vor Grapschereien tanzen konnten, wird für nichtig erklärt, denn »girls«, so Hanna ganz im Duktus der Gegenwart, meine auch Transfrauen, »die sich womöglich nicht sicher dabei fühlen, nach vorne zu kommen, wo TERFige Cis-Frauen sie belästigen könnten. Und was ist ­eigentlich mit Transmännern, nichtbinären Leuten und BIPOC-Männern? Ich wollte ihnen nicht sagen, sich nach hinten zu verziehen.« Gemäß dieser Logik hätten Straftäter wie R. Kelly oder mutmaßliche Vergewaltiger wie P. Diddy auf Riot-Grrrl-Konzerten Artenschutz aufgrund ihrer Hautfarbe genießen müssen.

Aufschlussreich ist auch, was Hanna über den 2000 erschienenen Le-Tigre-Song »Bang! Bang!« berichtet, an dessen Ende die Bandmitglieder laut die 41 Schüsse aus vier Polizeiwaffen mitzählen, die im Vorjahr den unbewaffneten Immigranten Amadou Diallo getötet hatten, als dieser seine Geldbörse zückte, um sich auszuweisen. Das äußerst beklemmende Stück über diesen sehr konkreten Fall rassistischer Polizeigewalt sei nicht mehr live gespielt worden, nachdem eine schwarze Person aus dem Publikum die drei Musikerinnen darauf hingewiesen habe, dass es »schmerzhaft« sei, wenn Weiße die 41 Ziffern laut intonierten.

Zwischen zwei Songs schrie Hanna »Free, free Palestine«

Am 8. Juni spielten Bikini Kill – mit Sara Landeau von The Julie Ruin an der Gitarre – in der Berliner Columbiahalle. Es war derselbe Tag, an dem aus Israel die Befreiung von Noa Argamani gemeldet wurde, die am 7. Oktober von Hamas-Schergen und palästinensischen Zivilisten in den Gaza-Streifen verschleppt worden war; das Video von ihrer Entführung auf einem Motorrad war um die Welt gegangen.

Nach einem Drittel des Sets schrie Hanna zwischen zwei Songs »Free, free Palestine«, woraufhin weite Teile des Publikums frenetisch einstimmten. Die Band, die einst angetreten war, um alles anders zu machen, hält es inzwischen offenkundig wie viele andere.

Dass Hanna ihren politischen ­Aktivismus in einem Frauenhaus begann und es eines der Kernanliegen von Riot Grrrl war, sexuelle Übergriffe in vermeintlich aufgeklärten Milieus politisch zu thematisieren, ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben. Schließlich hatte die Bewegung einst versucht, Missbrauch so zum Thema zu machen, dass die bessere Welt, die von Punk und Hardcore gelebt werden wollte, als milieuimmanentes Konstrukt mit milieu­immanenten Folgen kenntlich wurde – eine Einsicht, die zugleich für eine Welt wappnen sollte, die noch immer von vehementen Gefahren für Leib und Leben von Frauen durchzogen ist.

Unter der Knute brutaler Misogynie 

Israelinnen, die von religiös sanktionierten Mördern vergewaltigt werden, dürfen derweil nicht mit Solidarität rechnen, weil es Punks von damals wie heute vorziehen, konformistische Parolen zu grölen, während es höchst unwahrscheinlich ist, dass Bikini Kill eines Tages in Rafah spielen werden.

Nicht wenige palästinensische Frauen, die unter der Knute brutaler Misogynie leben, dürften für eine Darbietung von Songs wie »Suck My Left One«, »Sugar« oder »I Like Fucking« äußerst dankbar sein – ganz zu schweigen davon, dass es die Hamas-Schergen und -Adepten für ihre Menschenverachtung mindestens verdient hätten, mit solchen Liedern beschallt zu werden. Feministischen Punk mit einem politischen Bewusstsein hierfür sucht man im Westen heutzutage jedoch vergebens, was leider auch Hannas ansonsten lesenswerte, unterhaltsame und anregende Autobiographie einschließt.


Buchcover

Kathleen Hanna: Rebel Girl. My Life as a Feminist Punk. Ecco, New York 2024, 336 Seiten, circa 26 Euro