Kernfusionsforschung im Teilchenbeschleuniger

»Kernfusion ist machbar«

Hintergrund Von Detlef zum Winkel

Im Forschungsinstitut GSI nahe Darmstadt werden unter anderem Probleme der Trägheitsfusion untersucht. Ein Besuch beim Phelix-Laser.

Das GSI-Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung ist ein Forschungsinstitut der Helmholtz-Gemeinschaft, das mit mehreren Teilchenbeschleunigern ausgestattet ist. Die vor 50 Jahren errichtete Anlage liegt in einem nördlichen Vorort von Darmstadt, man befasst sich dort unter anderem mit Kern-, Atom-, Bio- und Plasmaphysik. Rund 1 500 Personen sind dort beschäftigt, hinzu kommen jährlich etwa 1 200 wissenschaftliche Gäste, die an GSI-­Projekten teilnehmen. An das Gelände schließt sich seit 2017 eine Großbaustelle an. Hier entsteht das internationale Beschleunigerzentrum Fair (Faci­lity for Antiproton and Ion Research). Ein neuer Ringbeschleuniger mit 1,1 Kilometer Umfang soll Experimente ermöglichen, mit denen die For­sche­r:innen Vorgänge simulieren wollen, wie sie in Extremsituati­onen von Sternen stattfinden. Vom »Universum im Labor« erhoffen sie sich Erkenntnisse über fundamentale Eigenschaften der Materie, aber auch darüber, wie sich beispielsweise Astro­nau­t:innen vor kosmischer Strahlung schützen können.

Forschungsleiter Bagnoud ist überzeugt, dass ein Trägheitsfu­sionsreaktor realisiert werden könne, ist sich aber der »dual use«-Problematik bewusst – Erkenntnisse­ aus der Physik können auch militärisch genutzt werden.

Anders als in den meisten großen Beschleunigern, im Genfer Cern oder im Hamburger Desy, die vorwiegend leichte Teilchen wie Elektronen, Positronen oder Protonen beschleunigen, kann man in Darmstadt Teilchenstrahlen aus allen Elementen des Periodensystems bilden. Die ursprüngliche Idee dabei war es, durch hochenergetische Kollision zwei Atomkerne zu einer Verschmelzung zu zwingen, bei der ein neues, superschweres Element entstehen würde. Tatsächlich gelang es am GSI, die Elemente mit den Ordnungszahlen (die Ordnungszahl gibt die Anzahl der Protonen im Atomkern an) 107 bis 112 zu entdecken. Solche Elemente müssen, um sie zu untersuchen, eigens erzeugt werden, denn sie bestehen nur für Bruchteile einer Sekunde; die schwersten in der Natur vorkommenden Elemente sind Uran und – nur in winzigen Mengen – Plutonium mit den Ordnungszahlen 92 beziehungsweise 94.

Als eine weitere Errungenschaft nennt das GSI die Schwerionentherapie in der Krebsbehandlung. So entstand in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Heidelberg das dortige Ionenstrahl-Therapiezentrum, gefolgt von einer ähnlichen Einrichtung in Marburg. Dabei werden Kohlenstoff-Ionen hauptsächlich zur Bestrahlung tief im Kopfbereich liegender Tumore eingesetzt.

Weil man in Experimenten Ionen­strah­len mit Laserstrahlen kombinieren wollte, beschaffte das GSI einen Hochleistungslaser, der zum Teil aus ausgedienten Komponenten des kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) und aus Anlagen der französischen Kommission für Atomenergie (CEA) zusammengesetzt wurde. Das Phelix genannte System (kurz für »Petawatt High Energy Laser for Heavy Ion Experiments«) verfügt bei weitem nicht über die Leistung der National Ignition Facility (NIF) beim LLNL, doch versetzt es die Forscher unter anderem in die Lage, einige grundlegende Pro­bleme bei der Trägheitsfusion zu untersuchen. Professor Vincent Bagnoud, der Leiter der Forschungsabteilung Plasmaphysik/Phelix, kennt sich also sehr gut in dem derzeit heiß diskutierten Thema aus, über das derzeit alle Welt spricht. Er nahm sich die Zeit, viele ­Fragen zu beantworten und schließlich auch den Laser zu zeigen.

Überraschend begann der aus Bordeaux stammende Physiker das Gespräch von sich aus mit der Feststellung, dass er die Kritik am LLNL verstehen könne. Die zivile Trägheitsfusion und das Interesse an einer Zukunftsenergie machten höchstens zehn Prozent der Aktivitäten des kalifornischen Labors aus. Das US-Energieministerium habe das Experiment vom Dezember 2022  spektakulär in die Öffentlichkeit getragen. Dem Laboratorium gehe es im Grunde nicht um Fortschritte auf dem Weg zu einer neuen Energiequelle. Das Hauptinteresse gelte dem Metallzylinder, oft mit dem deutschen Wort Hohlraum bezeichnet, der in seiner Mitte die Fusionsprobe enthält. Die Laserstrahlen treten durch die beiden Zylinderenden ein und treffen auf die goldbeschichteten Innenwände. Dort erzeugen sie eine Röntgenstrahlung, die eine perlengroße Kapsel mit Deuterium und Tritium extrem zusammenpresst und erhitzt, so dass ein Plasma entsteht, in dem eine Kernfusion dieser beiden Wasserstoffisotope stattfinden kann.

Bagnoud nennt den Hohlraum einen »Backofen«, in dem man alles Mögliche verbrennen könne. Vermutlich würden mit dem Backofen auch andere Experimente durchgeführt. »Fusionsforschung ist nur die Spitze ihrer Aktivität«, fasst der Professor zusammen.

Die National Ignition Facility verfügt über den weltweit größten Laser. Dort habe man vor dessen Inbetriebnahme gehofft, deutlich schneller ein Fusionsexperiment zum Erfolg führen zu können. Doch in der vom NIF gewählten Versuchsanordnung gebe es zu viele Instabilitäten – bei den Laserpulsen, der Röntgenstrahlung und infolgedessen bei der Erzeugung des Plasmas in der Brennstoffkapsel. Bagnoud zeigt eine Auswertung des Wirkungsgrads bei den NIF-Versuchen; demnach erreichen nur zehn bis 20 Prozent der Laserenergie die Kapsel mit Deuterium und Tritium. Der Rest geht verloren, vor allem durch die Erhitzung der Hohlraumwände und den Austritt von Röntgenstrahlen durch die Laser-Eintrittsöffnungen des Zylinders.

Die Behauptung, bei dem Experiment im Dezember in Livermore einen Energiegewinn erzielt zu haben, geht auf ein »Überschreiten des Lawson-Kriteriums« zurück. Das bedeutet, dass die bei der Fusion freigesetzte Energie größer war als die Energie des Laserpulses, der auf die Probe geschossen wurde. Bagnoud misst diesem Kriterium nicht so viel Bedeutung bei. Das sei schon 2018 erreicht worden. Ja, es sei demonstriert worden, dass Trägheitsfusion funktioniert, aber für eine Energiebilanz, die tatsächlich nutzbar wäre, sei entscheidend, wie weit man über diese Schwelle hinauskomme. Wichtiger als das Erreichen des Lawson-Kriteriums sei es, wie viel von dem Deuterium-Tritium-Brennstoff fusioniert werden könne. In der NIF habe man bisher weniger als drei Prozent erzielt, und das sei auch nicht beliebig zu steigern. Es gebe eine obere Schranke, solange man mit dem Hohlraum arbeite. Aber »Energie ist nicht die eigentliche Motivation von Livermore«, sagt Bagnoud.

Die um die Jahrtausendwende konzipierte NIF-Anlage sei auch nicht mehr auf dem neuesten Stand der Lasertechnik, gibt der Physiker zu bedenken. Man müsse die Strahlungsverluste reduzieren und die Turbulenzen bei dem erzeugten Plasma verstehen, um sie so weit wie möglich zu beseitigen. Das sei wichtiger, als die Laserenergie immer weiter zu steigern. Die Zukunft der Trägheitsfusion liege in einem Verzicht auf den Hohlraum; dabei würden dann die Laserblitze direkt auf die Fusionskapsel treffen, ohne »Backofen«. Das sei schwierig zu realisieren, Studien an der University of Rochester hätten jedoch gezeigt, dass es möglich sei. In diesem Bereich wollen die Darmstädter mit Projekten am Phelix Beiträge zur Fusionsforschung leisten.

»Kernfusion ist machbar«, sagt Bagnoud. Deutlich widerspricht er Kritikern, die einwenden, die Trägheitsfusion komme als Zukunftsenergie nicht in Frage. Er ist überzeugt, dass ein solcher Reaktor realisiert werden könne, allerdings nicht in den kommenden zehn Jahren. Ob ein Reaktor auf der Basis von Trägheitsfusion dann wirtschaftlich zu betreiben sei, vermag er nicht zu sagen; in diesem Zusammenhang seien die Kosten der Brennelemente vermutlich das größte Problem. Klar sei auch, dass Fusionsreaktoren keinen kurzfristigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten könnten.

Bagnoud ist sich der dual use-Problematik bewusst – Erkenntnisse aus der Physik können auch militärisch genutzt werden. Allerdings müsse die zivile Fusionsforschung ab jetzt genau die Probleme lösen, die für das Militär nicht relevant seien. Deswegen sei das Risiko sehr gering, dass das Militär von diesen Ergebnissen direkt profitiere. Bagnoud betrachtet die Offenheit und Transparenz der Arbeiten, die am GSI stattfinden, als einen gewissen Schutz. Wissenschaftliche Teams aus Partnerländern könnten Phelix für Experimente nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Bedingung sei, dass ihr Experiment aufgrund seiner hervorragenden wissenschaftlichen Qualität von einem unabhängigen Expertenkomitee ausgewählt wurde und dass die Ergebnisse veröffentlicht werden – Geheimhaltung gibt es am Phelix nicht. Sonst hätten wir die Anlage auch nicht so ohne weiteres betreten dürfen.