Thomas Melles Roman »Das leichte Leben« handelt von der Implosion der Postmoderne

Doppel-Wumms der Gegenwart

Platte Buch Von Jakob Hayner

<p>Wer diese Videos im Internet liebt, in denen in Zeitlupe irgendetwas in die Luft oder gegen die Wand gejagt wird, das dann in tausend Einzelteile zerspringt, muss Thomas Melles neuen Roman »Das lei</p>

Wer diese Videos im Internet liebt, in denen in Zeitlupe irgendetwas in die Luft oder gegen die Wand gejagt wird, das dann in tausend Einzelteile zerspringt, muss Thomas Melles neuen Roman »Das leichte Leben« lesen. Jan, einer von diesen erfolgreichen Medienmenschen, und Kathrin, eine Autorin mit ersten Erfolgen in der Literaturwelt, sind Eltern zweier vielversprechender Kinder; beide verfügen über eine Menge kulturellen Kapitals, das auch in Form von Kunst und Design, wie auf Instagram dokumentiert, die Wohnung schmückt. Irgendwie nice, irgendwie wow, aber irgendwie auch langweilig.

Am Ende aber hat stehen Jan und Kathrin vor den Scherben ihrer kleinbürgerlichen Erfolgswelt. Er wird im Internet mit seiner Vergangenheit konfrontiert, sie sucht bei Sexorgien und einem Mitschüler ihrer Kinder neue Abenteuer. Doch das sind noch lange keine hinreichenden Gründe für den umfassenden Kollaps, den Melle schildert. Der Autor lockt uns auf ein Gebiet, das selbst mit den Mitteln der Literatur schwer zu fassen ist, obwohl diese wohl am ehesten geeignet sind, den schleichenden Wechsel der Beleuchtungsart zu fassen, der sich auf dem Feld der Subjektivität vollzieht. Was sich zuletzt als Explosion zeigt, ist eigentlich die Folge einer Implosion postmoderner Lebensverhältnisse, selbst jener, die nicht offensichtlich zerrüttet sind.

Melle schildert den Vorgang wie jemand, der sich für die einzelnen Zutaten eines explosiven Gemischs interessiert, ohne die Formel im Voraus zu kennen. So zerlegt er seinen Roman in kleine Abschnitte, ein ­Gerüst von Situationen und Beobachtungen, das das Ganze eher andeutet als aus­pinselt. Bereits in »Sickster« und »3 000 Euro« zeigte Melle, dass er das analytische Schreiben meisterhaft beherrscht, in »Die Welt im Rücken« dann wandte er es auf die Abgründe des eigenen Seelenlebens an. Mit »Das leichte Leben« hat er nun einen der rätselhaftesten und besten Romane der Gegenwart geschrieben. Und einen der beunruhigendsten.

Thomas Melle: Das leichte ­Leben. Roman. Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 24 Euro