In Hamburg steht ein mutmaßlicher Islamist vor Gericht, der einen Anschlag geplant haben soll

Vorbild al-Qaida

Am 12. Mai begann in Hamburg ein Prozess gegen einen mutmaßlichen Islamisten. Dem 21jährigen wird vorgeworfen, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat geplant zu haben. Er soll sich Waffen und Sprengstoff im sogenannten Darknet bestellt haben. Dabei tappte er in eine Falle von »nicht offen ermittelnden Polizeibeamten«.

Der Ermittlungserfolg kam ihm womöglich sehr gelegen. Der wegen Grund­rechtsverletzungen während des G20-Gipfels 2017 und zuletzt wegen der sogenannten Pimmelgate-Affäre umstrittene Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) konnte im Dezember vorigen Jahres verkünden, dass ein islamistischer Anschlag in Hamburg verhindert worden sei. Abdurrahman C. habe zum 20. Jahrestag des 11. September 2001 einen Anschlag geplant. Bei der Vorbe­reitung der Tat habe er sich am Anschlag auf den Marathon in Boston im Jahr 2013 orientiert, sagte Grote damals.

Der Angeklagte wurde 2001 in Hamburg als Sohn einer deutschen Mutter und eines marokkanischen Vaters geboren. Er lebte dort bis zu seinem 13. Lebensjahr, dann zog er nach Marokko. Erst im Jahr 2020 kehrte C. nach Deutschland zurück und war dort zuletzt in Wismar gemeldet. Den Ermittlern vom BKA und LKA zufolge hat C. spätestens Anfang vergangenen Jahres den Entschluss gefasst, einen Anschlag zu verüben. Er habe sich dabei an al-Qaida orientiert. Zuvor soll er auch erwogen haben, sich dem »Islamischen Staat« (IS) in Syrien anzuschließen.

Abdurrahman C. soll versucht haben, im Darknet halbauto­ma­ti­sche Waffen und Hand­granaten
zu kau­fen, und dabei an ei­nen ver­­deckten Ermittler geraten sein.

Die Bundesanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass es sich bei dem mutmaßlichen Islamisten um einen Einzeltäter handle. »Wir haben einschlägige Videos und Bilder auf seinem Smartphone gefunden, die darauf hindeuten, dass er sich im Internet radi­kalisiert hat«, sagte Simon Henrichs von der Bundesanwaltschaft bei einem Pressegespräch. Allerdings soll den Behörden zufolge bereits der Vater des Angeklagten im Umfeld der inzwischen geschlossenen islamistischen Hamburger al-Quds-Moschee am Steindamm aktiv gewesen sein. Im selben Zeitraum ging dort der al-Qaida-Kreis um Moham­med Atta ein und aus.

Die Frage, auf welchem Weg sich der Angeklagte dem Islamismus zugewandt hat, werde der Bundesanwaltschaft zufolge nicht Gegenstand des Verfahrens sein. »Mit Blick auf die im Raum stehenden Vorwürfe interessiert nur: Hat er was geplant und war er entschlossen?« sagte Henrichs auf Nachfrage. Er hält das für hinreichend bewiesen. Der Angeklagte selbst hat sich zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert.
Der mutmaßlich geplante Anschlag in Hamburg passt zu einer größeren Entwicklung im islamistischen Terrorismus. Als der IS in Syrien und im Irak militärische und propagandistische Erfolgen verzeichnen konnte, rief er zu Anschlägen mit geringem finanziellem und organisatorischem Aufwand in Europa auf. Die vorläufige militärische Niederschlagung des IS hat dieses Vorgehen zwar behindert, es aber offenbar nicht beendet.

Der mutmaßliche Plan des Hamburger Islamisten C. war im Vergleich noch anspruchsvoll, manche Täter gehen einfach mit einem Messer bewaffnet auf Passanten los. Die typischen Akteure dieses Low-Budget-Islamismus sind nicht mehr konspirativ agierende Kleingruppen. Vielmehr handeln die Täter oft alleine, wie beispielsweise der Islamist Abdullah al-H., der in Dresden ein schwules Paar mit einem Messer angriff und einen der beiden tötete. Manchmal – wie offenbar im Falle des Mannes, der vergan­gene Woche in einem Regionalexpress in Nordrhein-Westfalen fünf Menschen mit einem Messer verletzte – ist die Grenze zwischen psychischer Erkrankung und islamistischer Ideologie nur schwer zu ziehen.

Häufig erregen die Täter wegen ihres teils dilettantischen Vorgehens schon bei der Anschlagsplanung die Aufmerksamkeit der Ermittlungsbehörden. C. tappte in eine Falle von Ermittlern der US-Behörde Homeland Security. Er soll versucht haben, im Darknet halbautomatische Waffen und Handgranaten zu kaufen, und soll dabei an einen verdeckten Ermittler geraten sein. Die US-Behörden leiteten die Information an das BKA und LKA weiter. Schließlich nahmen im August vergangenen Jahres Beamte des Hamburger LKA C. bei der Übergabe der Waffen auf einem Parkplatz eines Fastfood-Restaurants bei Hamburg fest. Die von C. bestellten Waffen sollen dafür funktionsunfähig gemacht worden sein.

Der Angeklagte soll sich außerdem Schwefel und Kaliumnitrat besorgt haben, die für den Bombenbau genutzt werden können. Im vergangenen November kam es noch zu Hausdurch­suchungen. Dabei wurden weitere Komponenten für den Bau eines Spreng­satzes in einer Hamburger Wohnung gefunden, die C. gemeinsam mit einem Bekannten nutzte.

Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden scheint erfolgreich gewesen zu sein, wirft jedoch grundsätzliche Fragen auf, die auch Strafverteidiger Roman Raczek offenbar bei der Verteidigung seines Mandanten stellen möchte. ­Insbesondere der Einsatz von »nicht offen ermittelnden Polizeibeamten« (NOEP) ist umstritten. So nennt man Polizisten, die kurzzeitig unter einer Tarnidentität auftreten, um mutmaßliche Kriminelle in eine Falle zu locken, zum Beispiel indem sie Drogen kaufen; sogenannte verdeckte Ermittler haben dagegen eine permanente Tarnidentität. »Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte« agieren oft im Internet und bewegen sich in rechtlichen Graubereichen. Im Falle von Abdurrahman C., berichtete der fragliche Beamte vor Gericht, habe er den Verdächtigen mehrmals angeschrieben. Er habe wissen wollen, ob C. weiterhin In­ter­esse an den Waffen habe.

Zudem ist für bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden schwer nachvollziehbar, auf welchem Weg ausländische Geheimdienste an ihre Informationen gelangen und ob diese Methoden nach deutschem Recht zulässig sind. Auch im Fall C. weiß die Bundesanwaltschaft nicht, wie die US-Behörden vorgegangen sind, sagte Bundesanwalt Henrichs der Jungle World. Doch darin sieht er kein Problem: »Das ist für diesen Fall nicht relevant, weil es durch den Hinweis der US-Behörden nur um den Anfangsverdacht ging. Alle weiteren Maßnahmen der bundesdeutschen Behörden sind dokumentiert und belastbar.« Die Frage nach der Schuld des Angeklagten sowie die nach dem Umfeld des mutmaßlichen Islamisten wird der Fortgang des Verfahrens klären müssen.