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Zum 1. Mai rief die Neonazi-Kleinstpartei »Der III. Weg« zu einer Kundgebung in Zwickau auf. Bereits zuvor war es zu Gewalt gegen anreisende Gegendemonstranten gekommen.
Ein Mann steht auf einem Bahngleis, hebt die Hand zum Hitlergruß und schlägt direkt vor der filmenden Kamera gegen das Sicherheitsglas eines Zugs. Das Video, das am 1. Mai im Internet zirkulierte, ist nur zwei Sekunden lang, doch zeigt es das Gesicht der neonazistischen Kleinstpartei »Der III. Weg« in großer Deutlichkeit – obgleich der Gefilmte, der das Parteilogo auf dem Pullover trug, bis zur Unkenntlichkeit vermummt war. Polizeiangaben zufolge verletzte sich der Angreifer bei der Aktion selbst.
Das Video entstand auf der Fahrt nach Zwickau, wo sich Gegendemonstranten dem Aufmarsch der Neonazis zum 1. Mai entgegenstellen wollten. Schon in Chemnitz haben Neonazis einen mit Gegendemonstranten besetzten Zug mit Flaschen beworfen. Die Polizei soll die Neonazis am Einsteig in den Zug gehindert haben. Bei einem Zwischenhalt in Glauchau holten auf dem Bahnsteig wartende Rechtsextreme ebenfalls Steine aus dem Gleisbett und warfen sie auf den Zug. 41 Rechte seien festgesetzt worden, teilte die Polizei mit.
Die Partei versteht sich als nationalsozialistische Elite, ist aber ein Sammelbecken für oft gewaltbereite Neonazis.
Es sei bis jetzt »ein sehr interessanter Tag gewesen«, eröffnete später in Zwickau der Parteifunktionär Tony Gentsch seine Rede. Damit konnte er nur die Gewalt an den Bahnhöfen meinen. Denn die Neonazi-Zusammenkunft auf dem Zwickauer Marktplatz war bis zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen ereignislos: Rechtsrock der sanfteren Machart ergoss sich aus den Lautsprecherboxen, Frauen schenkten Suppe aus, Männer aßen Wurst – ein völkisches Straßenfest.
»Der III. Weg« reproduziert wie keine andere deutsche Neonazi-Partei die Ideologeme des Nationalsozialismus: Rassismus, antisemitischen Antikapitalismus, Militanz und eine Selbstinszenierung als Kümmerer für arme Deutsche sind ihre Kernmerkmale. Sie propagiert einen »deutschen Sozialismus« – eine Umschreibung für Nationalsozialismus. Entstanden ist sie 2013 aus der Kameradschaft Freies Netz Süd, ein Jahr vor deren damals schon absehbarem Verbot. Die Partei versteht sich als nationalsozialistische Elite, ist aber ein Sammelbecken für oft gewaltbereite Neonazis.
Das zeigte sich auch an diesem Tag. Antifaschistischen Beobachtern zufolge sollen beispielsweise Mitglieder der Neonazi-Jugendgruppe Division MOL aus Berlin und Brandenburg an der Demonstration in Zwickau teilgenommen haben. Deren Mitglieder waren im Dezember vergangenen Jahres durch Übergriffe auf Journalisten bei einer »Querdenken«-Demonstration in Berlin aufgefallen.
Auch verbliebene Anhänger der im Niedergang befindlichen NPD haben sich an dem Aufmarsch von »Der III. Weg« beteiligt. Andere Teilnehmer der Demonstration wurden am Montag nach dem 1. Mai bei einer sogenannten Montagsdemo der Freien Sachsen (FS) in Görlitz gesichtet, einer vor einem Jahr gegründeten rechtsextremen Kleinpartei, die gegen Coronamaßnahmen agitiert.
Bei oberflächlicher Betrachtung unterscheiden sich die FS und »Der III. Weg«: Die FS knüpfen an gängige Verschwörungserzählungen an und haben sich beim Angriffskrieg auf die Ukraine auf die Seite Russlands gestellt. Matthias Fischer, der Parteivorsitzende von »Der III. Weg«, stellte in Zwickau hingegen klar, dass weder »Reichsflugscheiben noch Putins Panzer« das »deutsche Volk« retten könnten. Seit Jahren pflegt seine Partei Kontakte zur ukrainischen rechtsextremen Asow-Bewegung.
Die FS erreichen mit ihren gegen die Pandemiemaßnahmen gerichteten Montagsaufmärschen viele Menschen, die man in Sachsen zur bürgerlichen Mitte zählt. Den Aufmarsch in Zwickau empfahlen sie ihrer Anhängerschaft auf Telegram – später haben sie das Posting bearbeitet und ihre Empfehlung gelöscht. Es gibt auch personelle Verflechtungen mit »Der III. Weg«: Der Busunternehmer Thomas Kaden, der schon »Querdenker« zu ihren Demonstrationen kutschiert hat, trat für die FS als Kandidat bei den Wahlen zum Bürgermeister im sächsischen Plauen an. Im Auftrag von »Der III. Weg« brachte er im vergangenen Jahr Hilfsgüter zum Flutkatastrophengebiet nach Rheinland-Pfalz.
In Sachsen ist »Der III. Weg« erfolgreicher als in anderen Bundesländern. Seit Jahren versuchen die Neonazis auch sich in Nordrhein-Westfalen zu etablieren. 2020 bezogen sie ein Parteibüro im Siegerland, das sie schon ein Jahr darauf wieder aufgeben mussten. Anfang dieses Jahres haben sie eine Immobilie im nahegelegenen Hilchenbach bezogen. Doch die Stadtverwaltung versucht, den Hauskauf durch Gebrauch ihres Vorkaufsrechts zu revidieren und die Immobilie selbst zu erwerben.
Nachdem die ersten Fotos und Videos von den Zugangriffen über Twitter verbreitet worden waren, schrieb die Polizei Sachsen auf ihrem Twitter-Account, es sei in Chemnitz zu »verbalen Auseinandersetzungen zwischen Personen aus verschiedenen politischen Lagern« gekommen. Auf Anfrage der Jungle World sagte ein Sprecher der Polizeidirektion Zwickau hierzu: »Das war die Erstmeldung, die wir von unseren Kollegen erhalten hatten.« Wegen des Angriffs in Glauchau werde nun gegen fast 40 Personen wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Gegen zwei Personen aus dieser Gruppe werde wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt. Konkret gehe es um den Hitlergruß und einen Gürtel mit Hakenkreuz.
Einige der Angreifer nahmen später an der Demonstration in Zwickau teil. Der Polizeisprecher erklärte dies damit, dass einige der Täter den Bahnhof Glauchau schon verlassen hatten, als die Polizei eintraf. Ein im Internet veröffentlichtes Foto legt nahe, dass auch Klaus Armstroff, einer der Parteigründer von »Der III. Weg«, in Glauchau zugegen war. Der Polizei Zwickau sei dies bekannt, so der Sprecher, man werde nun ermitteln und das Bildmaterial auswerten.
Für die Vorfälle in Glauchau sei der Staatsschutz der Polizei Zwickau zuständig, für die Vorfälle in Chemnitz die dortige Bundespolizei, sagte der Polizeisprecher. Auf dem Rückweg von Zwickau wurden einige Neonazis selbst angegriffen, mutmaßlich von Antifaschisten. Für die Aufarbeitung dieses Falls, so der Polizeisprecher, sei das LKA zuständig – genauer: das Zentrum für Terrorismusabwehr.