In der US-amerikanischen Women’s National Basketball Association beginnt die Saison

Sechskampf um die Spitze

In der US-amerikanischen Women’s National Basketball Association rechnet sich die Hälfte der Teams Chancen auf die Meisterschaft aus. Eine Saisonvorschau.

Das Interesse am Frauenbasketball ist in den USA derzeit groß. Über fünf Millionen Menschen sahen sich Anfang April das Finale der Collegemeisterschaft zwischen den Universitäten von Connecticut und South Carolina im Fernsehen an – so viele wie seit 2004 nicht mehr. Die Profiliga Women’s National Basketball Association (WNBA), deren 26. Spielzeit am Wochenende beginnt, hofft davon zu profitieren.

Die Topscorerin des Finales der Collegemeisterschaft war Destanni Henderson, die mit ihren 26 Punkten entscheidend zu South Carolinas Titelgewinn beitrug. Im Draft der WNBA, der eine Woche nach dem Finale stattfand, wurde sie dennoch erst an 20. Stelle von Indiana Fever gewählt. An erster Stelle wählte das Team Atlanta Dream mit Rhyne Howard von der University of Kentucky eine Spielerin, die als kommender Superstar gilt. Auch der zweite und dritte Pick, NaLyssa Smith (Indiana Fever) und Shakira Austin (Washington Mystics), gelten als echte Hochkaräter.

Eine Spitzenspielerin wird beim Saisonauftakt der Women’s National Basketball Association fehlen: Brittney Griner sitzt wegen angeblichen Schmuggels von Cannabisöl seit Februar in Russland in Haft.

Freuen dürfen die Fans sich auf ein Wiedersehen mit Superstar Elena Delle Donne. Die Spielerin der Washington Mystics hatte die Saison 2020 aus Furcht vor einer Covid-19-Infektion ausgesetzt und 2021 wegen einer Rückenverletzung nur drei Spiele absolviert. In der kommenden Saison will sie zu ihrer alten Stärke zurückfinden.

Die Mystics sind so etwas wie die Wundertüte der kommenden Saison. Wenn Delle Donne und die US-ame­rikanisch-israelische Defensivspezialistin Alysha Clark, die die vergangene Saison nach einer Mittelfußverletzung komplett verpasste, fit sind und die Saison durchspielen können, ist dem Team mit etwas Glück sogar der Titel zuzutrauen. Sollten die Verletzungen sich doch als langwieriger erweisen, werden sie wahrscheinlich erneut die Playoffs verpassen.

Als Favoriten gelten derweil ohnehin andere Teams, allen voran Titelverteidiger Chicago Sky, Connecticut Sun als erfolgreichstes Team der vergangenen Punktspielsaison und Seattle Storm, die Champions von 2020. Vorjahresfinalist Phoenix Mercury und die Las Vegas Aces als zweitbestes Team der Punktspielsaison des Vorjahres haben zumindest Außenseiterchancen. Alles in allem ist also der Hälfte der zwölf Teams der Titelgewinn zuzutrauen.

Die andere Hälfte der Liga hingegen befindet sich mehr oder weniger tief in einem sogenannten rebuild. Vor allem in Indiana und Atlanta wird man eher in Richtung Tabellenende und damit auf gute Aussichten auf den ersten Draft-Pick im kommenden Jahr schielen. Immerhin dürften dann mit Paige Bueckers und Aliyah Boston zwei potentielle Stars zur Wahl stehen, um die herum sich jeweils ein Team aufbauen ließe, das mittelfristig gute Chancen auf den Titel hätte.

Derzeit jedoch stehen andere Teams an der Spitze. Seattle Storm beispielsweise verfügt mit Sue Bird über den vielleicht größten Star, den die WNBA je hervorgebracht hat. Bird wird im Oktober 42 Jahre alt, die kommende Saison dürfte die letzte Chance auf ihren fünften Titelgewinn sein. Für diese Möglichkeit hatte sie bei Storm noch einmal einen einjährigen Vertrag unterschrieben und auf rund zwei Drittel ihres Vorjahresgehalts verzichtet. Bird ist noch immer eine der besten Passgeberinnen und Distanzschützinnen der Liga. Beste Spielerin des Teams ist jedoch inzwischen Breanna Stewart, die allein fast ein Viertel der Punkte und ein Drittel der Rebounds des Teams liefert.

Auch für Connecticut Sun geht es in dieser Saison um alles oder nichts. Das Team um die wertvollste Spielerin (Most Valuable Player, MVP, eine Auszeichnung der WNBA) Jonquel Jones ist mindestens genauso gut aufgestellt wie in der vergangenen Saison und es gibt keinen Grund, warum es nicht wieder bis ins Finale kommen sollte. Die große Stärke hier ist die Defensive. Kein Team ließ in der vergangenen Saison weniger Punkte zu und kein Team zwang die Gegenspielerinnen häufiger zu Fehlwürfen. Die Offensive hingegen war bestenfalls Durchschnitt. Damit sich das ändert, wurde vor der Saison Courtney Williams verpflichtet – ihres Zeichens 2021 für das All-Star-Team der Liga nominiert –, die im vergangenen Herbst von Atlanta Dream entlassen wurde, nachdem sie in eine Schlägerei vor einem Food-Truck verwickelt gewesen war.

Bei den Meisterinnen aus Chicago ist der Star des Teams ein Duo. Courtney Vandersloot und Allie Quigley – kurz: Vanderquig – gelten als das beste Backcourt-Duo der Liga. Viel eingespielter können zwei Spielerinnen kaum sein. Immerhin spielen sie bereits seit 2013 zusammen und sind zudem seit 2018 miteinander verheiratet. Vandersloot hatte in der vergangenen Saison die meisten Assists der Liga und auch das Team als Ganzes lag in dieser Kategorie vorn. Das passreiche Spiel ist jedoch auch fehleranfällig. So hatte Chicago in der vergangenen Saison die viertmeisten Ballver­luste und ließ jeweils die drittmeisten Blocks und Steals zu. Dass es am Ende dennoch zum Titel reichte, zeigt, wie gut das Team und vor allem Vandersloot in nahezu allen anderen Bereichen sind.

Die Las Vegas Aces um A’ja Wilson, MVP der Saison 2020, hatten im Vorjahr die beste Offensive der Liga. Gleichzeitig ließen sie am zweit­wenigsten Punkte zu. Dass sie bereits im Halbfinale in fünf Spielen an Phoenix Mercury scheiterten, lag in erster Linie daran, dass die ansonsten sehr ballsichere Wilson im dritten Spiel aus unerklärlichen Gründen nur mit zwei ihrer 14 Würfe traf. Um ein ähnliches Debakel in dieser Saison zu vermeiden, trennte man sich vom langjährigen Trainer Bill Laimbeer und heuerte stattdessen Becky Hammon an, die zuvor Co-Trainerin bei den San Antonio Spurs in der NBA war.

Ähnlich wie in Las Vegas hat man in der vergangenen Saison auch in Phoenix eigentlich so gut wie alles richtig gemacht und stand am Ende dennoch mit leeren Händen da. Und auch hier sucht man sein Heil in einem Trainerinnenwechsel. Der Ersatz für Sandy Brondello, die umgehend von New York Liberty unter Vertrag genommen wurde, kommt passenderweise aus Las Vegas. Vanessa Nygaard war dort im Vorjahr Co-Trainerin, ist ansonsten jedoch im Gegensatz zu Hammon, die ohne Zweifel zu den Besten ihres Fachs gehört, ein eher unbeschriebenes Blatt. Viel wird sie jedoch nicht ändern müssen. Phoenix Mercury war in allen Belangen bereits 2021 ein Team, das sehr gut hätte Meister werden können.

Die größte Story in Phoenix spielt sich derzeit jedoch ohnehin abseits des Felds und streng genommen nicht einmal in Phoenix ab. Brittney Griner, Center und Star des Teams, sitzt seit Februar in Russland in Haft, wo sie außerhalb der nur drei Monate dauernden WNBA-Saison für Serienmeister UGMK Jekaterinburg spielte. Ihr wird vorgeworfen, Cannabisöl ins Land geschmuggelt zu haben. Dass ihre Festnahme mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zusammenfiel, macht sie jedoch de facto zu einer Geisel und einem Druckmittel der russischen Regierung.

Am Mittwoch vergangener Woche war Trevor Reed, ein anderer US-Amerikaner, der in Russland inhaftiert war, im Zuge eines Gefangenenaustauschs freigelassen worden. Ob dies jedoch ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, hängt vom Blickwinkel ab. Einerseits zeigt es, dass eine Freilassung prinzipiell möglich ist. Andererseits war Reed fast drei Jahre in Haft, bevor man sich auf den Austausch hatte einigen können.

In den vergangenen Jahren haben die Spielerinnen der WNBA sich immer lauter für die Rechte von Frauen und LGBTQ sowie gegen Rassismus eingesetzt. Griner, die selbst schwarz und mit einer Frau ver­heiratet ist, vereint all diese sozialen Kämpfe in ihrer Person. Dennoch hielten sich sowohl Liga als auch Spielerinnen bislang auffallend zurück. Der New York Times zufol­ge orientieren sie sich damit an den Bitten von Griners Beratern, die befürchten, zu viel Radau könne den Verhandlungen hinter den Kulissen schaden.

Griner drohen bis zu zehn Jahre Haft – ein durchaus gutes Argument für etwas Zurückhaltung. Sollte die Spielerin jedoch in absehbarer Zeit freikommen, wird es einiges zu besprechen geben. Schon länger gibt es Kritik daran, dass die Gehälter in der WNBA so niedrig sind, dass sich die meisten Spielerinnen außerhalb der Saison in Europa verdingen müssen, um über die Runden zu kommen. Für die beste Liga der Welt ist dieser Zustand eigentlich unhaltbar.