In der Serie »Pam & Tommy« dreht sich alles um das berühmteste Sexvideo der Welt

Pornostars wider Willen

Dem in den Neunzigern bekannt geworden Sexvideo von Pamela Anderson und Tommy Lee widmet sich nun eine ganze Miniserie. »Pam & Tommy« erzählt die Geschichte zweier künstlicher Promis, deren Authentizität sich ausgerechnet in einem schlüpfrigen Filmchen zeigte.

Wenn plötzlich alternative, queere Produktionen der Öffentlich-Rechtlichen (beispielsweise die ARD-Serie »All You Need«) wie auch viele der Streaming-Plattformen staatstragend, familiär frömmelnd oder besserwisserisch daherkommen, muss man die sexuelle Subversion eben anderswo suchen. Dass man diese im Jahr 2022 ausgerechnet in der Mainstream-Schmuddel­ecke des Jahres 1995 finden würde, hätte einem seinerzeit wohl niemand geglaubt.

Hätte einem jemand 1995 erzählt, dass sich die lebensbejahende Wurstigkeit, das naive Medienverständnis, der weitverbreitete Flirt mit der Illegalität im Internet, die nihilistische Melancholie und die Geilheit der neunziger Jahre einmal am besten in einem Sexvideo mit dem Mötley-Crüe-Schlagzeuger Tommy Lee und dem »Baywatch«-Star Pamela Anderson wiederfinden lassen würde, man hätte dem Ketzer eine gebrannte CD an den Kopf geworfen. Doch genau so lautet die Botschaft der neuen Hulu-Serie »Pam & Tommy«.

Als Pamela Anderson befreit sich Lily James, die 2015 in der Live-Action-Verfilmung von Disneys »Cinderella« die Hauptfigur spielte, furios von ihrem Prinzessinnen-Image.

Grundlage der Miniserie ist ein 2014 im Rolling Stone erschienener Artikel von Amanda Chicago Lewis, in dem die Journalistin beschreibt, wie das wohl berühmteste Sexvideo aller Zeiten an die Öffentlichkeit gelangte: Der mittellose Elektriker Rand Gauthier musste erst unzählige Auftragsänderungen während des Baus eines Sex-Kerkers für das Promi-Paar hinnehmen – und wurde dann auch noch gefeuert. Er stahl daraufhin aus Rache Lees Safe, worin sich ein Hi8-Video befand, das den Musiker mit seiner frisch vermählten Pamela Anderson-Lee beim Sex auf einer Yacht zeigte.

Selbst als Amateur im Pornobetrieb zugange, fand Rand Gauthier nach einiger Ablehnung und Hohn dann doch einen Vertriebsweg, und zwar mit Hilfe des Internets. Doch der Racheplan ging fehl, und Rand ver­saute sich den Rest seines Lebens. Pamela Anderson muss seitdem eine niveaulose T-Frage mehr beantworten. »I am a little nervous. Cause you’re gonna ask the T-question«, sagte sie einst zu Talkshow-Moderator Jay Leno. Nicht mehr nur Titten- und Tommy-Fragen, jetzt auch noch (Video-)Tape-Fragen.

Zusammen mit Lewis schrieb der Produzent Robert Siegel die Serie. Er war als Drehbuchautor für die Filme »The Wrestler« und »The Founder« (über den Gründer der McDonald’s Corporation, Ray Kroc) verantwortlich. Vier Regisseure inszenierten »Pam & Tommy«, unter ihnen Craig Gillespie, der »I, Tonya« drehte, und Gwyneth Horder-Payton, die sich Hulu aus dem Pool von Regisseuren des Fernsehproduzenten und Seriengenies Ryan Murphy schnappte.

Auch vor den Kameras geht es beeindruckend zu. Als Anderson befreit sich Lily James, die 2015 in der Live-Action-Verfilmung von Disneys »Cinderella« die Hauptfigur spielte, furios von ihrem Prinzessinnen-Image. Sebastian Stan lässt den Marvel-Helden Bucky Barnes hinter sich und darf als Lee durchdrehen. Die Make-up-Abteilung hat ganze ­Arbeit geleistet. Lees krumme Nase und Andersons kleine Narben auf der Schulter machen die Illusion komplett. Und Seth Rogen wurde für seine Rolle als Rand Gauthier in einen niedlichen Vokuhila-Träger verwandelt.

Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist das berüchtigte Video, das als Metapher für die großen Themen dient: Geld, Sex, Ruhm, Untergang. Andersons und Lees Leben wird als Hintergrundgeschichte zweier Amateurpornodarsteller wider Willen erzählt, die nur beiläufig auch noch Musiker und Schauspielerin sind. Gauthier hingegen repräsentiert den gewöhnlichen Mann und dessen Neid und Sehnsucht. Nach gelungenem Safediebstahl geriert er sich als Schmalspur-Tommy. Beim Ansehen des Celebrity-Pornos wird es dann in seinem Blick ganz offensichtlich: Tommy Lee mit seinen Allüren ist nicht länger der Antagonist des kleinen Mannes. Lee avanciert dank des Videos zum Erfüllungsgehilfen des ultimativen Phantasmas einer Schar präpotenter Männer der neunziger Jahre: einmal mit Pamela Anderson!

Anderson und Lee galten damals als der Inbegriff der Künstlichkeit: Lee als Glam-Metaller mit Taft-Mähne, Eyeliner und Nagellack, was ­allerdings seine Männlichkeit geradezu überbetonte. Und Anderson ist mit ihren Silikonbrüsten, vollen Lippen und ewiger Mädchenstimme eine Bilderbuchblondine, deren Großherzigkeit oft als aufgesetzt missverstanden wurde. Interesse an ihnen zeigten vor allem Paparazzi-Magazine, Klatschsendungen und Late-Night-Shows. Ohnehin schon als zweifelhafte Gestalten wahrgenommen, war der Heimporno nur ein weiteres der Angebote von Pamela Anderson und Tommy Lee, das Millionen Menschen schamlos konsumierten.

In »Pam & Tommy« werden die feuchten Träume auch jenes Teils des Publikums erfüllt, der zu schamhaft ist, das Original zu suchen – sie bekommen sozusagen ein Hyperoriginal. Dank üppiger Prothesen sieht man in voller Pracht nun das nackte bumsfidele Paar in all seiner Künstlichkeit. Die ganze voyeuristische Gier von einst wird hier im Spiel mit Echtheit gleichsam befriedigt und persifliert – und noch garniert mit einem ulkigen Dialog über die wahre Liebe zwischen Tommy und seinem Penis.

Beeindruckend ist, wie gekonnt die Darstellung des Bilderbuchpaars zwischen Karikatur und Pathos changiert. Denn in ihren getrageneren Momenten steht die Serie in puncto Inszenierung des Innerlichen dem großen Kino von beispielsweise Pablo Larraíns Frauenporträts (»Spencer«, »­Jackie«) in nichts nach. Das Scheitern beruflicher und privater Ambitionen an kindlichen Wunschvorstellungen bildet einen melancholischen Erzählstrang der Serie. Wenn Anderson von Jane Fonda schwärmt und sie als »bad-ass sex bomb, anti-war, workout-video-selling actress-chick« beschreibt, wird klar, dass sie weiß, in welcher Liga sie selbst spielt.

Anderson und Lee sind ihrer Künstlichkeit immer treu geblieben. Deshalb ging auch der Sexvideoskandal gut für sie aus. Doch paradoxerweise war es das Video, das durch Tommys närrische Liebesschwüre und Pamelas wackelige Handkamera dem Pu­blikum erstmals so etwas wie Nahbarkeit und Authentizität vermittelte.

Das war das Ende der Videoaffäre samt ihren Auswirkungen auf Anderson, Lee und die Öffentlichkeit: Das Ehepaar musste zähneknirschend alle Rechte an ihrem Heimvideo an den Internetvertreiber ­abgeben. Doch von Anderson wusste man nun: Wo Sex draufsteht, ist auch Sex drin. Sie war sexpositiv avant la lettre. In einem beeindruckend progressiven Buch zum Thema Lust, das 2018 erschien, äußerte sie sich kritisch zu Pornographie und rief zur »sensual revolution« auf. Das Video, das 1995 noch für so viel Aufsehen sorgte, wäre heute wohl nicht viel mehr als eine Randnotiz, zieht man mal in Betracht, was für freizügiges Material auch bekanntere Menschen auf Online-Plattformen wie »Onlyfans« aus eigenem Antrieb teilen. Das hätte einem damals auch keiner ­geglaubt.

»Pam & Tommy« kann bei Disney Plus ­gestreamt werden.