Die Werteunion holt einen weiteren Rechtskonservativen in ihren Vorstand

Sogenannte Werte

Von Lina Dahm

Die Werteunion vollzieht mit der Wahl des neuen Vorstands einen weiteren Schritt nach rechtsaußen. Neben Max Otte und Klaus Dageförde gehört nun auch der überzeugte Abtreibungsgegner Martin Lohmann zur Leitung der rechtskonservativen Splittergruppe.

Ein kleines Beben ging durch die Medien, als bekannt wurde, wen die Werteunion am letzten Maiwochenende in ihren Vorstand gewählt hatte. Mit Max Otte steht dem Verein nun ein Unternehmer vor, die inhaltliche und personelle Nähe zur AfD aufweist. Er war Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, bis er diese im Januar verließ. Darüber hinaus unterhielt er, wie der Fotojournalist Robert Andreasch aufdeckte, mindestens bis 2011 Beziehungen zu einem Ideologielieferanten der AfD, dem als neurechts geltenden »Institut für Staatspolitik«. Als ein rechtsextremer Terrorist 2019 Walter Lübcke ermordete, twitterte Otte: »Lübcke – endlich hat der Mainstream eine neue NSU-Affäre und kann hetzen«. Später entschuldigte er sich; fast hätte dieser Tweet zu seinem Ausschluss aus der Werteunion geführt.

Bereits wenige Tage später gab es den nächsten Skandal, als bekannt wurde, dass der neue stellvertretende Vorsitzende der Werteunion, Klaus Dageförde, eine Vergangenheit in der Neonaziszene hat. Er war, so berichtet die Taz unter Berufung auf Recherchen des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin (Apabiz), 1990 angeklagt, Funktionär von Neonazikameradschaften gewesen zu sein. Dageförde stritt dies nicht ab, wollte es aber als Jugendsünde verstanden wissen. Otte reichte das, um seinen Vorstandskollegen zu verteidigen. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hat ­allerdings recherchiert, dass Dageförde den Behörden noch 2001 im Umfeld der »Kameradschaft Hannover-Celle« auffiel.

Einem weiteren neuen Vorstandsmitglied wurde jedoch noch nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die es verdient: Der katholische Publizist Martin Lohmann ist nicht nur ein überzeugter Abtreibungsgegner, sondern auch ein Netzwerker, der es versteht, antifeministische Positionen anschlussfähig zu verpacken. Lohmann ist nach eigenen Angaben »Geschäftsführer der Akademie für das Leben«, die sich bei genauerem Hinsehen lediglich als Blog entpuppt, auf dem in erster Linie er selbst Texte und Videos veröffentlicht. Auf der Startseite stellt sich der gläubige Katholik in eine Reihe mit Papst Johannes Paul II. und Mutter Teresa, er bekennt sich zum Leben »von seinem natürlichen Anfang bis zum natürlichen Ende«, eine Formulierung, die Sterbehilfe, Suizid und Abtreibungen ausschließt.

In seiner Rolle als Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), dem größten Dachverband der Abtreibungsgegner und -gegnerinnen in Deutschland, legte er großen Wert da­rauf, als modern und nicht als rechts zu gelten. Der BVL organisiert den jährlich stattfindenden »Marsch für das ­Leben« in Berlin, die größte öffentliche Veranstaltung der deutschsprachigen Abtreibungsgegnerszene. Er entwickelte die ursprünglich als Schweigemarsch konzipierte Demonstration weiter: Die weißen Holzkreuze werden mit hellgrünen Schildern und Luftballons ergänzt. Die Demonstration soll nicht nur Trauer und Vorwürfe, sondern auch Optimismus und Lust am Leben vermitteln. So versuchte er, über christlich-fundamentalistische Kreise hinaus Zulauf zu bekommen. Im Unterschied zu Alexandra Linder, die ihn im April 2017 im Vorstandsvorsitz ablöste, gelang es ihm, seine Netzwerke geschickt zu nutzen. Der Bonner Publizist gilt auch als Vermittler zwischen christlichen Fundamentalisten, sogenannten Lebensschützern und der ­extremen Rechten.

An der Spitze des Demonstrationszuges marschierte Lohmann schon ­neben der christlich-fundamentalistischen AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Darüber hinaus trat Lohmann beim homofeindlichen Netzwerk »Demo für alle« als Redner auf und ist Autor mehrerer neurechter und rechtskatholischer Publikationen und Plattformen wie der Jungen Freiheit oder kath.net. Im September 2013 gab Lohmann seinen Austritt aus der CDU ­bekannt, nach 42 Jahren Parteizugehörigkeit. Seine »christlichen Überzeugungen« sah er von der Partei nicht mehr vertreten. Bei der Werteunion scheint er eine neue politische Heimat gefunden zu haben.

Orte, an denen Schwangere Hilfe suchen, könnten in Zukunft besser geschützt werden. Das dürfte Martin Lohmann und seiner Werteunion nicht gefallen.

Es überrascht nicht, dass mit Lohmann ein überzeugter Abtreibungsgegner im Vorstand der Werteunion vertreten ist. Der Verein fordert ein »Recht auf Leben« für alle Menschen, auch für »noch nicht geborene«; »geeignete Maßnahmen« sollen dazu beitragen, dass »die Zahl der Abtreibungen erheblich gesenkt wird«. Mit dem Ziel, Schwangerschaftsabbrüche zu verunmöglichen, kämpfen konservative bis extrem rechte Kräfte seit Jahrzehnten gegen eine stärker werdende emanzipatorische Pro-Choice-Bewegung. Diese fordert neben der Enttabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eine Streichung der Paragraphen 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch und einen besseren Zugang zu medizinischen Informationen über Abtreibungen.

Wenig überraschend ist auch, dass die Personalie Lohmann öffentlich kaum diskutiert wird. Der Kampf um reproduktive Rechte war lange ein ­Nischenthema, dem sich hierzulande in erster Linie linksradikale feminis­tische Gruppen widmeten. Diese jahrelange Arbeit hat sich ausgezahlt. Das Thema Schwangerschaftsabbruch erhält derzeit so viel öffent­liche Aufmerksamkeit wie seit den späten sechziger Jahren nicht mehr.

Vor 150 Jahren wurde der Paragraph 218 ins Strafgesetzbuch des neugegründeten Deutschen Reichs aufgenommen. Das Jubiläum ist Anlass für bundesweite Aktionstage, Artikel in Leitmedien und Debatten. Ein neues Rechtsgutachten des Juristinnenbunds beschäftigt sich mit der Praxis der Abtreibungsgegner und -gegnerinnen, ungewollt schwangere Personen mit Gebeten, schockierenden Bildern und Ansprachen von dem Weg zur Beratung oder Abtreibung abzubringen.

Die Verfassungsrechtlerin Sina Fontana wägt in ihrem Gutachten »Möglichkeiten gesetzlicher Neuregelungen im Konfliktfeld ›Gehsteigbelästigungen‹« die kollidierenden Verfassungsgüter ab und kommt zu dem Schluss, dass das Persönlichkeitsrecht der ungewollt schwangeren Person schwerer wiegt als die Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht oder die Religionsfreiheit, die »Lebensschützer« für sich in Anspruch nehmen. Diese könnten ihre Rechte auch außerhalb der Hör- und Sichtweite der Beratungsstellen und Arztpraxen ausüben. Orte, an denen Schwangere Hilfe suchen, könnten in Zukunft also besser geschützt werden, wenn die Politik sich dieser Interpretation anschließt. Das dürfte Lohmann und seiner Werteunion nicht gefallen.

Deren Bundesvorsitzender Max Otte fordert die Anerkennung als Partei­gliederung durch die CDU; man wolle »in die Partei hineinwirken«. Die CDU-Spitze sieht jedoch keinen Handlungsbedarf; der Verein sei »nicht Teil der Unionsfamilie«, sagte Generalsekretär Paul Ziemiak. Der Kanzler­kandidat Armin Laschet lehnte einen Unvereinbarkeitsbeschluss bislang ab.

Dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Positionen der Werteunion beim Thema reproduktive Rechte dem Wertekern der Unionsparteien entsprechen. Sie verhindern seit Jahrzehnten, dass Frauen und andere Menschen mit Uterus selbstbestimmt über ihre Körper entscheiden können.