In Mali rivalisieren jihadistische Gruppen mit spektakulären Gewalttaten

Amputation und Geiselnahme

Im Norden Malis tragen die lokalen Ableger des »Islamischen Staats« und al-Qaidas mit spektakulären Gewalttaten ihre Rivalität aus.

Die Organisationsnamen wechseln, die Praktiken bleiben. Am 2. ai wurden im Nordosten von Mali, wenige Kilometer von der Grenze zum Nachbarstaat Niger entfernt, zwei Männer in ein Gesundheitszentrum eingeliefert. An beiden war eine sogenannte Kreuzamputation vollzogen worden – die rechte Hand und der linke Fuß wurden abgetrennt. So sieht es die Sharia, wie sie radikale Salafisten auslegen, als Strafe für Straßenraub vor. Noch an einem dritten Mann war eine solche ­Bestrafung vollzogen worden, er wurde nicht zum Gesundheitszentrum gebracht.

Die Vereinten Nationen reagierten mit einer Erklärung, die im Namen der in Mali tätigen UN-Truppe Minusma die Amputationspraxis »scharf verurteilt«. Die drei Männer waren nach vorliegenden Informationen am 27. ärz unter dem Vorwurf, Passagierbusse ausgeraubt zu haben, von Sharia-Wächtern festgenommen worden, die der Organisation »Islamischer Staat in der Großen Sahara« angehören. Diese operiert in den Weiten der Sahel-Zone und konkurriert dort mit einer dem Netzwerk al-Qaida angegliederten Gruppe, die sich früher al-Qaida im Land des islamischen Maghreb (AQMI) nannte und nach einer Fusion mit einer anderen Organisation nun Gruppe zur Ver­teidigung des Islam und der Muslime (GSIM) heißt.

Der Ableger des 2014 im Nahen Osten entstandenen, dort jedoch seitdem militärisch zurückgedrängten »Islamischen Staats« (IS), führt noch rücksichtsloser Krieg als der GSIM, den die die französischen Behörden neuerdings offenbar, wie malische Behörden schon seit längerem, als Ansprechpartner für Verhandlungen betrachten. Darüber berichtete die Enthüllungs- und Satirezeitung Le Canard enchaîné mehrfach, zuletzt auch die Website Mondafrique. Der IS akzeptiert, anders als der GSIM, beispielsweise grundsätzlich keine Wiederöffnung staatlicher Schulen in den Kampfzonen.

Am 6. pril 2012 hatten Tuareg-­Sezessionisten, die ethnisch und nicht islamistisch orientiert sind – damals organisiert in der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA), mittlerweile in der Koordination der Bewegungen von Azawad (CMA) –, zusammen mit mehreren Jihadistengruppen einen unabhängigen Staat namens Azawad in der Nordhälfte Malis ausgerufen. Drei jihadistische Organisationen, AQMI, Ansar Dine – inzwischen ebenfalls im GSIM aufgegangen – und der Mujao (Bewegung für Einheit und ­Jihad in Westafrika), kontrollierten die Nordregionen Timbuktu, Gao und ­Kidal. Neben ihnen beanspruchten auch die zunächst mit ihnen verbündeten, alsbald jedoch rivalisierenden Tuareg-Rebellen die Kontrolle über das Territorium. Deren Führung musste im Juni 2012 ins Nachbarland Burkina Faso flüchten. Später schlugen die Tuareg-Verbände sich auf die Seite der ab ­Januar 2013 gegen die Jihadisten intervenierenden französischen Armee.

Am 29. uli 2012 wurde aus Gao erstmals die Vollstreckung von Amputa­tionsstrafen vermeldet. Am 5. ugust verhinderte eine protestierende Menge auf einem Platz in der Stadt Gao eine weitere Vollstreckung durch Anhänger des Mujao. In den Monaten darauf kam es jedoch zu weiteren Amputationen in der Region. In der Regel wünschten die Vollstrecker die Anwesenheit von Zeugen und versammelten beispielsweise an Markttagen eine Menschenmenge.

Daraufhin untersuchte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International akribisch die Anwendung dieser und anderer Körperstrafen, deren sofortige Einstellung sie im September 2012 forderte, und hörte dazu 97 Zeugen in Bamako und anderen Städten Malis. In den Norden konnten Ermittler damals nicht reisen, da er von jihadistischen Organisationen besetzt war. Diese wurden infolge der französischen Intervention in der ersten Jahreshälfte 2013 aus den städtischen Zentren vertrieben, blieben in der Region jedoch weiterhin aktiv. Seit zwei bis drei Jahren sind jihadistische Organisationen im Norden Malis wieder stärker präsent, bereits seit 2015 auch in der zentral ­gelegenen Region Mopti.

Im Oktober vorigen Jahres wurden rund 200 inhaftierte Jihadisten im Zuge des Freikaufs der französischen Geisel Sophie Pétronin aus Strafanstalten in Mali entlassen. Einer der strittigen Punkte bei den Verhandlungen war die Haftentlassung des vormaligen »Kommissars« der Sharia-Polizei des Mujao in Gao, des 2019 zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilten Aliou Mahamane Touré. Letztlich gelang es dem GSIM-Anführer Iyad ag-Ghali, auch ihn freizupressen. Einige der 200 Häftlinge waren schlicht zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen und aufgegriffen worden, was ag-Ghalis Freipressung von Häftlingen in Nordmali relativ populär machte. Der Großteil der dortigen Bevölkerung lehnt die Jihadisten zwar ab, doch ein Teil der männlichen Jugend lässt sich rekrutieren, unter anderem weil staatliche Behörden sich durch Korruption und Ineffizienz diskreditiert haben, aber auch wegen der ökonomischen Misere und der Aussicht auf ­einen relativ stattlichen Sold – daher droht sich die Hoffnung, dass die jihadistischen Organisationen an Bedeutung und Macht verlieren, vorerst nicht zu erfüllen.

Der Mujao existiert mittlerweile nicht mehr, doch einer seiner im Jahr 2012 gefürchtetsten Kader im Raum Gao, Adnan Abou Walid al-Sahraoui, ist mittlerweile ein Befehlshaber des »IS in der Großen Sahara«. Der in den siebziger Jahren Geborene stammt aus der marokkanisch besetzten Westsahara und war vormals bei der nichtislamistischen Guerillabewegung für die Unabhängigkeit der Westsahara, der Frente Polisario, aktiv, bevor er sich vor mindestens zehn Jahren dem Jihadismus zuwandte.

Über die Jihadisten im Norden Malis recherchierte der französische Journalist Olivier Dubois, ein freier Mitarbeiter unter anderem von Radio France Internationale. Er war mit einem Kader des GSIM, Abdallah ag-Albkaye, zu einem Interview verabredet, als er am 8.April in Gao entführt wurde. Allem Anschein nach erwiesen sich die Sicherheitsgarantien, die er erhalten hatte, als unzureichend. Am 5.Mai kam er in einem Bekennervideo zu Wort und gab an, vom GSIM entführt worden zu sein. Die NGO Reporter ohne Grenzen koordiniert seitdem in Frankreich die Kampagne für seine Freilassung. Es ist zu befürchten, dass dafür hinter den Kulissen erneut Geld an die Jihadisten gezahlt werden wird.