Trotz eines Putschversuchs gelingt ein demokratischer Machtwechsel im Niger

Artilleriefeuer vor der Premiere

Trotz eines Putschversuchs konnte der im Februar gewählte nigrische Präsident Mohamed Bazoum sein Amt antreten – in einem der ärmsten Länder der Welt, das vom islamistischen Terror bedroht ist.

Es war eine Premiere in der Geschichte des Niger, doch fast wäre sie im letzten Moment verhindert worden. Am Freitag vergangener Woche fand in Niamey, der Hauptstadt des westafrikanischen Staats, die erste Machtübergabe in demokratischem Rahmen statt. Noch nie zuvor hatte ein gewähltes Staatsoberhaupt in dem 1960 von Frankreich unabhängig gewordenen Land aus freien Stücken die politische Macht an einen gewählten Nachfolger übertragen; Amtsinhaber wurden bislang zumeist aus dem Amt geputscht.

Dazu wäre es auch dieses Mal beinahe gekommen. In der Nacht vom 30. zum 31. März waren gegen drei Uhr früh intensive Schusswechsel und Artilleriefeuer in der Nähe des Präsidentenpalasts zu hören. Angehörige einer auf einer benachbarten Luftwaffenbasis stationierten Militäreinheit versuchten, den Palast einzunehmen, wurden jedoch zurückgeschlagen. Der Putschversuch scheiterte, etwa 15 Soldaten wurden in diesem Zusammenhang festgenommen; der mutmaßliche Anführer, Hauptmann Sani Saley Gourouza, ist flüchtig.

Der ordnungsgemäß abgelöste Staatspräsident Mahamadou Issoufou war im März 2011 demokratisch gewählt worden. Er absolvierte zwei Amtszeiten von jeweils fünf Jahren und hielt sich an die Verfassung, die eine weitere Amtszeit untersagt. Zu seinem Nachfolger wurde bei der Stichwahl am 21. ebruar mit 55,75 Prozent der Stimmen Mohamed Bazoum gewählt, sein vormaliger Innenminister in den Jahren 2016 bis 2020. Die beiden sind seit 30 Jahren miteinander befreundet und gehören derselben Partei an, dem PNDS-Tarayya (Nigrische Partei für Demokratie und Sozialismus). Dies hat die friedliche Machtübergabe wohl erheblich erleichtert, ebenso wie die am Samstag erfolgte Ernennung des vormaligen directeur du cabinet – die Position entspricht der des deutschen Kanzleramtsministers – von Präsident Issoufou, Ouhoumoudou Mahamadou, zum Ministerpräsidenten.

Der PNDS-Tarayya wurde im Dezember 1990 gegründet, in jenem Jahr, in dem unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der realsozialistischen Einparteiensysteme im damaligen Ostblock in der Mehrzahl der französischsprachigen Länder in Afrika Mehrparteiensysteme eingeführt wurden; auch im Niger hatte seit der Unabhängigkeit die Herrschaft einer Einheitspartei bestanden. Die PNDS-Tarayya gehört der Sozialistischen Internationale an. Dadurch sichert sich die Regierungspartei internationale Verbindungen und Rückhalt. Grundlagen für eine klassisch sozialdemokratische Politik wie in europäischen Staaten bietet der Niger ­allerdings kaum: Er ist eines der ärmsten Länder der Welt, seine Wirtschaft beruht auf dem informellen Sektor und reguläre Arbeitsverträge haben Seltenheitswert.

Der erste demokratisch gewählte Präsident in der Geschichte des Niger war Mahamane Ousmane, der 1993 sein Amt antrat, aber 1996 durch einen Putsch gestürzt wurde. Er kandidierte bei der jüngsten Präsidentschaftswahl an der Spitze des Bündnisses RDR-Tchanji (Demokratische und republikanische Erneuerung) und behauptete, die Wahl sei nicht korrekt abgelaufen. Er sprach von Wahlbetrug, zog – erfolglos – vor das Verfassungsgericht, um das Wahlergebnis anzufechten, und rief seine Anhänger zu Demonstrationen auf, bei denen durch Polizeiein­sätze zwei Teilnehmer getötet sowie viele weitere verletzt oder festgenommen wurden.

Es gingen nicht ausschließlich Parteigänger Ousmanes auf die Straße, vielmehr wurden die Proteste von dem Oppositionsbündnis Cap 20/21 getragen. Ihm gehören unter anderem die als islamisch-konservativ geltende Partei Lumana und die panafrikanische »Demokratische nigrische Bewegung für eine afrikanische Föderation« an, die in der Hauptstadt Niamey eine Hochburg hat; ihr umstrittener Anführer Hama Amadou, der schon zweimal Premierminister des Landes war, zählt zu den Festgenommenen.

Vorbehalte gegen das offizielle Wahlergebnis sind nachvollziehbar, da der Wahlsieger bis vor einem Dreivierteljahr das Innenministerium kontrollierte, das die Wahlen organisiert hat. Belege für Manipulationen gibt es jedoch nicht. Ousmane hält den neuen Präsidenten aber auch aus einem anderen Grund für illegitim – Bazoum gehört keiner der größeren Sprach- und Bevölkerungsgruppen des Landes an. Er gehört der überwiegend in Libyen ­lebenden, in Niger nicht sehr zahlreich vertretenen Bevölkerungsgruppe der Oulad Souleymane an und ist für nigrische Verhältnisse hellhäutig. Ousmane appellierte wiederholt an seine Landsleute, keinen »libyschen Präsidenten« zuzulassen. Der aus dem Amt scheidende Präsident Issoufou hingegen bezeichnete es in seiner Abschiedsrede explizit als Zeichen der Modernisierung der Demokratie im Niger, dass eine solche Nachfolge möglich gewesen sei, und sprach von einer »Niederlage der identitären Parteien«. Traditionell folgt die politische Machtverteilung in den Staaten der Region sehr häufig ethnischen Vorgaben.

Bazoum hat auch mit anderen ernsthaften Problemen zu kämpfen. Am 31. ärz wurde eine der größten Uranminen des Landes geschlossen. Sie war von dem internationalen Konsortium Cominak unter französischer Führung mit japanischer und spanischer Beteiligung in der Nähe von Arlit in der Provinz Agadez betrieben worden. Es handelte sich um den wichtigsten Untertagebau, andernorts in derselben Provinz geht die Urangewinnung im Tagebau weiter. Die Vorkommen unter Tage galten als weitgehend erschöpft, ihre Förderung als nicht länger rentabel. 600 ständig beschäftigte ­Arbeitskräfte erhielten Entschädigungszahlungen, jedoch nicht die 700 ebenfalls dauerhaft beschäftigten prekär Angestellten und Leiharbeiter. Was mit den radioaktiv verseuchten Abraumhalden geschehen soll, ist ungeklärt.

Eine direktere Bedrohung ist der ­islamistische Terror. Jihadistische Attacken häuften sich in den vergangenen Wochen, so wurden am 21. März in der Nähe der Grenze zu Mali 141 Menschen ermordet. In seiner Rede zur Amtseinführung warf Bazoum den Jihadisten vor, Kriegsverbrechen begangen zu haben, und lehnte Verhandlungen ab. Aber die Armee ist nicht in der Lage, Angriffe zu verhindern, und die Aufstellung von Selbstverteidigungsgruppen in mehreren Landesteilen, die zum Teil nach Kriterien ethnischer Zugehörigkeit gebildet wurden, birgt neue Probleme.