Antje Schrupp, Journalistin und Politologin, im Gespräch über das Geschlechterverhältnis in der Kommune

»Es gab keine individu­ellen Rechte für Frauen«

Interview Von Kirsten Achtelik

Die Rolle der Frauen in der Pariser Kommune wird von Linken häufig übertrieben, das Interesse an dem was sie geschrieben haben, ist dagegen nicht so groß. Die organisierte feministische Bewegung übernahm wichtige Aufgaben in der Stadt, sie organisierte die laizistische freie Bildung, die Arbeiterinnen an ihren Produktionsstätten und große Teile der Lebensmittelversorgung. Feministinnen setzten sich dafür ein, dass die Trennung zwischen privat und öffentlich aufgehoben wurde und verbreiteten die Ideen der Kommune.

Frauen haben sich massenhaft an dem Aufstand der Kommune im Frühjahr 1871 in Paris beteiligt. An welchen Stellen waren sie von Bedeutung?

Die Kommune war wie alle Revolutionen des 19. ahrhunderts eine von Männern gemachte. Allerdings haben hier die Frauen im Vergleich schon eine größere Rolle gespielt. Ein wichtiger Grund dafür war, dass die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem bereits teilweise aufgehoben war durch die Belagerung und die damit verbundenen Versorgungsengpässe. Die preußische Armee belagerte die französische Hauptstadt ja bereits seit einem halben Jahr.

Welchen Einfluss hatte es, dass diese Trennung der Sphären verwischt war?

Die politische Situation hat unmittelbar auf die Haushalte durchgeschlagen. Organisationsformen wie Genossenschaften und Volksküchen wurden für die Versorgung und das Überleben enorm wichtig. Daran waren eben Frauen maßgeblich beteiligt, die so nicht mehr nur für Versorgung ihrer Familie verantwortlich waren, sondern für die Versorgung der Stadt.

Gab es weitere Gründe für die vergleichsweise wichtige Rolle der Frauen?

Eine Diskussion über die Rolle von Frauen in der Gesellschaft und der Politik war schon vor der Kommune in vollem Gang. In Frankreich war die Ideologie der »getrennten Sphären« erfunden worden, der zufolge der Platz der Frau im Haus und nicht in der Öffentlichkeit sei. Maßgebliche französische Intellektuellen wie Auguste Comte, Jules Michelet und Pierre-Joseph Proudhon haben dies vertreten, Bürgerliche und Sozialisten. In der Arbeiterbewegung herrschte die Meinung vor, dass Frauen zwar unterstützt werden sollten, aber eben in ihrer Rolle als Mütter und Ehefrauen, nicht als politische Individuen. Diese Ansicht war am Anfang auch in der Ersten Internationale und vor allem in deren französischer Sektion die Mehrheitsmeinung. Viele Frauen haben sich dagegen gewehrt, sie traten dafür ein, Frauen als Individuen und nicht nur als Familienmitglieder zu betrachten.

Wie hat sich das in der Kommune niedergeschlagen?

1868 wurde das Versammlungsgesetz gelockert, so dass politische Betätigung wieder möglich wurde; die Frauenfrage stand dabei ganz oben. Als die Kommune ausgerufen wurde, gab es eine frisch organisierte feministische Bewegung, in der 1866 gegründeten Société pour la revendication des droits de la femme (Gesellschaft für die Einforderung der Frauenrechte) waren spätere Kommunardinnen wie Louise Michel oder André Léo organisiert. Sie konnten ihre bereits diskutierten politischen Positionen auf die Kommune anwenden.

Die Proudhonisten verloren in der Arbeiterbewegung ab 1869 deutlich an Einfluss und eher profeministische Männer wie Eugène Varlin oder Benoît Malon, spätere Kommunarden, wurden wichtiger. Dadurch wurde die Internationale dann auch für Feministinnen wie André Léo oder Paule Minck interessant.

Welche Organisationsformen von Frauen gab es noch in der Kommune?

Viele Unternehmer hatten Paris und damit auch ihre Werkstätten verlassen. Diese Produktionsstätten hat die Kommune per Dekret in Kollektiveigentum umgewandelt, damit die Arbeiter diese selbst betreiben konnten. Bei Textilwerkstätten waren das vor allem Arbeiterinnen, dies hat die im April 1871 gegründete Union des femmes organisiert. Der zweite Bereich, bei dem die Kommune mit Frauen zusammenge­arbeitet hat, war die Reorganisation einer egalitären und laizistischen Bildung, auch für Mädchen.

Die sozialistische Union des femmes wurde zu einer der wichtigen Frauenorganisation der Pariser Kommune?

Ja, die noch sehr junge russische Sozialistin Elisabeth Dmitrieff spielt bei dem Aufbau dieser Organisation eine wichtige Rolle. Sie kam zum Aufstand nach Paris. Sie war eine sehr vehemente Verteidigerin der Kommuneregierung, an der sie keine Kritik gelten ließ. Dagegen haben die Französinnen, insbesondere André Léo, durchaus einzelne Maßnahmen kritisiert wie Pressezensur oder Prozesse gegen sogenannte Verräter. Die Französinnen sahen die männliche Regierung und ihre Gesetze skeptischer. Zum Beispiel hat die Kommuneregierung schnell Reformen für Frauen durchgeführt, uneheliche Kinder und unverheiratete Partnerinnen gleichgestellt und sich damit gegen die Ansichten der katholischen Kirche gewandt.

Aber sie hat keine individuellen Rechte für Frauen als Personen eingeführt, sondern hatte weiter nur Mütter und Partnerinnen in Blick. Für alleinstehende Frauen hat sich so nicht viel verbessert. Prostitution wurde verboten. Und es gab auch kein Frauenwahlrecht, entgegen einem Gerücht, das sich in den siebziger Jahren in der Linken verbreitet hat.

Warum hat die Kommune Prostitution verboten?

Soweit ich weiß, hat das keine Frauen- oder feministische Organisation gefordert, sie wollten eher soziale Hilfen für Sexarbeiterinnen und Schutz vor Polizeiwillkür. Aber im proudhonistischen antifeministischen Diskurs war Prostitution schon lange eine Chiffre für unmoralische Frauen geworden. Das Verbot entsprach diesem auch in der Arbeiterbewegung weitverbreiteten Bild. Zum Beispiel wurden Frauen, die nach Versailles (Sitz der republikanischen Regierung, Anm. d. Red.) gegangen waren, als Huren bezeichnet, die sich an die Regierung verkauften, während die »ehrbaren« Pariserinnen die Kommune unterstützten und ihre Kinder und Kämpfer versorgten.

»Viele Frauen traten dafür ein, Frauen als Individuen und nicht nur als Familienmitglieder zu betrachten.«

Was bedeutet die Kommune für heutige Linke?

Die Linke will sich zwar mit kämpferischen Frauen schmücken, sich aber nicht mit ihren Ideen inhaltlich auseinandersetzen. Auch jetzt zum Jahrestag lesen die Leute wieder »Der Bürgerkrieg in Frankreich« von Karl Marx. Dabei saß der in London und hatte wenig Ahnung davon, was in der Kommune tatsächlich passierte. Warum liest man nicht André Léo, wenn man sich mit der Zeit historisch beschäftigen möchte?

Aber deren Texte sind nicht mal auf Deutsch übersetzt. Seit den achtziger Jahren gibt es diese Lippenbekenntnisse von Linken, es sei so wichtig, was die Frauen gemacht haben, aber zu Veranstaltungen über Frauen in der Kommune kommen dann doch wieder nur Frauen.

 

 

Mit welchen der damaligen Positionen sollten Linke sich heutzutage eigentlich auseinandersetzen?

André Léo hat sich gegen die damals unter vielen Revolutionären verbreitete Ansicht gewandt, dass der Zweck die Mittel heilige. Sie hat gefragt, wie man die, die sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzen, von denen unterscheiden soll, die nur ihr eigenes Wohl im Sinn haben, wenn sich die einen verhalten wie die anderen.

Und auch für eine andere Frage ist sie interessant: Es war ja klar, dass die Kommune militärisch keinen Bestand haben würde. Die Option, eben gleich Versailles einzunehmen, hat es ja nie gegeben. Die Franzosen waren der deutschen Armee unterlegen, das hätte sich auch nicht geändert, wenn die Kommuneregierung übernommen hätte. Deshalb stellte sich von Anfang an die Frage: Wie gelingt eine Transformation, was kann so ein revolutionärer Akt bedeuten und bewirken?

Wird dann hauptsächlich nach anderen Regeln regiert oder sollte von so einem Moment nicht vielmehr Überzeugungsarbeit in die Gesellschaft ausgehen, dass Veränderung möglich ist?

Ist diese Überzeugungsarbeit der Kommune eher gelungen oder gescheitert?

Meiner Meinung nach ist sie gescheitert. Es gab ja Versuche, über Vortragsreisen oder aus der Stadt herausgeschmuggelte Flugblätter darüber zu informieren, was in Paris los war, und Unterstützung zu organisieren. Das hat aber nicht gereicht. Wenn ich heute sehe, dass eine Frau wie Louise Michel auf Tassen und Beutel gedruckt wird, ärgert mich diese Covergirl-Herangehensweise.

Man nutzt von Frauen nur das Bild zum Aufpolieren des eigenen linken Image, ohne aber ihre Ideen und Handlungen zu diskutieren. So wird das nichts mit der Revolution.

 

Antje Schrupp
Antje Schrupp ist Journalistin und Politologin. Sie hat 1999 ihre sozialgeschichtliche Dissertation »Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin: Frauen in der Ersten Internationale« veröffentlicht, die auch Frauen in der ­Pariser Kommune behandelt, und gilt als Expertin bei diesem Thema.