Die Bundesregierung will der Kohleindustrie entgegenkommen

Mit Kohlekraft gegen den Klimawandel

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will mit einem neuen Gesetz die Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerks ermöglichen und den Bau von Windrädern erheblich erschweren.

Deutschland soll die Stromgewinnung aus Kohle beenden. Doch wie und wann, ist höchst umstritten. Um das festzulegen, setzte die Bundesregierung im Juni 2018 die Kommission »Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung« ein, auch Kohlekommission genannt, die im Januar ihren ­Abschlussbericht vorlegte. Das Gremium, dem Politiker, Wirtschaftsvertreter, Klimaforscher und Umweltschützer angehörten, hat einen Kompromiss formuliert, dem fast alle Mitglieder zustimmten. Erst 2038 soll Deutschland die Kohleverstromung vollständig einstellen. Das sei zu spät, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, sagen Klimaschützer. Die bisherigen Kohleregionen sollen Strukturhilfen in Milliardenhöhe erhalten, die Energieunternehmen dürfen mit Entschädigungen für die Abschaltung der Kohlekraftwerke rechnen.

Vergangene Woche, ein Dreivierteljahr nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Kohlekommission, legte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Entwurf für ein erstes Kohleausstiegsgesetz vor. Die Empfehlungen der Kohlekommission finden sich darin kaum wieder. Zum Ausstieg aus der Braunkohle wird fast nichts gesagt. Dabei gibt es gerade in diesem Bereich drängende Fragen: Wie geht es beispielsweise mit den Dörfern am Rand des Tagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen weiter? In der derzeitigen Planung sind sie für die Abbaggerung freigegeben. Umsiedlungen in neue Dörfer, die meist Vorstadtsiedlungen gleichen, laufen weiter. Größere Ambitionen beim Kohleausstieg könnten verhindern, dass die Dörfer verschwinden müssen. Doch die Bundesregierung verhandelt noch mit den Kraftwerksbetreibern. Es geht unter anderem darum, an welchen Standorten die von der Kohlekommission vorgesehene Abschaltung von insgesamt 3 000 Megawatt Kraftwerksleistung bis 2022 erfolgen und wie hoch die Entschädigung ausfallen soll, die die Unternehmen dafür bekommen.

Dass die Energieunternehmen nicht in kleinen Dimensionen denken, machte der Vorstandsvorsitzende von RWE, Rolf Martin Schmitz, in einem ­Interview mit dem Deutschlandfunk deutlich. Wenn der Hambacher Forst erhalten werden solle, dann koste das 1,5 Milliarden Euro zusätzlich. Diese Kosten entstünden eben durch den Kohleausstieg, sagte Schmitz. Politik und Gesellschaft müssten sich der Konsequenzen des Ausstiegs bewusst sein. Schmitz und sein Konzern wollten lediglich »fair behandelt werden« – und das erfordere nun einmal Entschädigungen.

In Altmaiers Ausstiegsgesetz geht es vorrangig um den Ausstieg aus der Steinkohlenutzung. Der Entwurf enthält unter anderem einen Passus, der wie gemacht für das im nördlichen Ruhrgebiet liegende Kraftwerk Datteln 4 erscheint. Das Gesetz enthält zwar ein Neubauverbot für Stein- und Braunkohlekraftwerke. Das gilt jedoch nicht für geplante Kraftwerke, die bereits ­genehmigt sind. Genau das trifft auf Datteln 4 zu. Das Steinkohlekraftwerk des Konzerns Uniper, der aus dem Unternehmen Eon hervorgegangen ist, sollte ursprünglich schon im Jahr 2011 ans Netz gehen. Klagen von Anwohnern und Umweltverbänden verzögerten das Vorhaben allerdings. Den Kraftwerksbetreiber störte das nicht, es wurde einfach weiter gebaut, weshalb das Kraftwerk zeitweilig als Deutschlands größter »Schwarzbau« galt.

 

In der nordrhein-westfälischen Politik wurde und wird heftig über das Kraftwerk gestritten. Die Planung fand in der Zeit einer schwarz-gelben Landesregierung statt, die darauffolgende rot-grüne Koalition erklärte Datteln 4 für gescheitert. Mittlerweile regieren wieder CDU und FDP und das Kraftwerk soll im kommenden Jahr in Betrieb gehen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hält das für ein Gebot der Vernunft. Das Kraftwerk stoße schließlich weniger CO2 aus als alte Kraftwerke, die dafür vom Netz gehen könnten. Außerdem müssten dem Kraftwerksbetreiber sonst Entschädigungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro gezahlt werden, so die Argumentation des Ministerpräsidenten. Kohlegegner wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und das Bündnis »Ende Gelände« planen Proteste gegen die von Uniper für den Sommer 2020 avisierte Inbetriebnahme des Kraftwerks. Zwangsabschaltungen für Steinkohlekraftwerke sind im Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums nicht vorgesehen. Die Bundesregierung will sich mindestens bis 2026 darauf beschränken, Kraftwerksbetreiber mit Hilfe von Prämien zu Abschaltungen zu veranlassen.

Bei der Windenergie geht es nicht so zwanglos zu. In Altmaiers Entwurf finden sich auch Neuregelungen für Windkraftanlagen. Herausstechend unter ihnen ist eine neue Abstandsregel. Ab einer »zusammenhängenden Bebauung mit mehr als fünf Wohngebäuden« soll künftig ein Mindestabstand von 1 000 Metern gelten. Das ist schlecht für den Ausbau der Windkraft, denn ein Großteil der bislang geeigneten Flächen für neue Anlagen fiele dann weg. Auch für das sogenannte Repowering, bei dem alte Anlagen durch neue, leistungsstärkere ausgetauscht werden, soll die 1 000-Meter-Regel gelten.

Der Windenergieverband BWE ist erwartungsgemäß wenig begeistert von dem Gesetzentwurf. »Die Festlegung auf 1 000 Meter hat keinen Bezug auf die tatsächlichen Immissionen der Anlage am spezifischen Standort, sondern ist ein willkürlicher politischer Kompromiss, mit dem der Ausbau der Windenergie, besonders im Fall der sehr engen Auslegung des Referentenentwurfs, beinahe zum Erliegen kommen wird«, sagte der Verbandspräsident Hermann Albers. Die Neuregelung käme für die Branche zur Unzeit. Wegen fehlender Aufträge haben bereits mehrere Unternehmen Arbeitsplätze abgebaut. Zuletzt kündigte das Unternehmen Enercon an, im Frühjahr 3 000 Stellen zu streichen.
Doch nicht nur die Windkraftlobby kritisierte den Entwurf. In einem gemeinsamen Brief sprachen sich auch der Bundesverband der Deutschen ­Industrie (BDI), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und andere Ver­bände gegen die Einschränkungen aus. Diese stellten »die Realisierbarkeit sämtlicher energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung in Frage«, heißt es in dem Brief. Die Umweltministerkonferenz forderte Ende vergangener Woche in Hamburg in einem gemeinsamen Beschluss die Bundesregierung zum Verzicht auf eine deutschlandweite Abstandsregelung auf. Diese sei »ein falsches Signal für den aktuell ohnehin fast zum Erliegen gekommenen Ausbau der Windenergie an Land«. Die Bundesregierung vertagte ihren Beschluss über das neue Gesetz auf Anfang Dezember.