Die Erfolgsgeschichte des Strandkorbs

Die wohl schönste Art, Touristen aufzubewahren

Am Anfang stand nur ein umgekehrter Kartoffelkorb im Sand vor Rostock. In der Gründerzeit entstand die Idee, ein praktisches Strandmöbel herzustellen. Dieses wurde im Massentourismus populär. Die leicht windige Geschichte des Strandkorbs.

Total versalzen schmeckendes Wasser. Ständig überall Sand. Riesengroße Möwen, die mit ihren bedrohlichen Schnäbeln nur wenige Meter entfernt arme kleine Fische tothacken. Alles voll mit langweiligen Erwachsenen. Großer Ärger, wenn man aus Versehen die nachbarliche Strandburg kaputtmachte. Seesterne, die partout nicht mit Keksen gefüttert werden wollten.

Für ein kleines Kind, das mit Bilderbüchern auf den ersten Urlaub am Meer vorbreitet worden war und entsprechend nichts Geringeres als ständigen Spaß mit viel Plantschen und Sandbuddeln erwartet hatte, drohte die Sache zu einer ziemlichen Enttäuschung zu werden – wäre da nicht dieses Wunderding gewesen, das so viele Geheimnisse barg. Versteckte Schubladen, zum Beispiel, ­sowie Sachen, an denen man ziehen oder die man ausklappen konnte. Und in das man sich verkriechen konnte, wenn gerade niemand zum Spielen da war.

Eines stand damals fest: Wenn man mal groß ist, dann wird man auf ­jeden Fall einen eigenen Strandkorb haben, am besten einen gelb-weiß ­gestreiften oder vielleicht auch einen in Rotweiß, das wird man dann ­sehen.
Viele Jahre später ist es soweit: Zum ersten Mal wird im Westostsee-­Frühjahrsurlaub ein Strandkorb angemietet, gegen immensen Widerstand, denn was wolle man denn mit dem Ding, ein Strandtuch reiche doch völlig aus.

Nachdem das mit einem Schloss gesicherte Gitter entfernt ist, kann mit der Inspektion begonnen werden. Alles da: der ausklappbare Sonnenschutz, die ausziehbaren Dingse, auf die man Beine legen kann, das ebenfalls ausklappbare Brettchen, das zu einem kleinen Tisch wird, die Griffe an den Seiten, die man dazu benutzen kann, den Korb in Richtung Sonne zu drehen, und sogar der Handtuchhaken, an dem man sich ganz wunderbar den Kopf stoßen kann.
Und, natürlich, der gestreifte – in diesem Fall blau-weiße – Plastik­bezug, auf den allerdings sofort ein Handtuch gelegt wird, denn man weiß ja nie, nicht dass er erst am Saisonende gewaschen wird.

Begonnen hatte die Geschichte des Strandkorbs nicht am Meer, sondern in den zugigen Häusern wohlhabenderer Bürger und Bauern in den Niederlanden und in England.

Perfekt. Und höchste Zeit, sich mit den wirklich wichtigen Fragen zu ­beschäftigen: Wer hat eigentlich den Strandkorb erfunden?

Allgemein durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass Wilhelm Bartelmann sein Erfinder war. Der Rostocker Korbmacher hatte angeblich von Elfriede von Maltzahn den Auftrag erhalten, einen Stuhl für den Warnemünder Strand zu fertigen. Die ­ältere Frau litt an Rheuma und wollte sich vor Wind und Wetter schützen, heißt es, einen Beleg für diese Geschichte gibt es allerdings nicht.

Bartelmann baute den Strandstuhl wohl zur völligen Zufriedenheit ­seiner Kundin. Erst eine Idee seiner Frau Elisabeth brachte auch den ­finanziellen Erfolg, denn sie traf, so Wikipedia, »1880 in Graal den Korbmacher Johann Schaft und ermutigte ihn, die ihr gezeigten Strandsitze weiter zu verbessern«, um die Körbe dann an Touristen vermieten zu ­können.
Aber halt, ganz so einfach ist die Geschichte vielleicht doch nicht.

»Seit einigen Jahren nimmt unsere Familie es hin, dass Herr Bartelmann von der Erfindung des Strandkorbes spricht, die jedoch nicht auf das Konto seiner Familie geht«, beginnt ein Eintrag unter dem Titel »Die Geschichte des Strandkorbs« auf der Website www.schagepa.de. Der wirkliche Erfinder sei nämlich der bei Wikipedia erwähnte Johann Schaft gewesen, der »den ersten geschützten Strandstuhl in Graal-Müritz gefertigt hat«. Und dessen Sohn Fritz »entwickelte diesen ersten Sitzkorb zu dem heute noch bekannten Zweisitzer und klappbaren Liegestrandkorb«. In der Ostsee-Zeitung sei dies bereits 1959 in einem Artikel von Klaus Jaster zu lesen gewesen, der unter der Überschrift »Die große Erfindung eines Kröpeliners« erschienen sei. 1970 sei darüber hinaus auch ein entsprechender Artikel in der Wochenpost veröffentlicht worden. Außerdem: »Herr Wilhelm Bartelmann, dem diese Erfindung fälschlicherweise zugeschrieben wird, betrieb damals in Warnemünde ein Handelsgeschäft für Kurzwaren, Geschenkartikel und Souvenirs.«

Es folgt eine längliche Schilderung des Lebenswegs von Johann Schaft. In dem ebenfalls eine an Rheuma (und darüber hinaus an Gicht und Asthma) leidende Frau vorkommt, nämlich Emilie, die er 1864 geheiratet hatte. Zur Linderung ihrer Beschwerden fuhr die Familie jahreland nach Graal, nahe Rostock, wo Johann ­eines Tages auf die Idee gekommen sei, ihr »einen umgekehrten Kartoffelkorb« als Sitzgelegenheit zu basteln. 1878 sei dann eine Frau Bartelmann aufgetaucht, die zwei dieser Körbe bei Schaft bestellt habe und die umgehend an Touristen vermietet habe.

Fritz Schaft, Johanns Sohn, habe dann 1886 bei der Firma Bartelmann als Korbmacher angefangen, dort an der Erfindung des Vaters weiterge­arbeitet und den klappbaren Zweisitzer entwickelt. Außerdem habe er daran »gebastelt, herausziehbare Fußstützen, kleine klappbare Seitentischchen und Armlehnen anzubringen«. Fritz weiter: »Max Zwirnmann und ich nahmen als Mitglieder des Holzarbeiterverbandes an der 1. Mai-Demonstration 1907 teil. Daraufhin wurden wir von Herrn Wilhelm Bartelmann fristlos entlassen.« Er habe dann bei der Korbmacherfirma ­Karenz als Meister weitergearbeitet, die eigentlich Munitionskörbe her­gestellt habe. »Mir unterstanden 30 Männer und Frauen, die ich in der Herstellung des Strandkorbes unterweisen musste. Die Fabrik Lawrenz lieferte die Strandkörbe in alle deutschen Ostseebäder und exportierte den begehrten Artikel nach Dänemark und Holland.«

Streng genommen waren aber weder Schaft noch Bartelmann diejenigen, die zuerst auf die Idee kamen, Menschen an Meeresstränden in geflochtene Körbe zu setzen. Bereits 1871 hatte der Korbmacher Ernst Karl Nikolaus Freese ein Musterbuch veröffentlicht, in dem er einen Strandstuhl skizziert hatte, der mit Weiden und Peddigrohr überdacht und mit Ölfarbe lackiert war. »Das Dach ist mit starker Leinwand überzogen und mit Öl getränkt, damit es gegen Wind und Regen genügend Schutz bietet.«

Und dann ist da noch die Insel ­Norderney, die 1873 insgesamt 800 Reichstaler für »Strand- und Badeinventar« ausgeben wollte, zu dem unter anderem Strandkörbe zählten. Für eine angebliche niederländische Bestellung von Ein- und Zweisitzer-Strandkörben bei Handwerkern auf Norderney im Jahr 1875 findet sich im Nationaal Archief allerdings kein ­Beleg. Strandkörbe sind dort – also weit weg von Schaft und Bartelmann – jedenfalls gut dokumentiert, in der Gartenlaube erschien 1881 ein Artikel über die Insel, in dem es heißt, dass »Männlein und Fräulein« nicht nur promenierten, sondern auch »in den wunderlich geflochtenen Strandkörben vor Wind und Sonne geschützt« säßen. Illus­triert wurde der Beitrag unter anderem von einer Zeichnung des Landschaftsmalers Franz Schreyer mit dem Titel »Strand bei Ebbe auf Norderney. Villa Knyphausen und Villa Fresena«. Die Körbe stehen auf dem 1880 entstandenen Bild nicht am Strand verteilt, sondern zusammengedrängt, während im Vordergrund Urlauber am Meer spazieren gehen. Eine lebhaftere Szenerie wählte der Maler und Illustrator ­Arthur Langhammer für seine ein Jahr später angefertigte Zeichnung »Strand auf Norderney«, sie zeigt spielende Kinder, Hunde, promenierende Familien und fünf ovale Strand­körbe, in denen ausschließlich Frauen sitzen.

Wikipedia zufolge ist der Strandkorb ganz klar eine rein deutsche Angelegenheit, unter der Zwischenüberschrift heißt es dort explizit: »Für das Wort Strandkorb gibt es zudem keine Übersetzung in anderen Sprachen.« Das ist nicht ganz richtig, denn auf Englisch heißt er hooded beach chair, auf Dänisch und Norwegisch strandkurv und auf niederländisch strandkorf oder tuinkorf, letzteres Wort bedeutet auf Deutsch ­»Gartenkorb«.

In den Niederlanden waren Strandkörbe lange Zeit ähnlich beliebt wie in Deutschland. Die Bilder, die Max Liebermann 1908 bei seinem – alljährlichen – Sommerurlaub in Nordwijk malt, zeigen teilweise dicht ­gedrängt am Strand stehende Körbe, die teils mit Fahnen geschmückt sind. Aus manchen ragen Beine heraus, um einige herum wurden Burgen gebaut. Eine Postkarte aus dieser Zeit zeigt allerdings, dass die Nord­wijker Strandkörbe starre Konstruktionen waren, deren Rückenlehne nicht verstellbar war.

Auf einer kolorierten Karte aus dem Jahr 1906 vom Strand von Scheveningen sind die Strandkörbe dagegen eher porter’s chairs, in denen jeweils nur Platz für eine Person ist. In einem der Körbe steckt ein gelber Sonnennschirm, denn über Markisen vefügen sie nicht.

In den Wintermonaten verschwinden die Strandkörbe zumeist in dunklen Lagerhallen, mit Beginn der Saison werden sie wieder hervorgeholt.  Längst sind sie auch als Gartenmöbel äußerst beliebt, man kann sie in auf hochwertiges Mobiliar spezialisierten Geschäften und auch online in diversen Ausführungen kaufen.

In der dänischen Wikipedia ist der Eintrag zum Thema »Strandkurv« bemerkenswert kurz. »Strandkörbe werden meistens an Küsten mit viel Wind benutzt«, heißt es dort, und dass auf Sild (deutsch: Sylt) jeden Sommer 11 000 Exemplare aufgestellt würden. Allerdings kämen sie eben nicht nur in Deutschland vor: »Strandkörbe findet man auch in anderen europäischen Ländern und in Dänemark. Unter anderem werden sie auf den Inseln Fanø und Rømø vermietet.«
Um 1900 waren Strandkörbe auch in Dänemark gebräuchlich. Auf alten Fotos unterscheiden sich dänische Strände zu dieser Zeit nur durch die aufgezogenen Flaggen von ihren deutschen Pendants – die Körbe waren schließlich umringt von penibel gebauten Sandburgen.

Begonnen hatte die Geschichte des Strandkorbs allerdings nicht am Meer, sondern in den zugigen Häusern wohlhabenderer Bürger und Bauern in den Niederlanden und in England. Und vor französischen Schlössern beziehungsweise an den Mauern von Bastionen. Denn das, was im Englischen heute noch porter’s chair heißt, war dort seit dem Mittelalter gebräuchlich, in Frankreich wurden sie erst etwas später als guérites bekannt. Mit ihren hohen Rücken- und Seitenteilen waren sie vor allem dazu gedacht, invalide und alte Menschen vor Zugluft und Kälte zu schützen. Eindeutig waren diese ­Sitzgelegenheiten von Wachhäuschen inspiriert. Diese kleinen Boxen aus Holz standen vor den Eingängen von Palästen, Kasernen und wichtigen Gebäuden und schützten die Torwachen vor der Witterung.

Die porter’s chairs standen neben den Eingangstüren und waren meist aufwendig mit hochwertigem Leder oder rotem Samt bezogen – schließlich waren sie oft das Erste, was Gäste und Besucher zu Gesicht bekamen. In ihnen saßen porters, Diener, die als Türwache arbeiteten.

 

In seinem 1857 in London erschienenen Buch »The Household Manager« beschreibt Charles Pierce die Arbeit eines hall porter als eine Art ­Security-Job, denn die Aufgabe dieses Angestellten bestand nicht nur darin, Besucher zu empfangen, sondern auch darin, sie gegebenenfalls abzuwimmeln. Gerade bei großzügigen und etwas naiven Arbeitgebern sei es wichtig, sie vor Menschen mit finsteren Absichten zu schützen.

Die Pförtner waren meistens rund um die Uhr auf ihren Posten und aßen und schliefen dort auch. Entsprechend waren manche der porter’s chairs mit Schubladen ausgerüstet, die unter den Sitzen angebracht waren, in denen wichtige Gegenstände verstaut werden konnten – in manchen Fällen sogar heiße Kohlen, die dafür sorgten, dass die Wächter nicht froren. Ihr Arbeitsplatz in der großen, nur spärlich eingerichteten und kaminlosen Eingangshalle neben der Tür war schließlich besonders kalt und zugig.

Dazu waren sie häufig mit einem hinged shelf, einem ausklappbaren Brett, versehen, an dem eine Laterne angebracht werden konnte – eine Idee, die später auch von Strandkorbherstellern aufgenommen wurde.

Aber die porter’s chairs zeichneten sich noch durch eine weitere Besonderheit, sie waren hooded, also oben mit einer Art Kapuze versehen, und das nicht nur, um den Türsteher vor Kälte zu schützen: Die Konstruktion bot bessere Akustik und einen größeren Resonanzraum, was nicht ganz unwichtig war, falls der Wächter beispielsweise um Hilfe schrie.

Die Strandburgen, mit denen Elemente des Nationalsozialismus spielerisch vorweggenommen wurden, sind in den meisten deutschen Urlaubsorten mittlerweile verboten.

Der geschützte Sitz war jedoch nicht nur den Pförtnern vorbehalten. Eine der frühesten Abbildungen ­eines Stuhls, der einem Strandkorb ähnelt, stammt von Jacob Jordaen. Der flämische Barockmaler zeigt auf seinem heute in der Münchner ­Alten Pinakothek hängenden Bild »Der Satyr beim Bauern« (1620/21) ­einen Sitzkorb, in dem eine ältere Frau mit einen kleinen Jungen auf dem Schoß hockt. Dieser Korb ist schmaler als die heute gebräuch­lichen Strandsitzmöbel, weist aber erstaunliche Ähnlickeiten zu dem auf, was noch heute als Orkney hooded chair verkauft wird.

Das Archipel der Orkney Islands wurde von Bauern und Fischern bewohnt, die mit nicht ganz einfachen klimatischen Bedingungen zu kämpfen hatten – die Durchschnittswindgeschwindigkeit beträgt im Winter 52 Stundenkilometer. Zudem gab es dort viele Jahrhunderte lang kaum Bäume – ab 3500 v. Chr. waren die dort ursprünglich großen Baumbestände aufgrund sowohl klimatischer Änderungen wie auch menschlicher Aktivitäten immer weiter zurückge­­­gangen, bis schließlich kaum ­noch ­Bäume ­dort wuchsen. Während die Einwohner ihre Häuser notgedrungen aus Steinen bauen mussten, waren sie bei der Fertigung von Möbeln auf andere Ressourcen wie Stroh, Strandhafer und Treibholz angewiesen. Und sie bauten daraus unter anderem Stühle mit hochgezogenen Rückenlehnen, Schubladen und Kapuzen, die Ende des 19. Jahrhunderts David Kirk­ness als Vorlage für ein eigenes Modell benutzte. Ein ebenfalls in Kirkwall, der größten Stadt der Orkneys, ­ansässiger Exzentriker und Philanthrop namens George Hunter Mac­Thomas Thoms war von dem Stuhl so begeistert, dass er half, ihn zu einem der erfolgreichsten Exportartikel der Inseln zu machen. Bereits 1890 ging bei ihm eine große Bestellung des Londoner Warenhauses Liberty ein.

Im heutigen Strandkorb am Ostseestrand sitzend, fällt plötzlich auf, dass etwas fehlt: die Strand- oder Sandburg. Um die – in aller Regel gemieteten – Strandkörbe herum wurden an Deutschlands Stränden gerne kreisrunde oder viereckige Wälle errichtet. Für die Strandkorbvermieter war der Baudrang deutscher Urlauber ein lohnendes Zusatzgeschäft, denn sie konnten gegen Gebühr die Gerätschaften verleihen, die für erfolgreiche Burgarchitekten wohl ­absolut notwendig waren.

Dazu gehörten Schaufeln, mit denen um den Korb herum Sand für die Wallanlagen ausgehoben wurde. Und Gießkannen, mit denen die Mauern gegossen wurden, damit der lose Sand nach dem Trocknen dort blieb, wo er hingehörte. Ferner rechteckige Bretter mit Handgriff, die dazu genutzt wurden, den feuchten Sand zu glätten, damit ein ordentlicher Eindruck entsteht. Eindruck zu machen, war wohl immens wichtig, jedenfalls bei ehrgeizigeren Familien. Je nach Bildungsgrad oder Geltungsdrang brachten die auf ihrer Burg Muschelmosaike an, auf denen ihr Stadtwappen, lateinische Sinnsprüche oder lustige Bilder zu sehen waren. Jedenfalls, bis irgendein verträumtes kleines Kind aus Versehen über die Anlage stolperte und alles kaputtmachte.
Weit ernster wurde die Sache mit den Sandburgen allerdings seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts genommen. Der Kunstwissenschaftler Harald Kimpel erzählte 2013 in einem Interview in der Zeit, die Strandburg »sei schnell politisch« geworden: »1870 / 71 zum Beispiel, das junge Kaiserreich zeigte Flagge an den gefährdeten Randzonen des Reiches. Man befand sich an der Wasserfront. Und man demons­trierte hier die Verteidigungsbereitschaft in einer Art von Schützengraben.« Kimpel führte weiter aus, in den Jahren des deutschen Faschismus habe sich gezeigt, »dass der Ordnungswahn dieser Jahre auf die Strandburg durchschlug. Das nette Rund gewann Geradlinigkeit als Ausweis der Linientreue. Und was das Dekor ­anging, wurde auch der Führer nett an die Abhänge der Burgen gemuschelt.«
Dazu passt, was heute auf einer Postkartensammlerseite angeboten wird: Eine 1938 verschickte Karte zeigt den Strand des Ostseebads Grömitz. Die Strandburgen ähneln ­akkurat gemauerten Befestigungsanlagen, einige sind viereckig, ­manche rund, die darin stehenden Körbe und die gehissten Fahnen sind nur undeutlich zu erkennen. Schaut man nur flüchtig hin, wirkt die Szene wie eine Ansammlung von aufs Meer gerichtete Kanonen­türmen inmitten von Schützengräben.
Erholungsorte für alle sind die Bäder an der deutschen Ost- und Nordsee ohnehin nie gewesen.
Am 13. Juli 1939 war ein Strandkorb am Ostseestrand von Ahlbeck/­Heringsdorf Schauplatz einer Verzweiflungstat. Die Jüdin Ilse Fröhlich und ihr nichtjüdischer Verlobter Rudolf Marx begingen gemeinsam Selbstmord – genauer: Marx erschoss erst Fröhlich und dann sich selbst. Einen Tag zuvor hatte die 20jährige einen Abschiedsbrief an ihre Eltern verfasst. »Denkt daran, dass wir jetzt glücklich sind«, schrieb sie darin. Die Liebenden waren Opfer des ­nationalsozialistischen Rassenwahns. Seit 1935 waren die Heirat zwischen Juden und Nichtjuden sowie »außerehelicher Verkehr« zwischen ihnen verboten, bei Zuwiderhandlungen drohten Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen.
In manchen Badeorten wären die beiden aber auch vor der Nazizeit nicht erwünscht gewesen; auf Borkum war man zum Beispiel schon 1897 stolz darauf, dass Juden dort offiziell als unerwünscht galten, täglich spielte dort die Kurkapelle das eigens gedichtete Borkum-Lied, dessen ­antisemitischer Text von den Urlaubern begeistert mitgesungen wurde. In der Weimarer Republik galten ­lediglich Helgoland, Westerland, Wyk auf Föhr, Heringsdorf und mit ­Abstrichen Noderney als leidlich »judenfreundlich«.
Die Strandburgen, mit denen ­Elemente des Nationalsozialismus spielerisch vorweggenommen wurden, sind in den meisten deutschen Urlaubsorten mittlerweile verboten. Burgen werden nur noch im Rahmen von Wettbewerben gebaut, die zur Bespaßung der Erholungssuchenden regelmäßig ausgetragen wurden, aber vermutlich wesentlich unin­teressanter sind, als in einem ­Strandkorb zu sitzen und aufs Meer zu gucken.

Wobei – am heißesten Tag des Juni einen Korb zu mieten, war keine wirklich gute Idee. Dreht man ihn nämlich bei Temperaturen von über 25 Grad in Richtung Sonne, entwickelt sich die von wem auch ­immer erfundene Konstruktion rasch zu einer kleinen, leistungsfähigen Sauna, was vor allem deswegen sehr unangenehm ist, weil das blöde Handtuch natürlich ständig vom blau-weiß gestreiften Plastik rutscht und man dann daran festklebt. Aber man kann sich prima in den Schatten des Strandkorbs legen, was auch ganz schön ist. Und außerdem sieht er wirklich sehr gut aus, denn mittlerweile sind die Körbe nicht mehr ­naturbelassen beige, sondern weiß gestrichen, was in Kombination mit blauem Meer und Sand ein ausgesprochen hübscher Anblick ist. Aber gut war es trotzdem, für ein paar Stunden stolze Mieter eines Strandkorbs zu sein. Denn nachts zu zweit darin zu sitzen, rosafarbenen Champagner zu trinken und dem Meer beim Meersein zuzuhören, ist ziemlich unschlagbar.