Sieg im Sparkrieg. Zum G20-Gipfel in Toronto

Sieg im Sparkrieg

Das Ergebnis des G20-Gipfels in Toronto wird als Erfolg für Angela Merkel bezeichnet. Zu Recht, doch aus den falschen Gründen.

Zunächst sah es so aus, als stünde es in Toronto 1:19 gegen Deutschland. Kaum jemand wollte die penetranten Mahnungen der Kanzlerin Angela Merkel und ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble noch hören. Vielmehr waren die meisten Regierungen der Ansicht, dass die Deutschen lieber die Binnennachfrage fördern sollten, statt ihre falsche Politik auch noch anderen aufzuschwatzen. Dass die Regierungen der G20 in ihrer Abschlusserklärung zum Gipfeltreffen in Toronto zwar die Absicht bekunden, die »Bedingungen für eine robuste private Nachfrage« zu schaffen, die »fortgeschrittenen Ökonomien« aber auch versprechen, ihre Budgetdefizite bis zum Jahr 2013 um mindestens 50 Prozent zu reduzieren, wird daher in Deutschland als Merkels Sieg im Spar­krieg gefeiert.
Merkel nennt die beschlossene Politik einen »wachstumsfreundlichen Defizitabbau«, man will mehr Geld ausgeben und zugleich weniger Geld ausgeben. Es ist zwar theoretisch möglich, das Haushaltsdefizit zu verringern und gleichzeitig die Binnenachfrage zu fördern, allerdings nur, wenn man die Staatseinnahmen erhöht. Da die Binnennachfrage nur steigt, wenn den Lohnabhängigen mehr Geld zur Verfügung steht, müssten hohe Einkommen und Vermögen erheblich stärker besteuert werden. Das aber beabsichtigen weder Merkel noch US-Präsident Barack Obama.
Die meist als Kompromiss bezeichnete Formel dürfte also bedeuten, dass weiterhin jede Regierung tun wird, was sie für richtig hält. Die US-Regierung möchte die Staatsschulden kurzfristig erhöhen, das so erzeugte Wachstum soll dann höhere Steuereinnahmen bringen, die eine Senkung des Defizits ermöglichen. Doch bislang haben die höheren Einnahmen, die im Übrigen keineswegs garantiert sind, nie ausgereicht.
Die Bundesregierung hingegen hält die »fiskalische Verantwortlichkeit« für entscheidend, um die Krise zu überwinden. Doch einer stetig wachsenden globalen Produktion muss eine ebenso wachsende Nachfrage gegenüberstehen. Würde eine nennenswerte Zahl von Regierungen auf die deutschen Ratschläge hören, wäre eine Rezession unausweichlich. Weiterhin aber sollen die anderen kaufen, was die Deutschen produzieren. Sparen sollen sie nun auch noch.
Die Haltung der US-Regierung ist nicht nur deshalb sympathischer, weil sie weniger nationalborniert ist. Wie fast alle Regierungen der Welt bekundet sie zumindest die Absicht, den Lohnabhängigen mehr Geld zukommen zu lassen. Überdies wird der Kongress wohl noch im Juli ein Gesetz über die Regulierung des Finanzmarkts verabschieden. Die Inder können darüber nur milde lächeln, sie haben trotz des jahrzehntelangen Drängens westlicher Regierungen an einer staatlichen Kontrolle der Finanzbranche festgehalten. Deshalb bedurften indische Banken keiner Rettungspakete, und die Regierung ist der Ansicht, dass sie auch die von Merkel propagierte Finanztransaktionssteuer nicht braucht. Der globale Einbruch der Nachfrage hat die verarbeitende Industrie in Ländern wie Indien schwer geschädigt. Die Bankenkrise ist jedoch eine US-amerikanische und europäische Angelegenheit.
Die Finanztransaktionssteuer gilt in Deutschland als fortschrittlich, weil auch Attac sie fordert und die globalisierungskritische Organisation als fortschrittlich gilt. Sie aller Welt aufdrängen zu wollen, obwohl vor dem Gipfel klar war, dass die meisten Regierungen sie ablehnen, war innenpolitisch klug, weil so weiter die Legende verbreitet werden kann, »neoliberale« Staaten würden es den gutwilligen Deutschen unmöglich machen, die »Spekulanten« zu bekämpfen. Es ist jedoch die Bundesregierung, die, im Jargon der deutschen Wirtschaftsesoterik ausgedrückt, erstmal »ihre Hausaufgaben machen« müsste. Der eigentliche Sieg Merkels besteht darin, dass sie weiterhin eine Regulierung des Finanzmarkts vermeidet und dennoch als unverstandene Retterin der Welt vor der »Gier der Spekulanten« posieren kann.