Jospins Neokolonialismus

Frankreichs Linksregierung paßt ihre Afrikapolitik neuen Gegebenheiten an - nach Rezepten der Vorgänger

In den letzten Tagen des Juli war der französische Verteidigungsminister Alain Richard in mehreren Staaten des frankophonen Afrika unterwegs. Seine Mission: den Staatsoberhäuptern Gabuns, des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik die absehbaren Veränderungen in der französischen Militärpräsenz auf dem afrikanischen Kontinent zu vermitteln. Diese soll in den kommenden Jahren um rund 40 Prozent verringert werden, was den Abbau der französischen Truppen von derzeit 8 360 auf rund 5 000 Mann bedeutet. Der Parti Socialiste (PS), stärkste Formation innerhalb der regierenden rosa-rot-grünen Linkskoalition, hatte vor den Parlamentswahlen von Mai/Juni 1997 - damals als Oppositionspartei - eine tiefgreifende Reform der französischen Afrikapolitik gefordert. Die konservative Tageszeitung Le Figaro (11. Juli) faßt die damalige sozialistische Position im nachhinein so zusammen: "Da sie drei Jahrzehnten Sonderbeziehungen mit Afrika, die sie als eine Form des Neokolonialismus betrachten, ein Ende setzen möchte, will die Sozialistische Partei eine radikale Strukturreform."

Die PS-Konzeption enthielt insbesondere die Forderung nach Auflösung des Ministeriums für "Kooperation" - dieser Begriff bezeichnet in Frankreich gewöhnlich den Bereich seiner post- und neo-kolonialen Beziehungen zu Afrika - und die Eingliederung der Afrikapolitik in die "normale" Zuständigkeit des Außenministeriums. Im übrigen war von einer Kontrolle des Parlaments über diesen Bereich die Rede, der bisher meist als Geheimpolitik duch die Exekutive betrieben worden war. Steht also ein Ende von Frankreichs 30jähriger "Vormundschaft" über seine zumeist in den sechziger Jahren formal unabhängig gewordenen ehemaligen Kolonien bevor?

Eines steht fest: Ein Bruch in der französischen Afrikapolitik gegenüber der bürgerlich-konservativen Vorgängerregierung Juppé hat nicht stattgefunden. Der "Kooperations"-Minister Juppés, Jacques Godfrain, zeigte sich in der zweiten Juliwoche öffentlich erstaunt darüber, daß sein Nachfolger Charles Josselin (er trägt den Titel eines "Staatssekretärs für Kooperation" in der Jospin-Regierung, in welcher die Gesamtzahl der Ministerposten deutlich reduziert ist) anläßlich seiner Antrittsrede vor dem Parlament nichts geäußert habe, was er selbst nicht so oder ähnlich bereits gesagt habe. Josselin selbst hatte vor den Abgeordneten das Wort vom "Bruch" mit seinem Amtsvorgänger ausdrücklich zurückgewiesen. Tatsächlich hatte der rechte Premierminister Alain Juppé bereits den Plan erstellen lassen, das "Kooperations"- dem Außenministerium einzuverleiben. Auch der Plan für die Truppenreduzierung auf dem afrikanischen Kontinent geht in der aktuell anstehenden Form direkt auf Entscheidungen der konservativen Juppé-Regierung zurück.

Als im Mai und Juni 1996 die Armee der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) wegen ausstehender Soldzahlungen gegen den Präsidenten Ange-Felix Patasse - dereinst Premierminister des Diktators und selbstgekrönten "Kaisers" Bokassa, der bis 1979 das Land beherrschte - meuterte, griff die französische Armee direkt in die Aufstandsbekämpfung ein. Französische Hubschrauber bombardierten in der Folge Stadtviertel der Hauptstadt Bangui, in denen sich Rebellen verschanzt hatten, während sich auf Demonstrationen vor die französische Botschaft Haß auf die alte Kolonialmacht Luft machte. In der Folgezeit kam es wegen dieser Bilder in Frankreich zu einer Debatte, ob das Land sich nicht mit seinem Eingreifen selbst geschadet habe - dieser Eindruck wurde in Teilen der ...ffentlichkeit dadurch verstärkt, daß sich in den Meutereien in der ZAR zunehmend ethnische Ideologien breitmachten. Der Vorgängerpräsident Andre Kolingba hatte vor 1993 seine Bevölkerungsgruppe bei der Vergabe von Posten in der Armee ebenso bevorzugt, wie Patasse dies in der Folgezeit tat - der Konflikt innerhalb des Militärs spielte sich demzufolge bald entlang dieser Spaltungslinie ab, und wenig später wurde in Stadtvierteln Jagd auf Angehörige der Yoroba (der Kolingba angehörte) gemacht. Diese Auseinandersetzung zwischen zwei um die Macht rivalisierenden Clans warf in Paris die Frage auf, ob die Hegemonialmacht Frankreich sich hier nicht in eine Abrechnung hineinziehen lasse, in der ihre Interessen nichts verloren haben. Diese Kritik kam dabei von unterschiedlichster Seite: So wetterte die rechtsextreme Tageszeitung Présent, während sie die Entkolonialisierung als Wurzel aller Übel Afrikas brandmarkte, zugleich gegen das Vergießen wertvollen "französischen Blutes" für fremde Interessen, in diesem Fall die korrupter afrikanischer Diktatoren. Der damalige parlamentarische Oppositionsführer Lionel Jospin formulierte seinerseits: "Welchen Auftrag hat unsere Regierung für unsere Soldaten definiert? Die französische Armee darf nicht in eine innere Polizeitruppe oder in eine Präsidentengarde für Präsident Patasse umgewandelt werden."

Die darauffolgende Debatte wurde aber nur zum Katalysator einer notwendigen Umorientierung, die eine tiefergehende aktuelle Entwicklung mit sich bringen mußte. In der Zeit des Kalten Krieges hatten die USA sich wenig für Afrika interessiert bzw. Frankreich und die von ihm gestützten Regime als Garanten pro-westlicher Stabilität akzeptiert. Mit dem Ende der von der bipolaren Blockkonfrontation geprägten Weltordnung 1989/91 wurde diese Interessenidentität jedoch durch eine neue Rivalität auch in dieser Weltregion abgelöst. Hinzu kam, daß die USA seit Mitte der achtziger Jahre weltweit die Ablösung gewisser autoritärer Regime aktiv unterstützten, um durch die Einsetzung bürgerlich-liberaler Kompromißregierungen nüchterne kapitalistische Rationalität und "Modernität" über die Eigeninteressen korrupter, wenn auch pro-kapitalistischer, Herrschercliquen triumphieren zu lassen. So wurden Marcos auf den Philippinen, Duvalier auf Haiti und Pinochet in Chile mit US-Hilfe aus dem Amt gedrängt. Auf dieser neo-liberalen Welle schwimmend, setzten sich die internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank, unterstützt durch die USA, Anfang der neunziger Jahre etwa vom hyper-korrupten Regime des Diktators Mobutu im damaligen Zaire und heutigen Kongo-Kinshasa ab, dem keine neuen Kredite mehr gewährt wurden.

Frankreich hingegen hielt lange Zeit an einer Politik fest, die auf einem Interessenknäuel aus "befreundeten" Diktatoren, "afrikanischer Zelle" im Elysée-Palast und dem französischen ...lkonzern ELF - der in den meisten westafrikanischen Ländern einen zentralen Machtfaktor bildet und eine eigene Spionage betreibt - aufbaute. Die hemmungslose Selbstbereicherung diverser Herrschercliquen, die den Auflagen internationaler Finanzinstitutionen zu Sparpolitik und ...ffnung der Märkte häufig widersprach und die zugleich den Haß breiter Bevölkerungsschichten herausforderte, wurde dabei in Kauf genommen.

Der Regierungswechsel in Frankreich jedenfalls war willkommener Anlaß für einen Form- und Strategiewechsel der französischen Politik gegenüber dem afrikanischen "Hinterhof", der eine weitere Ursache hat: Die vom konservativen Präsidenten Chirac Anfang 1996 verkündete Militärreform, die bis zum Ende einer fünfjährigen Übergangsperiode den Wechsel zu einer reinen Berufsarmee herbeiführen soll, bringt eine Verringerung der Gesamtzahl an verfügbaren Soldaten und zugleich die Verfügbarkeit effektiverer und technisch vollausgebildeter Truppen mit sich. Die Sparpolitik im Zeichen der Maastrichter Konvergenz-Kriterien bringt zugleich auch Einsparungen im Rüstungshaushalt - im Juli wurden, mit dem Beschluß der Reduzierung des Haushaltsdefizits um 32 Milliarden Francs, damit die Drei-Prozent-Grenze des Maastrichter Vertrages eingehalten werden kann, auch dem Rüstungsbudget zwei Miliarden Francs abgeknapst.

In der zweiten Jahreshälfte 1996 hatte Washington die Idee einer inter-afrikanischen Eingreiftruppe lanciert, die von den Vereinten Nationen sowie der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) kommandiert werden sollte. Damit sollte die Präsenz französischer Truppen in derzeit acht afrikanischen Ländern konterkariert werden. Als Provokation an die Pariser Adresse waren in Clintons Plan dafür nur englischsprachige Staaten des Kontinents vorgesehen.

Frankreich hingegen hatte bereits auf dem französisch-afrikanischen Gipfel 1994 die Idee einer solchen Truppe, aber unter seiner Oberhoheit, aufgebracht. Zum ersten Mal wurde eine interafrikanische Truppe dann im Dezember 1996 gegründet, als der franko-afrikanische Gipfel in Ouagadougou die Aufstellung der Misab, der "interafrikanischen Mission für die Überwachung der Abkommen von Bangui", beschloß, die in der ZAR für Ruhe sorgen soll und aus Truppen von vier frankophonen afrikanischen Staaten unter Einbeziehung französischer Technik und sogenannter Berater besteht.

Im Mai 1997 wurde in New York ein trilaterales Abkommen zwischen den USA, Großbritannien und Frankreich abgeschlossen, das die Aufstellung interafrikanischer Truppen für die Regelung von politischen "Wirren" auf dem Kontinent vorsieht.

Dieser Kompromiß zwischen den drei Großmächten entzieht zwar Frankreich teilweise seine bisherige privilegierte Position als erste in Afrika direkt militärisch präsente Macht. Dafür bietet es ihm den Vorteil, künftig weniger als bisher in die "häuslichen Angelegenheiten" örtlicher Regime hineingezogen werden und den notwendig gewordenen Abstand zu diesen zu wahren.

Zwischen dem 20. und 26. Juni 1997 nahmen die französischen Angehörigen der "Misab" erneut an der Niederschlagung von Meutereien von Soldaten in der ZAR teil, und wieder kam es zu antifranzösischen Demonstrationen. Es scheint daher kein Zufall, daß es just die ZAR ist, auf deren Boden die französische Militärbasis geschlossen wird - laut Le Monde vom 20. Juli standen dafür bis zuletzt Gabun, der Tschad und die ZAR alternativ zur Wahl. Gabun als reichstes Erdölland Afrikas erscheint jedoch strategisch zu wichtig, und im Tschad ist die innenpolitische Lage heute ruhig, während dort noch in den achtziger Jahren ein Bürgerkrieg mit dem abtrünnigen Norden, auf den auch Libyen ein Auge geworfen hatte, tobte.

Während also die französische Truppenpräsenz in der ZAR gänzlich aufgegeben werden soll, wird sie in den anderen beiden Ländern nur reduziert und bleibt im Senegal, in der C(tm)te d'Ivoire und in Djibouti ganz aufrechterhalten. Nicht zuletzt wird dafür Sorge getragen, daß durch entsprechende Infrastrukturen in den Flughäfen Nachschub aus Frankreich binnen kürzester Zeit eingeflogen werden kann - die Kontrolle droht Paris also auch mit einem reduzierten Kontingent vor Ort nicht aus den Händen zu gleiten.

Ein weiterer Bestandteil der "neuen" französischen Afrikapolitik ist das, was Staatssekretär Josselin als "Visa-Erteilung für die Eliten" bezeichnete. In den letzten Jahren hatte die fortschreitende Schließung der französischen Grenzen und die zunehmende Schwierigkeit für Bürger eines Landes der "Dritten Welt", ein französisches Visum zu erhalten, dazu geführt, daß immer mehr - oftmals frankophone - Angehörige des Eliten-Nachwuchses afrikanischer Länder ihre Ausbildung in US-amerikanischen statt französischen Universitäten verfolgten. In den USA wiederum kamen sie oft in Berührung mit dem aufstrebenden afro-amerikanischen Mittelstand, der zu einem Element zusätzlicher kultureller Bindung an Washington wurde. In Frankreich konstatierte man in jüngerer Zeit die "Verschwendung" für das französische Bildungssystem, das sich zwar bemühe, französische Kultur ins frankophone Afrika zu exportieren, nicht jedoch um die dauerhafte Gewinnung künftiger Köpfe und ihre Anbindung an Frankreich.

Der am 31. Juli vorlegte Untersuchungsbericht der Weil-Kommission zur künftigen Immigrationspolitik der neuen Regierung kommt daher ebenso wie Afrikapolitiker Josselin zu dem Schluß, daß etwas weniger Rassismus in der Visa-Vergabe vor diesem Hintergrund duchaus im Eigeninteresse des französischen Staates liege.