VietnamesInnen in Deutschland

Schlechte Geschäfte

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Ein schlechtes Geschäft: Bei etwa drei Mark liegt die Gewinnspanne für jede verkaufte Stange "West". Doch bevor die 200 Zigaretten tatsächlich losgeschlagen sind, drohen den vietnamesischen Händlern und Händlerinnen auf Berlins Straßen zahlreiche Risiken: Die Zollfahndung, die Polizei, rechtsradikale Schläger oder auch die "Räuber", wie sie die Schutzgeld-Eintreiber nennen. Bis zu 3 000 Mark Standgeld müssen sie ihren Landsleuten berappen, damit sie die verbotene Ware feilbieten dürfen.

Dennoch: Nachdem für die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter mit der Mauer auch der gesicherte Arbeitsplatz sowie ein geregeltes Bleiberecht weggefallen waren, blieb ihnen wenig Besseres übrig als der gefährliche Deal mit den unverzollten Glimmstengeln. "Erst läßt man den Leuten keine andere Möglichkeit," kritisiert Tamara Hentschel, Mitarbeiterin der Berliner Beratungsstelle "Reistrommel", und dann benutze man den illegalen Zigarettenhandel, um eine "ganze Ausländergruppe" zu kriminalisieren. "Die Vietnamesen sollten in der Öffentlichkeit diffamiert werden, um sie einfacher loszuwerden."

Tatsächlich hat man im vereinten Deutschland wenig Interesse, die rund 90 000 Vertragsarbeiter- und arbeiterinnen zu übernehmen. Über zwei Drittel wichen dem rassistischen Klima. Sie gingen freiwillig oder wurden abgeschoben, noch bevor am 1. Januar 1991 das bundesdeutsche Ausländerrecht auf dem Gebiet der DDR in Kraft getreten war. Wer blieb, mußte erleben, wie die Gewalt mit den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Etwa zeitgleich mit diesen Angriffen auf vietnamesische Bewohner und Bewohnerinnen der Plattenbauten widmeten sich zahlreiche Politiker und Medien erstmals dem illegalen Rauchwarengeschäft. Flugs wurde aus dem Umstand, daß im Ostteil Berlins vornehmlich vietnamesische Staatsangehörige als Verkäufer auf den Straßen zu sehen waren, die "vietnamesische Zigarettenmafia" als Teil einer nicht genauer definierten "organisierten Kriminalität". Der Phantasie so mancher Journalisten waren wenig Grenzen gesetzt, wenn es darum ging, über die "Fronten der teilweise kriegserfahrenen Gangster aus Vietnam" (Berliner Morgenpost vom 18. Juni 1993) zu berichten.

Die Botschaft war nicht mißzuverstehen: Die Bedrohung durch die Schlitzaugen aus dem Fernen Osten wächst, zumal ab 1992 nicht mehr die einstigen Vertragsarbeiter, sondern Asylsuchende beim kriminalisierten Handel dominierten. Beide Gruppen waren mit einer Zuschreibung konfrontiert, die nicht die soziale Situation, sondern die ethnische Herkunft zum Ausgangspunkt ihres delinquenten Handelns machte. Vietnamesen und Vietnamesinnen wurden also zum Problem der "Inneren Sicherheit". Folglich verschärften auch die Behörden ihr Vorgehen.

Scheinbar auf der Suche nach dem illegalen Nikotin durchsuchte die Polizei regelmäßig Wohnheime, beschlagnahmte Bargeld und ging aggressiv gegen die Opfer vor. Die entsprechende Rückendeckung lieferte die Berliner Justiz. So hieß es in einem Beschluß des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) vom Juni 1993: "Der weitere Aufenthalt des Antragstellers beeinträchtigt erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland." Über die Konsequenzen läßt die Behörde wenig Zweifel: "Dem massenhaften illegalen Zigarettenhandel kann wirksam nur durch eine kontinuierliche Ausweisungspraxis begegnet werden, die auch Kleinhändler erfaßt." Die Konsequenzen formulierte Berlins damaliger Innensenator Dieter Heckelmann (CDU): "Wer sich der Rechtsordnung nicht unterwirft, hat in unserem Land nichts zu suchen."

Entsprechend urteilten die Gerichte. Mußten die Kleinverkäufer nach der Wiedervereinigung zunächst nur mit Geldstrafen wegen "Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung" rechnen, drohte bald schon eine dreimonatige Freiheitsstrafe wegen "gewerbsmäßigen Handels". Spätestens ab 1993 dienten die Verurteilungen als Anlaß zur Ausweisung. Schließlich zählen nach dem Ausländergesetz Straftaten ebenso wie die Schädigung von BRD-Interessen als Ausweisungsgründe. Und nach Meinung des OVG führt "der hauptsächlich von Ausländern betriebene Handel mit unverzollten Zigaretten zu großen Steuerausfällen; er ist mit einer umfangreichen, teils schwerwiegenden Begleitkriminalität verbunden".

Für die steuerlichen Einbußen - der Zoll geht von ungefähr einer Milliarde Mark jährlich aus - sind die kleinen Straßenhändler ungefähr so verantwortlich wie der Angestellte eines Rüstungskonzerns für Waffenverkäufe. Auch die hohe Zahl der Todesopfer sagt wenig über die Hintermänner des Geschäftes aus, selbst wenn allein in Berlin 39 Vietnamesen und Vietnamesinnen im Zusammenhang mit dem Zigarettenhandel gestorben sein sollen. Denn die Gründe für diese Morde sind vornehmlich in Revierkämpfen ums Schutzgeld zu suchen.

Ob eine angebliche "Vietnamesen-Mafia" tatsächlich das verbotene Geschäft im Griff hat, wie zahlreiche Zeitungsberichte nahelegen, darf allerdings stark bezweifelt werden. Denn der Handel ist auch heute noch "bestens organisiert", wie Jörg Reeder, der Sprecher der Berliner Zollfahndung, gegenüber der Jungle World bestätigt, obwohl die Polizei die beiden größten vietnamesischen Schutzgeld-Gruppen - Ngoc-Tien und Quang-Bien - zerschlagen hat. In der Folge wurde im Sommer dieses Jahres die 40köpfige "Ermittlungsgruppe Vietnam" aufgelöst. Der Deal mit den illegalen Fluppen geht also weiter.

In der "höheren Hierarchie des Geschäftes", erläutert Reeder, sei eine "bunte Mischung von Deutschen, Russen, Polen und Tschechen" tätig. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Antirassistische Initiative Berlin (ARI), die sich mit einem Fall beschäftigte, bei dem 1993 vor Gericht exemplarisch die "Distributionsstufen" des steuerfreien Zigarettenhandels zur Sprache kamen. "Weder Mafia, noch vietnamesisch, eher ein multikultureller Haufen dilettantischer Ganoven und Geschäftsleute," resümiert die Gruppe in ihrer Zeitschrift ZAG (Sommer 1995). Die als Mafiosi verfolgten vietnamesischen Zigarettenhändler seien "die schwächsten und folglich schlechtverdienendsten Teilnehmer dieses besonders freien Marktgeschehens". Viele der kleinen Verkäufer sind in den vergangenen Jahren von der Straße verschwunden. "Der Handel hat sich verlagert in Wohnungen und Gaststätten", meint Zollfahnder Jörg Reeder. Martin Rubbert, Rechtsanwalt zahlreicher vietnamesischer Beschuldigter, hingegen ist der Auffassung, "der strafrechtliche Preis ist höher geworden."

Einen tatsächlichen Rückgang des Handels stellt auch Tamara Hentschel fest. Daß jedoch das Geschäft durch die Zerschlagung der beiden Banden nicht beendet ist, wundert die "Reistrommel"-Mitarbeiterin nicht: "Die Auftraggeber wurden nicht dingfest gemacht." Daran hätten die Behörden kein Interesse. Warum sonst seien die Kronzeugen nach Vietnam zurückgeschickt worden, wo man doch angeblich die Organisierte Kriminalität bekämpfen wolle, fragt sie sich. Und ist überzeugt: "Spätestens, wenn es wieder Probleme mit den Abschiebungen gibt, wird die Zigaretten-Mafia-Kampagne wieder angekurbelt."