Taxifahrer wollen keine Hilfssheriffs sein

Ein Taxi-Korso mit über 20 Fahrzeugen unterstützte einen wegen "Einschleusens von Ausländern" angeklagten Kollegen. Der Kronzeuge der Anklage entpuppt sich als langjähriger "Informant" des BGS

Ein Hupkonzert schreckte am Dienstag, den 16. Dezember die sächsische Kleinstadt Görlitz aus ihrer vorweihnachtlichen Beschaulichkeit auf. Mehr als 50 TaxifahrerInnen aus Hamburg, Berlin und der grenznahen Region hatten sich dorthin aufgemacht, um einem Kollegen aus Zittau vor dem Görlitzer Landgericht beizustehen. Der 46jährige Taxifahrer Bernd Heinz L. war im März vom Amtsgericht Löbau-Zittau wegen des "Einschleusens von Ausländern" zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung hatten Berufung eingelegt.

Vor dem Gerichtsgebäude hielten die TaxifahrerInnen eine Kundgebung ab und verlasen die inzwischen von fast 200 TaxifahrerInnen unterschriebene "Görlitzer Erklärung". Darin weisen sie alle Versuche des Bundesgrenzschutzes (BGS) zurück, ihnen "Kontrollpflichten" gegenüber ihren Fahrgästen aufzubürden. Weiter heißt es: "Die Beförderungspflicht des ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr - dazu gehören auch Taxis) gilt für alle Menschen. Gegen geltende Gesetze verstößt nicht, wer alle Menschen befördert, sondern wer dazu aufruft, eine bestimmte Gruppe von Menschen von der Beförderung auszuschließen. (...) Wir werden auch in Zukunft Menschen "ausländischen Aussehens, mit schlechten Deutschkenntnissen, viel Gepäck und nasser Kleidung" zu den geltenden Beförderungsbedingungen zu ihrem Fahrtziel bringen."

Das nimmt Bezug auf ein vom Bundesgrenzschutz an alle TaxifahrerInnen in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien verteiltes Flugblatt, in dem dieser forderte, Menschen, die obige Kriterien erfüllen, als "offensichtlich illegal eingereiste Personen" nicht zu befördern oder mittels eines geheimen Codes über den Taxifunk die Einsatzzentrale des BGS zu informieren. Daß dies klar gegen die geltende Beförderungspflicht für TaxifahrerInnen verstößt, ahnte auch das Landratsamt Löbau-Zittau. Die Behörde teilte mit, sie werde, sollte sich ein zu Unrecht abgewiesenen Ausländer beschweren, diese "Ordnungswidrigkeitsanzeige entsprechend einordnen und entlastend bewerten".

Der Saal 100 des Landgerichts Görlitz war mit über 100 ZuschauerInnen und zahlreichen angereisten PressevertreterInnen bis auf den allerletzten Platz gefüllt. Während der Staatsanwalt dem angeklagten Taxifahrer Bernd Heinz L. gewerbsmäßiges Schleusen unterstellte, verwies der Angeklagte darauf, daß er seiner Beförderungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Er hatte die drei Fahrgäste, bei denen es sich laut Bundesgrenzschutz um drei illegal eingereiste jugoslawische Staatsbürger handelte, gemäß den BGS-Anordnungen sogar nach ihren Papieren gefragt. Als ihm diese gezeigt wurden, ging er davon aus, daß es sich nicht um "Illegale" handeln könne, denn "diese werfen ja laut Presseberichten sofort nach dem Grenzübertritt ihre Papiere weg, um ihre Herkunft zu verschleiern".

Bernd Heinz L. erläuterte dem Görlitzer Gericht noch einmal ausführlich sein Vorgehen. Er habe die Fahrgäste lediglich vom Marktplatz in Zittau zum Bahnhof nach Bautzen befördern wollen. Die Zeugen des Bundesgrenzschutzes, die den Taxifahrer am 10. Juli 1995 nach einem "anonymen Bürgerhinweis" an einem eigens eingerichtenten Kontrollpunkt gestellt hatten, konnten sich meist nicht mehr genau an diese Nacht erinnern.

Die Anklage baut auf Aussagen des Kronzeugen Steffen Döring auf, einem Taxifahrer aus Zittau, der sich als reuiger Schleuser darstellte, der in den Jahren 1995 und 1996 noch an zwölf angeblichen "Schleusungen" teilgenommen habe. Wegen seiner Kooperationsbereitschaft mit den Behörden wegen wurde er zu der vergleichsweise niedrigen Strafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

In der Verhandlung gegen Bernd Heinz L. konnte sein Anwalt jedoch überraschend belegen, daß Steffen Döring 1995 mindestens zehn Mal mit seinem Handy bei der Einsatzleitung des BGS angerufen hatte. Denn mittels moderner Technik "lasse sich auch noch nach Jahren feststellen, wann von welchem Handy aus welche Nummer angerufen wurde". Steffen Döring gab diese Anrufe zu, und der Anwalt bezeichnete den Kronzeugen daraufhin als "Doppelagenten". Doch welchen Status Steffen Döring gegenüber dem BGS hatte, ob ihm Strafmilderung versprochen worden war und er sich deswegen zur Mitarbeit erpressen ließ oder er tatsächlich ein umgedrehter Spitzel war, konnte an diesem Tag nicht mehr geklärt werden. Auch die grundsätzliche Problematik, ob und welche "milieubedingten" Straftaten "informelle Mitarbeiter" des BGS über Jahre hinweg begehen dürfen, wurde noch nicht angesprochen.

Um die Aussagen seines Kronzeugen noch zu retten, führte die Staatsanwaltschaft überraschend den Ermittlungsleiter des BGS, Jens W., als weiteren Zeugen ein. Dieser betonte mehrmals, daß die Aussagen des Steffen Döring "sehr wohl Sinn machen". Interessant waren seine Ausführungen über die sogenannte "Garantieschleusung": 80 Prozent der vom BGS im Landkreis aufgegriffenen und sofort nach Polen abgeschobenen "Illegalen" gelinge es, innerhalb des folgenden halben Jahres trotzdem, in die BRD einzureisen und bei einer der zuständigen Zentralen Aufnahmestellen (Zast) einen Asylantrag zu stellen. Was von ihm als Denunziation der "Schleuserbanden" als organisierte Kriminelle gemeint war, zeigt unter einem anderen Blickwinkel allerdings auch, daß den Schleusern das Schicksal ihrer "KundInnen" anscheinend doch nicht so egal zu sein scheint. Und daß, wie W. formulierte, eine "einmal gebuchte Schleusung bis zum Erfolg an verschiedenen Orten wiederholt wird". Eine von ihm zusätzlich vorgelegte 100 Seiten umfassende Expertise über die Schleusertätigkeit im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien war der Verteidigung unbekannt, deshalb beantragte sie eine Aussetzung des Prozesses. Dem wurde vom Gericht stattgegeben wurde.

Da der Fall in den letzten Monaten bundesweite Schlagzeilen gemacht hatte, waren sowohl VertreterInnen des Republikanischen Anwaltsvereins Berlin und der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) aus Berlin als Prozeßbeobachter anwesend. Anklagen wie die gegen Bernd Heinz L. sind in den Grenzkreisen Sachsens, aber auch Brandenburgs auf der Tagesordnung. Im Landkreis Löbau-Zittau kommt es derzeit zu einer wahren Prozeßflut gegen TaxifahrerInnen; die Strafen fallen ausgesprochen hoch aus. Aktueller Höhepunkt ist ein Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 1. Dezember 1997, in dem ein weiterer Taxifahrer zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt wurde. Laut FFM wird mittlerweile gegen 22 von 73 im Landkreis registrierten TaxifahrerInnen ermittelt.

Vor dem Landgericht Görlitz waren allein an diesem Tag insgesamt drei solcher Fälle angesetzt. In einem zweiten, vom selben Richter und selben Staatsanwalt am Nachmittag geführten Prozeß gegen einen Taxifahrer aus Bad Muskau mußte der Richter diesen freisprechen.