»Mit Gollwitzern diskutieren?«

Gollwitz, Dolgenbrodt, Wurzen, Schwedt: Soll man gegen die Einwohner dieser Brown Towns demonstrieren? Leila Dregger (Haus der Demokratie, Berlin) und Hermine Jöst (Antidiskriminierungsbüro Berlin) sind anderer Meinung

Sie hatten am 15. Dezember 1997 zu einer bemerkenswerten Veranstaltung eingeladen: Unter dem Titel "Gollwitz 1997 - Darf eine deutsche Gemeinde jüdische Aussiedler ablehnen?" diskutierten unter anderem Andreas Heldt, Bürgermeister von Gollwitz, Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, Almuth Berger. Wie bewerten Sie im nachhinein das Ergebnis und den Verlauf der Veranstaltung?

Dregger: Es war eine gelungene Veranstaltung. Ich könnte auch sagen: Ich hab's mir schlimmer vorgestellt. Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, daß so viele Rechte kommen würden. Ich finde aber auch, daß das demokratische Publikum gut auf sie reagiert hat. Oft war die Stimmung aggressiv, aber dann haben sich die Leute auch wieder beruhigt.

Jöst: Ich hatte den Eindruck, daß etwa die Hälfte der Besucher Rechte waren, andere aus unserem Büro gehen von weniger aus, ungefähr 20 Prozent. Offensichtlich war für mich, daß die Rechten aus einer starken emotionalen Feindseligkeit heraus argumentiert haben. Früher dachte ich, man könnte Leute mit Argumenten überzeugen, auch die, die erstmal auf der anderen Seite stehen. Diese Hoffnung habe ich ziemlich verloren. Jetzt denke ich, daß es vor allem darauf ankommt, Leute zusammenzubringen, die ungefähr auf derselben Wellenlänge liegen. Erst dann greifen überhaupt Argumente.

Aber unter diesem Gesichtspunkt war doch die Veranstaltung eine Katastrophe. Das Gespräch von denen "auf derselben Wellenlänge" wurde durchkreuzt durch das massive Auftreten der Rechtsradikalen. Primitive Redebeiträge auf Schönhuber-Niveau bestritten die Hälfte der Diskussion!

Dregger: Aber was die Rechten sagten, wurde in jedem Fall argumentativ gekontert. Es gab auf jedes Argument ein Gegenargument, nichts blieb unwidersprochen.

Frau Jöst hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Rechten gar nicht argumentieren, sondern nur aus dem Bauch reden. Sie brachten blanken Haß 'rüber - Zahlen oder Argumente waren nur Staffage und oft erkennbarer Stuß. Gegenargumente sind da Perlen vor die Säue.

Dregger: Man konnte sie schon verunsichern. Etwa, als der eine Rechte herumjammerte, in Gollwitz gebe es keinen Strom - das ist doch sehr schön lächerlich gemacht worden, bzw. hat sich selbst lächerlich gemacht.

Jöst: Argumente greifen nur, wenn man prinzipiell auf derselben Seite steht. Dennoch war es richtig, daß die Rechten ihre Sprüche nicht unwiderlegt aufsagen konnten.

Dregger: Es ist doch kein Weg, antifaschistische Politik auf den Ausruf "Nazis raus" zu reduzieren, wie das ein Diskussionsredner auf der Veranstaltung gemacht hat. Wir sind ein "Haus der Demokratie" - da muß der Dialog zunächst offen sein.

Eine Korrektur: Der Diskussionsredner hat nicht "Nazis raus" gefordert - es waren so viele Nazis da, das wäre gar nicht durchsetzbar gewesen. Sondern er hat auf eine bestimmte Person gezielt, einen Vertreter der Nazi-Postille Junge Freiheit, der während der Diskussion Flüchtlinge als "Abschaum" tituliert hat.

Jöst: Ich fand die Forderung gut. Nachdem der Redner seine Schmerzgrenze so deutlich gemacht hat, hat der Betreffende im folgenden auch zurückgesteckt. Wer andere Menschen als "Abschaum" bezeichnet, muß sich den Verdacht gefallen lassen, ein Nazi zu sein. Und auch ich möchte keinen Dialog mit Rechten führen.

So war die Veranstaltung aber angelegt.

Jöst: Ursprünglich war der Einladungstext etwas anders formuliert gewesen. Etwa in der Richtung, daß Hauptziel der Veranstaltung sei, diejenigen in den Kommunen zu stützen, die sich für Flüchtlinge engagieren.

Dregger: Der Gollwitzer Bürgermeister Heldt hat dann aber kurzfristig mit Absage gedroht. Er hat gesagt, er will sich nicht an den Pranger stellen lassen. Ich habe ihm dann telefonisch zugesagt, das Thema nicht auf "Antisemitismus in Gollwitz" zu fokussieren. Wenn Antisemitismus zur Sprache komme, dann auch in Deutschland allgemein.

Wußten Sie eigentlich, daß Bürgermeister Heldt nach der Antifa-Demo in Gollwitz am 9. November in einem Statement gefordert hat, Bubis müsse sich jetzt endlich für die Hetze gegen die Gollwitzer entschuldigen?

Dregger: Die Demonstration hat sehr zur Verhärtung der Situation in Gollwitz beigetragen. Leute, die vorher noch unentschlossen waren, haben dann gesagt: "Wenn die so kommen, dann werden wir erst recht rechts." Es war eine Absicht unserer Veranstaltung, diese Verhärtung aufzulockern.

Jöst: Die von Ihnen genannte Äußerung des Bürgermeisters war mir unbekannt. Ich hatte nur einmal in der Frankfurter Rundschau gelesen, er habe nichts gegen jüdische Einwanderer, er wolle aber statt dessen lieber ein Seniorenheim.

Aber allgemein bekannt war doch, daß er sich nie von den antisemitischen Sprüchen seiner Kollegen im Gemeinderat - "Wir haben schon genug für die Juden getan", sagte einer wörtlich - distanziert hat.

Dregger: Er hat sich schon distanziert, wenn auch nicht genügend. Auf der Veranstaltung hat er immerhin gesagt, er ist nicht mit allem einer Meinung, was im Ort gesagt wird.

Jöst: Auch diese Sprüche waren mir nicht bekannt. Heldt hat sich aber auf der Veranstaltung nicht distanziert. Er hat höchstens versucht, sich taktisch zu verstecken. Soweit ich weiß, hat er den entsprechenden Gemeinderatsbeschluß sogar selbst formuliert. Und auf der Veranstaltung hat er sich hinter dem Willen der Bevölkerung versteckt - anstatt anzuerkennen, daß er selbst als politisch Verantwortlicher das Klima in der Gemeinde ganz wesentlich prägt! Ich saß direkt neben ihm auf dem Podium: Bei den schlimmen Äußerungen aus dem Publikum war er nicht entsetzt, sondern hat gelächelt. Er hatte offensichtlich kein Bedürfnis, sich von den Geistern, die er rief, abzugrenzen.

Glauben Sie, durch diese Veranstaltung wurde auch nur ein einziger der Rechten zum Überdenken seiner Position gebracht?

Jöst: Zumindest an einer Stelle, als die amerikanische Jüdin gesprochen hat. Sie wurde in Deutschland geboren, wohnt jetzt aber in den USA. Sie erzählte, daß sie auf Besuch hier ist, und am 20. Juni ihr Sohn am Alexanderplatz fast erschossen worden sei. Als sie das berichtete, war es totenstill im Raum. Das hat gesessen.

Dregger: Ich habe für mich viele Argumente gefunden, die ich auf das Gerede der Rechten entgegnen kann. Und wenn rechtes Gedankengut wirksam bekämpft werden soll, ist es doch besser, wenn Linke und Rechte miteinander diskutieren, als wenn jeder nur für sich bleibt.

Genau hier bin ich entgegengesetzter Ansicht. Bisher mußten Rechte unter sich bleiben, wenn sie ihren Dünnschiß loswerden wollen. Auf keiner demokratischen Veranstaltung wären solche Sprüche wie gestern toleriert worden - selbst im Diepgen-Flügel der CDU hätte man diese Tiraden unterbunden. Eure Veranstaltung war der Eisbrecher, das ist verheerend.

Dregger: Da haben wir eine Differenz. Ich halte das gemeinsame Gespräch für einen Fortschritt. Allerdings war ich negativ überrascht, daß so wenig Linke da waren.

Jöst: Für mich ist diese Frage nicht hundertprozentig entschieden. Die anwesenden Rechten verhinderten eine sinnvolle Diskussion, das stimmt. Aber kann man sie einfach rausschmeißen? Es sind ja nicht nur Nazis, sondern sie verkörpern auch so etwas wie das kollektive Unbewußte der Bevölkerung.

Dregger: Außerdem haben sich die rechten Demagogen auf der Veranstaltung auch selbst entlarvt, wie ich der Presse entnahm.

Jöst: Was heißt entlarvt? Nochmal: Es geht doch nur scheinbar um Argumente bei den Rechten, sondern um Gefühle, und zwar um starke Haßgefühle.

Hat sich denn Hitler, der doch eigentlich ein Clown war, entlarvt?

Jöst: Die Rechten stilisieren die Deutschen zu den wahren Opfern, und diese Mitleidstour zieht. Die haben ihrer Empörung über die angebliche Unterdrückung der Deutschen zum Ausdruck gegeben. Wir aber sind bei den Gegenreden ganz sachlich geblieben. Das heißt, sie haben die Gefühlsebene weitgehend beherrscht. Wir haben es versäumt, diese Haßgefühle zu thematisieren. Nur die Mutter des überfallenen 14jährigen hat die Aussage ihres Sohnes, es sei viel Haß im Raum, ausgedrückt.

Dregger: Ich fand Herrn Nachama beeindruckend, der als Vertreter der Betroffenen sehr sachlich geblieben ist, die Aggressionen nicht zurückgespiegelt hat, und gerade er hat die Rechten sehr wirksam bloßgestellt.

Wäre es nicht wichtiger, Diskussionen mit Leuten wie der jüdischen US-Amerikanerin zu machen? Die kommen aber nur vereinzelt zu Veranstaltungen, wenn dort, - wie am Montag im "Haus der Demokratie", - unappetitliche Rechte das große Wort führen - das ist eine zu große Zumutung für sie. Man muß sich entscheiden, was die Zielgruppe solcher Veranstaltungen ist.

Jöst: Das erinnert mich an Hannah Arendts Buch über Eichmann, in dem sie Eichmann zitiert, ihm habe wegen seiner "Tätigkeit" nie jemand einen Vorwurf gemacht. Das war doch das Positive am Redebeitrag der Amerikanerin: Endlich bekamen die Rechten ins Gesicht gesagt, was man von ihnen denkt. Gerade diese emotionale Konfrontation - eine andere Frau hat von Ekel gesprochen, das fand ich gut - war wichtig.

Muß man diese Volkspädagogik auf Kosten einer Frau durchführen, deren Eltern von Deutschen vergast worden sind und deren Kind fast von Deutschen erschossen worden ist?

Dregger: Ich glaube, daß die Frau mit Bedacht gerade diese Veranstaltung gewählt hat. Sie wußte, hier kann sie den Rechten ungeschminkt die Meinung sagen, und es ist ein Rahmen, in dem die Rechten sie nicht bedrohen können. Das spricht für unser Veranstaltungskonzept.

Jöst: Manchmal war ich unsicher, ob der gewaltfreie Charakter der Veranstaltung gewahrt werden kann.

Frau Dregger sagte, die Antifa-Demo in Gollwitz habe die Gollwitzer erst gesprächsunwillig gemacht.

Jöst: Das glaube ich nicht. Die Demo hat eher die Fronten klargemacht. Und diejenigen, die sich immer als neutral bezeichnen, sind oft sehr wohl parteiisch.

Dregger: Von der Ausländerbeauftragten, Frau Berger, weiß ich, daß sie mit den Gollwitzern bis zur Demonstration im Dialog war. Nach der Demo ist der Gesprächsfaden gerissen.

Warum? Frau Berger hatte doch mit der Demonstration nicht das Geringste zu tun?

Dregger: Trotzdem hat, so Frau Berger, die Demo das gemeinsame Gespräch unmöglich gemacht.

Das zeigt doch gerade, was Sie bestreiten: daß die Gollwitzer paranoid sind. Die sehen sich als Opfer einer Verschwörung aus Berliner Autonomen und Antideutschen plus Frau Berger, und im Hintergrund ist Bubis, der - so ein Gollwitzer Gerücht, von dem auf der Veranstaltung ein ehemaliger Verfassungsschützer berichtete - die Demo finanziert.

Jöst: Wenn die Gollwitzer die Berliner Autonomen zum Anlaß nehmen, die Gespräche platzen zu lassen, zeigt das nur, wo sie schon immer gestanden haben. Schließlich vertreten die Autonomen einen durchaus berechtigten Standpunkt.

Dregger: Die Berliner Autonomen sind nach Gollwitz gefahren, ohne eine Ahnung davon zu haben, was in Brandenburg wirklich los ist und welche Probleme dort existieren. Die haben die Gollwitzer nach Einschätzung des Büros der Ausländerbeauftragten erst in die rechte Ecke getrieben.

Jöst: Das sehe ich ganz anders. Was heißt, die Autonomen haben keine Ahnung von Brandenburg? Es geht doch gar nicht um Brandenburg. Was in Gollwitz passiert ist, ist doch eher typisch deutsch, und leider gar nicht neu.

Leila Dregger war Diskussionsleiterin bei der Veranstaltung. Hermine Jöst saß auf dem Podium als Vertreterin des Anti-Diskriminierungsbüros.