Showdown der Supercops

Den Vorwahlkampf trugen 1997 die Technokraten des Überwachungsstaates untereinander aus.

"Die Sorgen der Bevölkerung vor einer Zunahme der Kriminalität", teilte Gerhard Schröder im Sommer mit, müsse "man ernst nehmen". Die Bekämpfung der Kriminalität müsse "wieder ein wichtiges Thema für die Sozialdemokraten werden", ja, sie sei geradezu ein "sozialdemokratisches Thema".

Doch das ist sie natürlich nicht nur. Alle etablierten Parteien fühlten sich im vergangenen Jahr bemüßigt, den Wahlkampf mit eigenen Positionspapieren zum Umgang mit der ständigen Bedrohung durch Verbrecher aller Art anzureichern. Sekundiert von einem Großteil der Presse, lieferte sich Schröder mit dem Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Unionsparteien, Rupert Scholz, und dessen Parteifreund, Bundesinnenminister Manfred Kanther, einen Wettlauf um die weitreichenderen Vorschläge zum Vorgehen gegen "Gangster". Im Grunde sind sich jedoch alle darin einig, daß vom Lauschangriff über die Einschränkung rechtlicher Möglichkeiten der Beklagten in Strafverfahren bis zur Abschiebung kein Hammer zu dick ist, um ihn gegen das grassierende Verbrechen in Stellung zu bringen. Berichte in den Wochenillustrierten Focus und Spiegel belegten: Deutschlands Innenstädte werden von Banden - zumeist ausländischer - Krimineller regiert, die vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken; die Wirtschaft des Landes ist unterwandert von schrägen Gestalten, die dort ungeheuren Schaden anrichten. Manfred Kanther spricht in diesem Zusammenhang regelmäßig von "alarmierenden Zahlen".

Aber der Innenminister weiß auch: "Sicherheit hat (...) sehr viel mit Emotionen und subjektiven Wahrnehmungen zu tun." Deswegen kam die Botschaft an: Während der vergangenen Jahre stieg in der deutschen Bevölkerung die Furcht, Opfer eines Verbrechens zu werden, in einem Maße, das in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Bedrohung steht.

Daß sich in der Bevölkerung trotz einer insgesamt abnehmenden Verbrechensrate in zunehmendem Maße Ängste um die eigene Sicherheit breit machen, ist einem Verbund zum gegenseitigen Nutzen von Medien und Parteipolitik zu verdanken: Was den einen mit sensationsträchtigen Stories sensationelle Auflagensteigerungen bringen soll, davon versprechen sich die anderen formidable Wahlergebnisse. Doch der Hype um das Verbrechen würde nicht so gut funktionieren, wären in der Bevölkerung nicht autoritäre Charakterstrukturen weit verbreitet, die für derlei staatliche Machtphantasien hochgradig empfänglich machen. Durch die permanente Beschallung mit dem Diskurs um die Innere Sicherheit verfestigen sich solche Persönlichkeitsstrukturen; sie müssen immer aufs neue bedient werden. Sobald sie sich auf dieses Feld wagt, bahnt die bürgerliche Demokratie anderen, prinzipiell autoritär verfaßten Gesellschaftsformationen den Weg.

Schmerzlich erfahren mußte das Henning Voscherau. Seine Plakate zierte ein Wahlspruch, mit dem Genosse Tony Blair in Großbritannien für Labour die Regierung zurückerobert hatte: "Law and Order is a Labour Issue." Was Voscherau nicht eingerechnet hatte: Nach drei konservativen Legislaturperioden war auf der Insel das Gefühl des Überdrusses so groß gewesen, daß Blairs Schwerpunktsetzung im Wahlkampf verhältnismäßig wenig Einfluß auf den Wahlausgang hatte. In einer solchen Position der Stärke befand sich Voscherau nicht, von seinem Wahlkampf profitierten die zahlreich angetretenen rechtsextremen Parteien, deren einer - der DVU - gerade mal 190 Stimmen für den Einzug ins Landesparlament fehlten.

Die Stimmungsmache mit dem Thema Innere Sicherheit bedient sich wirtschaftlich und sozial bedingter Ängste, die in der Bevölkerung bereits vorhanden sind: Befürchtungen um Gesundheit und Besitz. Wer sich auf diesem Weg zum Garanten von Leib, Leben und Wohnzimmereinrichtung aufschwingt, kann gerade in Zeiten auf Sympathien hoffen, in denen der Sozialstaat immer weniger in der Lage ist, eine solche Garantie zu leisten. Der Diskurs um die Innere Sicherheit stiftet Gemeinschaft, indem er die vorhandenen Ängste mit neuen Inhalten füllt und gegen einen angenommenen gemeinsamen Feind lenkt.

Soll die Propaganda mit der Kriminalität funktionieren, muß sie aber auch die Abstrafung des solchermaßen konstruierten Feindes beinhalten. Politiker wie Voscherau appellieren an autoritäre Charakterstrukturen, indem sie sich selbst als tough guy anbieten, als autoritäre Führergestalt, zu deren Bild auch eine gewisse Strenge, ja impulsive Brutalität gehört. "Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: Raus, und zwar schnell", gab Schröder am 20. Juli 1997 in Bild am Sonntag den Grobian. Etwas feiner drückte sich der CDU-Rechtspolitiker Rupert Scholz aus, der in einem Positionspapier "Zur politischen Offensive gegen spezielle Formen der Kriminalität" ankündigte: "Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht zur Durchführung gewalttätiger Aktionen mißbrauchen und dabei Landfriedensbruch begehen, haben ihr Gastrecht in Deutschland verwirkt."

Der Diskurs um die sogenannte Ausländerkriminalität, dem diese Zitate entnommen sind, prägt die gesamte Diskussion um die Innere Sicherheit. Über alle Bedenken, die selbst Kriminologen gegen diesen Begriff vorbringen, hat man sich schnell hinweggesetzt. Dabei kann selbst die äußerst fragwürdige Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) beim besten Willen nicht die "zunehmende Bedrohung durch ausländische Straftäter" belegen, mit der die Sicherheitsexperten immer neue Gesetzesverschärfungen zu begründen versuchen. "Die Zunahme der registrierten Kriminalität 1994 und 1996 geht allein auf das Konto deutscher Tatverdächtiger", resümieren die Autoren aus der grünen Bundestagsfraktion in einem "Alternativen Sicherheitskonzept".

Dessen ungeachtet, hat der Diskurs um die sogenannte Ausländerkriminalität eine Dynamik entwickelt, die an die Debatte um den sogenannten Asylkompromiß Anfang der neunziger Jahre erinnert. Sozialdemokraten, Liberale und Unionspolitiker sind sich über die entsprechenden Zuschreibungen einig. Auf einem Europapolitischen Kongreß der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament behauptete Kanther Anfang Juni: "Inzwischen weisen drei Viertel aller Verfahren internationale Bezüge auf: z. B. zur neapolitanischen Camorra, zur sizilianischen Mafia oder zu russischen OK-Gruppen und sogar zur kurdischen PKK." Etwas konkreter wurde wiederum Schröder in Bild am Sonntag: "Beim organisierten Autodiebstahl sind die Polen nun mal besonders aktiv, das Geschäft mit der Prostitution wird dominiert von der Russenmafia, Drogenkriminelle kommen besonders häufig aus Südosteuropa und Schwarzafrika." Ganz ähnlich formuliert Winfried Krauß, der Leiter des Amtes I im Parteivorstand der NPD: "Es sind bestimmte Typen von Ausländern, die eine besonders hohe Kriminalitätsrate aufweisen. Asylbewerber und manche Nationalitäten haben einen besonders hohen Anteil an Kriminellen."

Die Nachrichtenmagazine hatten das Thema aus eigenem Interesse an der Sensation - das Fremde hat größeren Nachrichtenwert als das scheinbar Vertraute - schon seit Jahren auf der Tagesordnung. Dennoch legten auch sie noch nach: "Gefährlich fremd", titelte der Spiegel im April: "Die Ausländerintegration ist gescheitert." Drei Monate später lieferte der Focus die Handlungsanweisung nach, wie derlei Gefahren zu begegnen sei: "Monatelang terrorisierten drei Söhne der zehnköpfigen kurdischen Flüchtlingsfamilie Mahmut den Ort in Niedersachsen (...) Schließlich entfernten die Wiesmoorer ihre gefährlichen Gäste selbst."

Im Wechselspiel von Politik, Medien und "gesundem Volkszorn" wurde so ein Klima geschaffen, in dem Ende September problemlos den Bundesrat passieren konnte, was noch wenige Monate zuvor zwischen den Parteien heftig umstritten war: Vorgaben zu einer weiteren Verschärfung des Ausländerrechts, wie sie von Voscherau vorgeschlagen worden waren. Lediglich die rot-grün regierten Bundesländer Hessen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sowie das von SPD und FDP geführte Rheinland-Pfalz verweigerten ihr Ja zu neuen Gesetzesänderungen.

Besonders freute sich über die plötzliche Einsicht der Sozialdemokraten CDU-Innenminister Kanther: Im Vorfeld des Bundesratsbeschlusses zum "Gesetz zur Änderung straf-, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften" am 4. Juli 1997 machte er deutlich: "Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Ausländerrechts (...) wollen wir eine konsequentere Abschiebung ausländischer Straftäter ermöglichen. (...) Durch weitere Maßnahmen im Bereich des Ausweisungs- und Abschiebungsschutzes wollen wir die Durchsetzung aufenthaltsbeendigender Maßnahmen in der Praxis verbessern."

Nur wenige Tage nach Voscheraus Niederlage an der Elbe beschloß der SPD-dominierte Bundesrat erneut eine von dem Hamburger Ordnungspolitiker vorgeschlagene "Kurskorrektur" in puncto Innere Sicherheit. Die Schlagworte: "Bestimmtes Vorgehen" - sprich: hartes Durchgreifen - "gegen Alltagskriminalität", "Keine Entkriminalisierung von Bagatelldelikten", "Mehr Grün auf Deutschlands Straßen" (womit in diesem Fall mehr Polizeipräsenz gemeint ist), "Lebenslange Sicherheitsverwahrung für nicht therapiefähige Sexualstraftäter", "Schnellere Abschiebung für straffällig gewordene Ausländer", "Schnelle Umsetzung der Beschlüsse zum Lauschangriff".

Während der Südosteuropäer in der U-Bahn als Taschendieb verdächtigt wird, dem Afrikaner auf der Straße das Etikett "Drogenhändler" auf der Stirn klebt, gilt der ausländische Geschäftsmann - und insbesondere der osteuropäische - als Agent der sogenannten Organisierten Kriminalität (OK), die seit Beginn der neunziger Jahre den Dreh- und Angelpunkt bundesdeutscher Kriminalpolitik darstellt. Juristisch ist der Begriff in keiner Weise definiert, faktisch wurde er konstruiert, indem eine Vielzahl von Delikten, die bis dahin in den Kriminalstatistiken einzeln aufgeführt waren, nach dem Gesichtspunkt eines größeren homogenen Täterkollektivs zusammengefaßt wurden. Der Rassismus war in dieser De-facto-Definition bereits angelegt: Ausländer, die sich zusammenschließen, weil sie von den Inländern ausgeschlossen werden, werden von vornherein als potentielles Täterkollektiv verdächtigt; wenn einzelne aus einer solchen Gruppe Straftaten begehen, richtet sich die Schuldzuweisung schon beinahe automatisch gegen die Gesamtgruppe. In der Gruppe erscheinen die Täter noch bedrohlicher. Ihre Vergehen sind nicht mehr wie der Taschendiebstahl mit individuellen, menschlichen Maßstäben zu bewerten; hinter der Chiffre von der "Organisierten Kriminalität" verbirgt sich die Andeutung eines Verbrechens, das den Kern der Gesellschaft anzugreifen droht - einer Gesellschaft, die schon durch die Charakterisierung der Bedrohung idealisiert wird.

Das Konstrukt der "Organisierten Kriminalität" tritt so in die Funktion des "Volksschädlings" im Nationalsozialismus ein. Der Täter erscheint nicht mehr als individuell agierendes Subjekt, sondern er ist eingebunden in eine mutmaßliche, im Verborgenen agierende Hierarchie, deren Ziel es ist, den Staat zu unterwandern. Insofern bleibt die Masse der behaupteten Täter auch in der Gesellschaft unverortet, ihre Identität bleibt so schwammig wie ihr angenommener Aufenthaltsort, der in Deutschland so gut sein kann wie im Ausland: Der Organisierte Kriminelle ist orts- und heimatlos wie "der Zigeuner", wie "der Jude" des Antisemiten. Es zählt nicht, wo der Organisierte Kriminelle sein Verbrechen begeht, es zählt, wem er schadet: dem Deutschen Volk, dem er auf keinen Fall angehört. Wie der Jude des Antisemiten wird der Organisierte Kriminelle auf diesem Wege mit der Zirkulationssphäre assoziiert, jener verdächtigen Seite des Kapitalismus, in die der vulgäre Antikapitalismus all dessen üble Eigenschaften projiziert.

Eine erweiterte Fassung dieses Aufsatzes wird Ende Februar in dem Buch "Zum Wohle der Nation" bei Elefanten Press erscheinen.