Alternative Sicherheitskonzepte

»Raus aus dem Streifenwagen!«

Auch grüne Politikerinnen und Politiker wollen in der öffentlichen Auseinandersetzung um "Ausländerkriminalität" nicht außen vor bleiben. Nur wenige Tage nach Gerhard Schröders populistischer Polemik in Bild am Sonntag veröffentlichte die Bundestagsfraktion der Partei am 23. Juli ein Zehn-Punkte-Programm "für ein alternatives Sicherheitskonzept". Punkt 9: "Ausländerkriminalität richtig einschätzen und Ursachen bekämpfen". Man nehme "die Sorgen der Bevölkerung ernst", begründen die Abgeordneten Rezzo Schlauch, Volker Beck und Kerstin Müller ihren Versuch, kriminalpolitische Eckpunkte zu definieren. Das Ziel: "Bürgerrechte erhalten, Kriminalität verhüten, Öffentliche Sicherheit stärken!" Schließlich schade es dem Vertrauen in den Rechtsstaat, "wenn weite Teile der Bevölkerung in der Angst leben, Opfer von Straftaten zu werden, und sie das Gefühl haben, der Staat lasse sie hiermit allein".

Fühlte man sich einst am Bauzaun von Wackersdorf noch von zuviel Staat in grünen Uniformen belästigt, so fordern die Grünen nun selbst mehr polizeiliche Präsenz. So meinte die grüne Rechtsexpertin Renate Künast im August 1997: "Die Polizisten müssen weg vom Schreibtisch, raus aus dem Streifenwagen und statt dessen Streifengänge machen." Was den Unionsparteien und der SPD der einst von Linken kritisierte Kontaktbereichsbeamte war, das ist den Grünen nun der "Sicherheitsdialog zwischen dem Staat und seinen Bürgern und Bürgerinnen", wie die bündnisgrünen Sicherheitstechniker formulieren.

So basteln auch die Alternativen am Szenario einer zunehmenden Bedrohung. Daran ändern Beteuerungen nichts, nach denen sich die Parlamentarier "entschieden" dagegen wehren, "die Ängste der Bürger vor Kriminalität zu mißbrauchen, aus purem Wahlkampfinteresse Sündenböcke für eigenes Versagen der Politik zu suchen oder Sicherheitsversprechungen zu machen, die unglaubwürdig sind". Schließlich, so wußte Krista Sager, die Spitzenkandidatin der Grünen im Wahlkampf um die Bürgerschaft an der Elbe, seien "Verwahrlosung, Rücksichtslosigkeit und unsoziales Verhalten, offene Drogenszene, Müll und Dreck" längst Themen typischer GAL-Wähler und -Wählerinnen. Dem Sicherheitsbedürfnis der eigenen Klientel soll natürlich Sorge getragen werden. Anstatt einer zuvor kritisierten "Politik der Angst" entgegenzutreten, mischt man, geht es erst einmal ums Mitregieren, lieber selbst am explosiven Gemisch mit. So affirmieren die Grünen die Inszenierung mitsamt den damit verbundenen Assoziationen. Da zieht man sich auch mit dem Versuch, "bessere Gesetze" vorzuschlagen, nicht aus der Schlinge.

Die Grünen, die trotz aller Hinwendung zu bürgerlicher Politik die antiautoritären Wurzeln der Partei nicht ganz abgeschnitten haben, wissen wohl um diese Gefahr. "Schröder muß sich fragen lassen, ob er nicht rassistisch motivierte Straftaten verstärkt", kritisierte Krista Sager ihre sozialdemokratischen Partner in spe. Aus einem Unterschichts- ein Ausländerproblem zu machen, "verrate die eigene Tradition". Ihre Berliner Parteifreundin Renate Künast ergänzt: "Wenn Menschen Angst haben, fordern sie eine schnelle Lösung, irgend etwas, das ihnen vordergründig mehr Sicherheit verspricht. Da sind wir mit unseren differenzierten Ansätzen nicht durchgekommen." In der Tat: Wer sich "gegen Strafverschärfung" und für "Entkriminalisierung" ausspricht, kann nicht mit Volkes Stimme beim Wahlgang rechnen.

Das weiß man auch bei der PDS. Dennoch erklärte Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsgruppe, anläßlich des auch mit rassistischen Elementen angereicherten Wahlkampfes der Hamburger Sozialdemokraten: "Biedermänner aus CDU und SPD zündeln wieder" und forderte, "ein Asylrecht wiederherzustellen, das diesen Namen verdient". Schließlich hänge die von Migrantinnen und Migranten verursachte Kriminalität "unmittelbar und ausschließlich" mit ihrer Flucht sowie ihrer unzureichenden sozialen Absicherung in Deutschland zusammen. Im Gegensatz zu allen anderen größeren Parteien haben sich "die Sozialisten" im Sicherheitsdiskurs des vergangenen Jahres nicht in Szene gesetzt, auch wenn sie damit gewiß einem größeren Teil der eigenen Klientel in den östlichen Bundesländern einen Gefallen erwiesen hätten.

Nur unwesentlich unterscheiden sich die Konzepte der PDS zum Thema Innere Sicherheit von denen der grünen Partei: Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, Legalisierung des Drogengebrauchs, Prävention, Täter-Opfer-Ausgleich anstatt Bestrafung. Ausdrücklich wird aber im jüngsten Wahlprogrammentwurf betont, die PDS nehme die "Sorge um persönliche Sicherheit und Schutz vor kriminellen Angriffen" ernst. Auch habe die Polizei "angesichts wachsender Kriminalität einen Anspruch auf technisch und personell verbesserte Arbeitsbedingungen". Die PDS wende sich "aber entschieden gegen eine Politik der 'Inneren Sicherheit', die einseitig auf polizeiliche und strafrechtliche Repression setzt" und gegen "grundrechtswidrige Eingriffe des Staates in die persönliche Sphäre der Bürgerinnen und Bürger. Gerade weil wir um die Politik der SED, ihren entmündigenden Charakter und ihr Scheitern wissen."

Beim gemeinen Wähler der SED-Nachfolgepartei dürfte das Gespenst der Kriminalität jedoch mehr Angstschweiß hervorrufen als der Staat, der vorgibt, es zu bekämpfen. So riskiert auch die PDS, beim Spagat zwischen autoritär strukturiertem Wahlvolk und antiautoritären Ansätzen in der Organisation nach rechts zu kippen.

Bei den Grünen hat man in solchen Turnübungen Erfahrung. Wenn es eng wird, vermag man sich dort schnell auf die richtige Seite zu stellen. So bleibt für die Berliner Grüne Renate Künast die Innere Sicherheit schon deshalb ein Wahlkampfthema, "weil wir CDU und SPD etwas entgegensetzen müssen. Und wenn wir uns an Regierungen beteiligen wollen, müssen wir gerade auf diesem Gebiet etwas anbieten."