Slacking am Kotti

Die Probleme von Erol, Leyla und Ahmed im No-Problem-Film von Thomas Arslan: "Geschwister - Kardesler"

"Geschwister - Kardesler" führt in die Slackerszene am Kottbusser Tor. Hauptfiguren von Thomas Arslans Spielfilm sind Erol, Leyla und Ahmed. Ihr Alltag, ihre Konflikte in Schule oder Job, ihre Auseinandersetzungen mit Eltern und Verwandten werden gezeigt. Alle aus einer türkischen Familie stammend, gehen sie doch mit ihren Schwierigkeiten ganz unterschiedlich um. Ahmed und Leyla entscheiden sich, in Deutschland zu bleiben; Erol dagegen wird in die Türkei zum Militär gehen. Er glaubt, er habe keine andere Wahl. Nach dem Schulabbruch ist sein Leben durcheinandergeraten: Mit kleinen Gaunereien und Hehlereien schlägt er sich durch und bekommt Probleme, sowohl mit der Szene als auch mit der Polizei.

Ahmed hingegen versucht sich von der Straßenszene zu distanzieren und will das Abitur machen. Dies führt zu Konflikten mit seinem Bruder. Layla entflieht der Enge des Familienkreises und verbringt die meiste Zeit mit ihrer Freundin Sevim, mit der sie am liebsten eine Wohnung teilen möchte. Der dialoglastige Film läßt dem Zuschauer die nötige Zeit, die Geschwister, die Eltern und Bekannten in ihrem Alltag zu beobachten. Und der hat, bei allen Schwierigkeiten, mit denen die Figuren zu kämpfen haben, oft ausgesprochen komische Seiten.

Obwohl Arslan Berliner Jugendliche porträtiert, die einer sogenannten Minderheit angehören, hat "Geschwister - Kardesler" nichts mit den Problemfilmen der sozialdemokratischen Epoche zu tun. Anstatt den Pädagogen zu markieren, läßt sich der Filmemacher auf die Probleme seiner Protagonisten ein. An die Stelle mühsamen Erzählens setzt der Film Leichtigkeit und unprätentiöse Skizze. Hauptdrehort ist der Slacker-Treffpunkt am Kottbusser Tor, in Berlin-Kreuzberg. Arslan läßt sein Publikum an den Vorzügen des lockeren Lebens, des Abhängens und Umherschweifens, teilhaben.

"Geschwister - Kardesler" wurde sowohl von der Kritik als auch von den Zuschauern sehr positiv aufgenommen. Für Thomas Arslan, den Regisseur und Drehbuchautor, war dies nach "Mach die Musik leiser" (1994) der zweite längere Spielfilm.

Tamer Yigit (Erol) spielt auch in Arslans nächstem Film "Dealer" die Hauptrolle, er ist Gitarrist und Songschreiber der Punkrock-Band Hasret, Savas Yurderi (Ahmed) ist der Rapper JUKS und produzierte mit DJ Hype die Musik zum Film, und Serpil Turhan (Leyla) spielte in der Fake-Dokumentation "36qm Stoff" von Neco Celik eine weitere Hauptrolle.

"Geschwister " ist der erste Teil einer Trilogie ...

Die Idee einer Trilogie hat sich aus der Arbeit an dem Film "Geschwister" entwickelt. Im zweiten Film, der im Frühjahr gedreht wird, geht es um Kleinkriminelle und im dritten steht ein türkisches Mädchen im Zentrum. Mehr kann ich jetzt noch nicht dazu sagen.

Auch in "Geschwister - Kardesler" stehen junge Leute im Mittelpunkt, diesmal sind es türkische Jugendliche in Berlin ...

Ich versuche immer von Dingen auszugehen, die ich kenne. Abgesehen davon war ich unzufrieden damit, wie Türken bisher in deutschen Filmen dargestellt werden. Das war einer der Gründe, diesen Film zu machen.

In "Geschwister" werden, im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Filmen, die sich mit Minderheiten auseinandersetzen, keine stereotypen Vorstellungen abgespult. Gibt es inzwischen eine positive Veränderung in der deutschen Filmlandschaft?

Was man auf jeden Fall beobachten kann ist, daß jetzt mehr Türken, insbesondere in Serien oder in Fernsehfilmen auftauchen, aber wenn man näher hinguckt, sind das doch wieder die üblichen Klischees. Gerade sind wohl ein paar Filme von türkischen Filmemachern und Filmemacherinnen in Arbeit, die wahrscheinlich zu anderen Resultaten kommen werden. Da muß man abwarten. Es scheint sich schon ein bißchen was zu tun.

Hast du Kontakt zu anderen türkischen Filmemachern?

Kaum. Es scheint so zu sein, daß sie, wie die meisten anderen Filmemacher auch, eher für sich allein arbeiten. Insofern kann man hier sicher noch nicht von einer Bewegung reden.

Entstehen in den anderen europäischen Ländern die besseren Filme zum Thema Migranten?

Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Es ist auch nicht so, daß ich Filme primär auf ihren thematischen Inhalt hin abklopfe. Ich habe auch ein formales Interesse an Filmen, also nicht nur daran, was ein Film im anekdotischen Sinne vorgibt zu erzählen, sondern wie er etwas erzählt, oder mit welchen Mitteln er etwas zeigt. Ich finde zum Beispiel einige der neuen französischen Filme, die zur Zeit in Tradition der Nouvelle Vague entstehen, sehr interessant. Da gibt es eine ganze Reihe von Filmen, von denen man den Eindruck hat, daß in ihnen etwas behandelt wird, was die jeweiligen Filmermacher auch wirklich angeht und daß sie ihren Alltag als etwas betrachten, über das sich zu arbeiten lohnt.

Und in Deutschland ?

In Deutschland scheint im Augenblick das Wichtigste zu sein, hysterisch an irgendwelchen Erfolgsrezepten herumzubasteln. Alles andere muß zur Zeit sehr weit hinten stehen.

Kann man in Deutschland einen deutsch-türkischen Film äquivalent zu dem italo-amerikanischen Kino eines Martin Scorsese etablieren?

Theoretisch ja. Aber die Voraussetzungen sind schon andere. Die USA waren schon immer ein Einwanderungsland und haben sich auch als solches verstanden. - Im Gegensatz zu Deutschland, das zwar historisch von jeher auch ein Einwanderungsland ist, sich aber nie so begriffen hat. Insofern haben ethnische Minderheiten in Deutschland immer noch einen anderen Status und ein anderes Selbstverständnis als in den USA.

Welches Kino interessiert dich?

Ich liebe die Filme von Renoir, Rossellini, Cassavetes, Eustache. Mich interessiert ein Film, der nicht einzig und allein auf der dramatischen Narration beruht, sondern der sich auch andere Formen des Erzählens zu erabeiten versucht, wo nicht die Abwicklung einer Story im Vordergrund steht, sondern wo die Personen einen Raum kriegen, so zu agieren, wie es klassische Erzählstrukturen nicht zulassen würden. Mir geht es darum, eine Form zu finden, die das, was da ist, nicht einfach mit vorgefertigten Ideen zustellt. Man muß versuchen die Dinge zum Klingen zu bringen.

"Geschwister - Kardesler" (D 1996) ist gerade in Berlin gestartet und läuft demnächst auch in anderen deutschen Großstädten an