Endlich ausgekuschelt

Die Studierendenbewegung spaltet sich. Kommt nach dem Herbst der Demonstrationen nun der Winter der Kongresse?

Findet die Studierendenrevolution im neuen Jahr wegen schlechten Wetters im Saal statt? "Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen", verkündete 1968 der "Internationale Vietnam-Kongreß" an der Technischen Universität Berlin. Knapp 30 Jahre nach Dutschke, Krahl & Co. treffen sich vom 8. bis zum 11. Januar erneut Studierende aus der gesamten Republik an der TU. Mit rund 3 000 Teilnehmern rechnet die "Organisationsgruppe für den bundesweiten studentischen Basiskongreß". Statt Revolution ist jedoch "die Zusammenführung aktueller studentischer Positionen zur Lage der Republik" angesagt. Denn die Einlader haben festgestellt, daß seit Jahren "drängende gesellschaftliche Probleme verschleppt, politische Verantwortlichkeiten und Lösungsansätze nicht wahrgenommen" würden. Dagegen soll unter dem kreativen Titel "Bildung und Gesellschaft" vereinte Studierendenpower gesetzt werden: "Zum einen wollen wir einen gemeinsamen Forderungs- und Maßnahmenkatalog erstellen, zum anderen sollen die inhaltlichen Diskussionen weiterentwickelt und der Diskussionsstand transparent gemacht werden."

In den nächsten zwei Wochen wird sich entscheiden, wie es mit der studentischen Protestbewegung weitergehen wird, die sich in den vergangenen Monaten an den bundesdeutschen Hochschulen austobte. Schon vor den Weihnachtsferien war die Streikfront gebröckelt. Während ein Teil der Streikenden die Protest-Aktivitäten ausweiten und bis zum Semesterende weiterführen will, hat die Aussicht, die für das Wintersemester geplanten Scheine zu verlieren, etliche Studierende zurück in die Vorlesungen und Seminare getrieben. An vielen Hochschulen wurde daher der "Streik" noch vor Jahresfrist "ausgesetzt". Ob die "Streikdynamik", wie von Aktivisten erhofft, in diesem Jahr zurückkehrt, ist zweifelhaft.

Streit gibt es inzwischen über die Protestformen. Zwar sind sich die protestierenden Studierenden einig, daß sie nicht mehr als "Kuscheltiere" (Süddeutsche Zeitung) tituliert werden wollen. Uneinig sind sie jedoch, ob nun auch mal richtig zugebissen werden soll. Anlaß sind die "Ausschreitungen" am Rande der bundesweiten Demonstration am 18. Dezember 1997 in Bonn: Echte und vermeintliche Autonome hatten versucht, in die Bannmeile im Regierungsviertel einzudringen. Die Leitung der Demonstration distanzierte sich umgehend von den "Krawallmachern". Ein Skandal für das studentische Koordinierungstreffen der Ruhr-Unis Bochum, Essen und Dortmund. "Festzustellen ist", so heißt es in einem "Offenen Brief" der "Ruhrkoordination", "daß es verschiedene Ausdrucksformen des Protestes gibt." Die Verfasser "hätten erwartet, daß die Demoleitung bei der Abschlußkundgebung die brutalen Polizeiübergriffe auf Studierende in aller Deutlichkeit verurteilt." Sie könnten aus dem Verhalten der Demoleitung "nur schließen, daß auch ihr auf seiten der überreagierenden Polizei, nicht aber auf seiten der Mehrheit der Protestierenden steht". Die nächste bundesweite Demonstration soll - als Kongreß-Auflockerung - am 10. Januar in Berlin vor dem Brandenburger Tor stattfinden. Als Motto dient ein Kant-Zitat: "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!"

Unterdessen rudert nun mancher Asta zurück, da er um seinen Einfluß innerhalb einer unkontrollierbaren Bewegung fürchtet. So in Duisburg: Der dort amtierende Asta hat den Streikenden inzwischen jegliche Unterstützung entzogen und sogar die Telefon-, Fax- und Internet-Leitungen seiner Büros gekappt, um dem von einer studentischen Vollversammlung (VV) eingesetzten Streikkomitee die Arbeitsmöglichkeiten zu entziehen. Hintergrund: Der Asta-Vorstand, gestellt von Jungsozialisten und einer "unabhängigen" Studierenden-Liste, hält einige Vollversammlungsbeschlüsse für "rechtswidrig". So hatte die VV am 17. Dezember 1997, an der über 1 500 Studierende teilnahmen (mehr als doppelt so viele, als die Asta-Listen bei den letzten Studierendenparlamentswahlen an Stimmen erhielten) beschlossen, den eine Woche zuvor "ausgesetzten" Streik nicht nur wieder aufzunehmen, sondern noch auszudehnen. Auch Verwaltungsgebäude sollten nun blockiert werden. Unakzeptabel für den Asta, der alle Beschlüsse, "die über den in der Satzung vorgesehenen Vorlesungsboykott hinausgehen", als unzulässig ansieht. Daher gebe es jetzt einen nicht unterstützenswerten "wilden Streik", so der Asta-Vorsitzende Ahmet Emre.

Auch die Duisburger planen, am kommenden Wochenende mit einem Bus zum "bundesweiten studentischen Basiskongreß" zu reisen, um sich in den unzähligen Arbeitsgruppen zu tummeln. Debattiert werden soll über die Oberthemen "Hochschulstruktur und Studierendenschaften", "Lehre - Inhalte und Organisation", "Wissenschaftsethik/Hochschule in der Gesellschaft", "Zugang zu Bildung", "Wirtschaft und Gesellschaft", "Demokratie/ Macht/Medien" und "Protestorganisation". "Dabei sollen gesellschaftliche Probleme analysiert und Alternativen zur bestehenden Politik, insbesondere der Bildungspolitik, aufgezeigt werden", so die Berliner Kongreß-Organisatoren - vielleicht wird es aber auch nur die Lucky Party zum "Lucky Streik", der inzwischen von seinen Protagonisten in "Angry Streik" umbenannt wurde.

Zumindest wird der Kongreß Auskunft geben über den Stand der studentischen Bewegung: Droht ein Friedhof der Kuscheltiere? Werden die "Streikstudenten", wie ein Kommentator in einer ehemaligen FDJ-Zeitung verkündete, "eine Restlinke, die ihr Verlierergeplärre zur letzten Bastion gegen den Faschismus erklärt hat und die sich längst für nichts mehr interessiert als für ihre Selbstzerfleischung und für die moraltheologische Frage, wer im Lande denn noch 'anständig' sei" "erledigen"? Oder werden sie den ganzen Haufen bürgerlicher Journaille, der sich an die streikenden Studierenden geklemmt hat, um die eigenen reaktionären Phantasien wirkungsvoller transportieren zu können, unter dem Motto "Seminarleiter statt Possenreiter" in die Särge packen, die sie auf den Demos der letzten Wochen mitführten? Vielleicht in den "garantiert original Marburger Demosarg, beschafft von Miele (AK Sicherheit & Service)"? Oder gibt man sich marxistisch und bewirft sich in guter Harpo-Marx-Manier einfach mit Farbeiern und Torten, wie beim letzten studentischen Kongreß an der TU Berlin, dem Benno-Ohnesorg-Kongreß im Sommer letzten Jahres? Wenn es wieder die richtigen trifft, wäre das ja auch nicht das Schlechteste.