Klein-Adolfs Erzählungen

Lübecker Brandanschlag: Ein Verdächtiger aus Grevesmühlen bezichtigte sich wieder einmal selbst der Tat. Und die Staatsanwaltschaft sieht wieder einmal "keine Wende"

"Maik W. hat ein Geständnis abgelegt." Auch den wenigen kritischen Beobachtern, die sich intensiver mit dem Brandanschlag auf die Lübecker Asylbewerberunterkunft im Januar 1996 beschäftigt hatten, konnte die Meldung nur ein zynisches Lächeln entlocken. "Schon wieder?" so die gängige Reaktion, die nicht nur den Erfahrungen mit der leichtfertigen Geschwätzigkeit der Grevesmühlener Tatverdächtigen geschuldet ist.

Denn auch die Staatsanwaltschaft der Ostseestadt reagierte, wie man es von ihr gewöhnt ist. Eine "Wende in der Brandsache Lübecker Hafenstraße" sieht Behördensprecher Klaus-Dieter Schultz nicht. Man gehe, wer hätte eine andere Auskunft erwartet, jedem Hinweis nach. Folglich trat der Strafverfolger am vergangenen Mittwoch dem Vorwurf entschieden entgegen, daß bislang schlampig ermittelt worden sei: "Solange wir kein Geständnis haben, solange wir diese Angaben nicht haben, können wir sie nicht überprüfen." Ach so.

Immerhin: Wollte man den bisher abgelegten Selbstbezichtigungen des Mecklenburger Quartetts partout kein Interesse schenken, so leitete die Behörde jetzt ein neues Ermittlungsverfahren gegen die vier deutschen Männer ein, die bereits unmittelbar nach dem Brand kurzzeitig als Tatverdächtige festgenommen worden waren. Offenbar ließ der aktenkundige Neonazi Maik W. den Staatsanwälten diesmal keine andere Chance. Vor Mithäftlingen hatte der zur Zeit wegen Autodiebstahls im Neustrelitzer Knast Einsitzende mit der Tat geprahlt. 20 000 Mark soll er demnach gemeinsam mit seinen damaligen Freunden Dirk T., René B. und Heiko P. von einem Unbekannten in einer Lübecker Kneipe für den Anschlag kassiert haben, bei dem zehn Menschen starben. Er selbst habe hundert Meter entfernt Schmiere gestanden. Einer sei dann durchs Fenster in die Asylbewerberunterkunft hineingeklettert, erläuterte Maik W., der sich von seinen Freunden gern Klein-Adolf nennen läßt.

Am 23. Februar dieses Jahres ließ sich Staatsanwalt Michael Böckenhauer von Klein Adolf diese Geschichte ausführlich berichten. Als Böckenhauer drei Tage später mit seinem Abteilungsleiter Schultz ein weiteres Mal gen Osten reiste, um den Mann zu vernehmen, wollte der 20jährige Grevesmühlener nichts mehr von seiner Selbstbezichtigung wissen. Er sei von Mithäftlingen zu einem Geständnis gedrängt worden und habe nachgegeben, um seine Ruhe zu haben. Und so konnte Ermittler Schultz sich vergangene Woche in seiner bisherigen Einschätzung bestätigt fühlen. Schließlich gebe es weder auf das Geld noch auf den Mann, der es gezahlt haben soll, irgendwelche Hinweise. Aber ohnehin seien die Schilderungen Maik W.s nur schwer mit den Erkenntnissen in Einklang zu bringen, die der Prozeß gegen den Hausbewohner Safwan Eid zutage gefördert habe.

Eine kühne Behauptung des Lübecker Juristen. Denn daß das tödliche Feuer an jenem 18. Januar im Inneren des Hauses gelegt worden sein muß, wie Schultz seiner Behauptung zu Grunde legt, hat das Verfahren gegen den libanesischen Flüchtling mitnichten bewiesen. Ebensowenig, daß es keine Möglichkeit zum Eindringen in das Gebäude gab.

Dagegen brachte der Lübecker Brandprozeß genug Verdachtsmomente gegen die Grevesmühlener ans Licht. So gaben Arbeiter der in der Hafenstraße liegenden Knäckebrot-Firma Brüggen an, die Männer mit ihrem Wartburg bereits am Tatort gesehen zu haben, als von Polizei und Feuerwehr noch nichts zu sehen gewesen sei - eine Aussage, die durch die Grevesmühlener selbst bestätigt wurde. Zwei von ihnen erzählten den Ermittlern, wie sie eine tote Frau mit ihrem Kind auf der Straße liegen beziehungsweise einen brennenden Mann im Vorbau gesehen hatten. Diese beiden tragischen Vorfälle fanden, so läßt sich ohne Zweifel aus den Prozeßakten schließen, wesentlich früher statt als die routinemäßige Kontrolle vor dem brennenden Gebäude, bei der Klein-Adolf den Beamten sicherheitshalber einen falschen Namen angegeben hatte. Ein eindeutiges Alibi für die vermutliche Zeit des Brandausbruchs hatten die vier entgegen vielen anders lautenden Behauptungen ohnehin nicht.

Solchen Erkenntnissen aus dem Lübecker Verfahren wollten die Strafverfolger jedoch genauso wenig Interesse schenken wie den Brandspuren, die bei drei der vier Männer während deren kurzzeitiger Festnahme festgestellt wurden. Dabei wissen auch die Ermittler Böckenhauer und Schultz genau, daß die kruden Berichte, mit denen die Mecklenburger ihre Versengungen an Haaren, Wimpern und Augenbrauen zu erklären versuchten, erlogen sind. Der Lüge wird jedoch nur die Gerichtsmedizinerin bezichtigt, die jene ersten Haarproben genommen und an die Kripo weitergegeben hatte, die kurz darauf in den Räumen der Ermittler verloren gingen. Gegen sie läuft ein Meineid-Verfahren.

Bei dem neuesten Geständnis von Maik W. handelt es sich nicht um die erste Selbstbezichtigung eines der Grevesmühlener: Schon zwei Wochen vor dem tödlichen Feuer hatte Klein-Adolf einem Freund erzählt, er habe in Lübeck "etwas angesteckt" oder werde das tun. Diese Ankündigung weckte das Interesse der Ermittler ebensowenig wie sein Geständnis im Dezember 1996 gegenüber dem Angestellten eines Güstrower Sportgeschäfts. Der Verkäufer sagte später gegenüber Polizisten aus, Maik W. habe vom 28. August 1995 gesprochen. Sicher sei er sich aber über das genannte Datum nicht, räumte er später ein. Staatsanwalt Böckenhauer hingegen war sich sicher: Weil am 28. August kein Brandanschlag in Lübeck stattgefunden hatte, "ergebe sich kein hinreichender Tatverdacht gegen den ehemaligen Beschuldigten".

Auch Heiko P. hat sich selbst bezichtigt. Vor Ort, im Lübecker Café Amadeus, gestand der Grevesmühlener seinem ehemaligen Arbeitskollegen Günther V. sechs Wochen nach dem Hafenstraßen-Brand die Mittäterschaft. Dies zumindest berichtete ein Feuerwehrmann, der Günther V. nach einer Schlägerei ins Krankenhaus gebracht hatte. Er selbst sei aber nur der Fahrer gewesen, soll Heiko P. erzählt haben. Auf späteres Nachhaken der Ermittler konnte sich Günther V. nicht mehr an die Selbstbezichtigung des Grevesmühleners erinnern. Dennoch gab der alte Bekannte an, Heiko P. habe immer wieder die Worte wiederholt: "Die können uns nichts" und "Die kriegen uns sowieso nicht". Auch hier sah die Staatsanwaltschaft keinen Grund zu weiteren Ermittlungen. Die "Spur 48" wanderte zu den Akten. Dabei ist eine Auffälligkeit kaum zu übersehen: In der Tat könnte Heiko P. "nur der Fahrer" gewesen sein. Er war der einzige, bei dem keine Brandspuren festgestellt worden waren.

Beinahe überflüssig zu erwähnen, daß sich die vier Männer regelmäßig auch gegenseitig belasteten. Am konkretesten wurde René B. im Juli 1996: "Dirk T., der könnte es alleine gewesen sein", sagte der Grevesmühlener einer Reporterin der taz. Vier Tage später überfiel ein maskiertes Rollkommando die Wohnung René B.s. Im rechtsradikalen Sumpf der Mecklenburger Kleinstadt mag man offenbar keine Denunzianten. Möglicherweise stießen René B.s Äußerungen aber auch noch an ganz anderer Stelle auf Unmut. Bis heute ist der Verdacht nicht vom Tisch, Dirk T. verdiene sein Geld als V-Mann. Zumindest war es Dirk T., der von Anfang an nicht einmal ein fragwürdiges Alibi vorweisen konnte und dennoch von den Sicherheitsbehörden in Ruhe gelassen wurde.

"Ein direktes Geständnis, das nicht vom Hörensagen stammt, ist mehr, als gegen Safwan Eid jemals vorgelegen hätte", stellte das Lübecker Bündnis gegen Rassismus nach der neuesten Selbstbezichtigung von Maik W. fest. Daß dennoch weiterhin die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen für den Anschlag auf ihre Unterkunft verantwortlich gemacht werden, dafür hat nicht zuletzt das Urteil des Lübecker Landgerichtes gesorgt. Denn auch dort fand eine Art Widerruf statt, dessen Hintergrund bis heute nicht nachvollziehbar geworden ist: Hatte Richter Wilcken noch wenige Monate vor Urteilsverkündung eine Täterschaft Safwan Eids ausgeschlossen und die Möglichkeit einer von außen verübten Tat offengelassen, so ist in der ein halbes Jahr später vollendeten schriftlichen Begründung des Freispruchs genau das Gegenteil zu lesen. An den Fakten hatte sich in diesem Zeitraum jedoch nichts geändert.