Die Erfindung der weißen Rasse

Rassistische Unterdrückung als System sozialer Kontrolle. Zu Theodore W. Allens Studie über Rassismus.

Der Titel "The Invention of the White Race", die "Erfindung der weißen Rasse", machte hellhörig, als vor vier Jahren Theodore W. Allen den ersten einer auf zwei Bände angelegten historischen Studie über Rassismus, Kolonialsystem und Sklaverei im südlichen Teil der nordamerikanischen Ostküste vorlegte.

Erst wenige Jahre zuvor hatte in der Linken der BRD eine allerdings überfällige politische und theoretische Debatte über Rassismus begonnen, über seine staatlich-institutionelle Verankerung, seine impliziten wie expliziten Erscheinungsformen und seine dauerhafte Präsenz in der Alltagsideologie einer Gesellschaft, die sich zumindest offiziell unter dem perfiden Hinweis auf eine kaum nennenswerte Vergangenheit als überseeische Kolonialmacht (1884-1915) und auf die historische Überwindung des NS-Rassenwahns vom Vorwurf des Rassismus freisprechen wollte. Das Anwachsen faschistischer Wahl- und Stoßtrupparteien mit ihrer rassistischen Programmatik ließ solche Legitimationsmuster in den achtziger Jahren noch weitgehend unangetastet.

Das Erschrecken aber über das Ausmaß rassistisch motivierter Übergriffe auf Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten zu Beginn der neunziger Jahre hat immerhin einige empfindlich gemacht für staatlich sanktionierte und konsensuell gedeckte Diskriminierungspraktiken, denen andere tagtäglich ausgesetzt sind. Plötzlich waren auch deren Stimmen für bundesrepublikanische Linke vernehmbar und plötzlich war nicht mehr auszuschließen, daß es auch "schwarze Deutsche" oder "deutsche Schwarze" gibt.

Notgedrungen, weil Vergleichbares im deutschsprachigen Raum kaum auffindbar war, aber glücklicherweise, weil hier, um es gleich anzudeuten und ein scheinbar veraltetes Wort zu verwenden, ein wirklicher Erkenntnisfortschritt ermöglicht wurde, mußte auf theoretische Reflexionen und wissenschaftliche Forschungen vor allem aus Britannien, Frankreich und den USA Bezug genommen werden, sollte die Debatte über rassistische Unterdrückung überhaupt in Gang kommen.

Produktiv wurde in ihr die Erkenntnis, daß es sich bei dem, was der Begriff "Rasse" oder "Ethnie" bezeichnet, nicht um eine biologisch oder kulturell bestimmte Entität, sondern um eine soziale Konstruktion handelt, die die herrschaftlichen Praktiken der Ein- und Ausschließung von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen regelt und historisch wie aktuell mit einem Bündel von soziologischen, somatischen, symbolischen und phantasmatischen Zuschreibungen angereichert ist.

Im Grundsatz nimmt auch Allens Studie "Die Erfindung der weißen Rasse" diese Definition auf, wobei allerdings der Hauptakzent seiner historischen Untersuchung auf dem sozialen Herrschaftsaspekt liegt. Zur Orientierung unterscheidet Allen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der US-amerikanischen Geschichtsschreibung über Rassismus und Sklaverei zwei grundlegende Ansätze, den psycho-kulturellen und den sozio-ökonomischen.

I.
Der erste Ansatz baut auf eine psycho-kulturelle Argumentationslinie, nach der die Entstehung der Sklaverei die unmittelbare Folge eines bereits ausgebildeten, vorkolonialen rassistischen Einstellungspotentials, eben einer psycho-kulturellen Disposition oder "Geisteshaltung" der englischen Kolonisatoren war.

Allen nun kann in seiner Studie, vornehmlich im zweiten Band ("The Origin of Racial Oppression in Anglo-America", 1997), unter einer Reihe von historischen Gesichtspunkten diesen Ansatz widerlegen. Dies gilt beispielsweise für die unterschiedliche Behandlung von "Indianern" und "Negern" unter der prinzipiellen Vorstellung einer Superiorität der Weißen, für die verschiedenen Vorgehensweisen der englischen Kolonisatoren in der Karibik und auf dem Festland gegenüber "Mulatten", "freien Farbigen" und Plantagensklaven sowie für das Ereignis des gemeinsamen Aufstands von weißen Leibeigenen auf Zeit und schwarzen Sklaven als vererbbare "Leibeigene" auf Lebenszeit während der Phase der sogenannten Bacon-Rebellion von Mai 1676 bis Januar 1677 in Virginia, um nur drei Punkte zu nennen, die dieser Ansatz schließlich ignorieren muß.

Nicht zuletzt die Tatsache, daß sich in der ersten Periode der Kolonisierung des nordamerikanischen Festlands im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts weiße wie schwarze Landarbeiter nach dem Muster der Schuldknechtschaft in zeitlich befristeter Leibeigenschaft auf den Tabakplantagen in Virginia verdingen mußten, macht deutlich, daß deren englische Besitzer zunächst keine rassistische Segregation der Arbeitskräfte vornahmen. Auch in dieser Hinsicht erweist sich also die psycho-kulturelle Argumentationsweise als unzulänglich.

Hinzu kommt jedoch noch der theoretisch-methodische Einwand, daß in diesem Ansatz historischer Forschung nicht nur der Rassismus der Sklaverei, sondern mehr noch die ideologische Rassenkonstruktion dem Rassismus und der historischen Wirkungsweise rassistischer Unterdrückung, hier der Sklaverei, immer schon vorausgesetzt ist. Mit anderen Worten: Das, was die historische Forschung erbringen soll, die Konstitutionsbedingungen von rassistischer Versklavung offenzulegen, wird als sekundäres, ableitbares geschichtliches Phänomen behandelt; und so stößt dieser Ansatz den Historiker in den Abgrund anthropologischer Abhandlungen oder psychologisierender Romane zurück, wie sie im 18. und 19. Jahrhundert kultiviert wurden.

Das Muster ist nachzulesen bei Thomas Jefferson, Gouverneur von Virginia und späterer dritter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, in "Notes on the State of Virginia" aus den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Zur Frage der Freilassung der Sklaven, damals ein Synonym für "Schwarze" oder "Neger", heißt es im 13. Kapitel, in dem Jefferson sich mit dem Rechtssystem befaßt: "Man wird wahrscheinlich fragen: Warum nicht die Schwarzen hierbehalten und in den Staat eingliedern, um auf diese Weise die Kosten zu sparen, die anfallen, wenn weiße Siedler importiert werden, um die Lücken zu füllen? Tief verwurzelte Vorurteile bei den Weißen, zehntausend Erinnerungen der Schwarzen an die ihnen zugefügten Verletzungen; neue Provokationen, die wirklichen, naturbeschaffenen Unterschiede und viele andere Umstände würden uns aufteilen in Parteien und Erschütterungen verursachen, die wahrscheinlich nie enden würden, es sei denn, die eine oder die andere Rasse wäre ausgelöscht."

Es folgt eine lange Betrachtung über die physische und psychische Beschaffenheit der "Schwarzen", über ihre sittlichen und kulturellen Fähigkeiten, etwa ihren vermeintlichen Mangel an "Vernunftdenken" und an "Empfindungsvermögen" in der Liebe, über ihre Musikalität, aber ihre Unfähigkeit zur Poesie, das ganze Arsenal an stigmatisierenden Zuschreibungen, das sich der Jurist, Politiker, Diplomat und Tabakplantagenbesitzer Jefferson zurechtgelegt hat, um sich im Glauben an die Superiorität der Weißen zu bestärken und seine Apartheidsthese zu untermauern. Schließlich hebt er zu einem kühnen universalgeschichtlichen Vergleich an: "Bei den Römern erforderte die Emanzipation nur eine Anstrengung. Der befreite Sklave durfte sich vermischen, ohne daß er das Blut seines Herrn befleckt hätte. Doch bei uns ist eine zweite, in der Geschichte unbekannte Anstrengung erforderlich. Wird er befreit, muß er so weit entfernt werden, daß keine Vermischung möglich ist."

Mit solchen Auffassungen stand Jefferson, wie sich denken läßt, im 18. Jahrhundert keineswegs allein; bei Hume ("Of National Characters", 1753), Voltaire ("Essai sur les mÏurs et l'esprit des nations", 1756), Rousseau ("ƒmile ou de l'ƒducation", 1762), Kant ("Von den verschiedenen Rassen der Menschen", 1775) und vielen anderen finden sich ähnliche Zuschreibungen; legitimatorische Rekurse auf die antiken Sklavenhaltergesellschaften, auf deren Kolonisationspraxis, auf klimatische und physische Bedingungen sowie psychische und intellektuelle Fähigkeiten prägten den philosophischen Diskurs weitgehend.

Noch Hegel meinte in den zwanziger Jahren des folgenden Jahrhunderts: "Der einzige wesentliche Zusammenhang, den die Neger mit den Europäern gehabt haben und noch haben, ist der der Sklaverei. In dieser sehen die Neger nichts ihnen Unangemessenes, und gerade die Engländer, welche das meiste zur Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei getan haben, werden von ihnen selbst als Feinde behandelt." Hegel, der sich an dieser Stelle seiner "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" für die "allmähliche Abschaffung der Sklaverei" ausspricht, hält die Rebellion der Sklaven für einen Aufstand des Naturzustands gegen die Gesellschaft. Um dies aber zu vermeiden, müsse der Staat zuerst für deren "Erziehung, eine Weise des Teilhaftigwerdens höherer Sittlichkeit und mit ihr zusammenhängender Bildung" Sorge tragen, bevor der Zustand der Sklaverei aufgehoben werden könne.

Auch nach dem Verbot des Sklavenhandels und der Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert bleibt das so formulierte Muster des herrschaftlichen Legitimationsdiskurses in Kraft. Am 21. Juli 1900 wenden sich 75 Siedlerkolonisatoren aus dem Bezirk Windhuk, Deutsch-Südwestafrika, in einem Gesuch an die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts der kaiserlichen Regierung, um gegen eine mögliche Abschaffung der Prügelstrafe zu protestieren, und deren Begründung lohnt es sich ausführlich zu zitieren:

"Die erste Vorbedingung für eine richtige Behandlung der Eingeborenen ist, daß man sich über ihre Lebensanschauung und ihren Gesichtskreis klar wird. Unsere Eingeborenen leben seit Urzeiten in Faulheit, Roheit und Stumpfsinn in den Tag hinein; je schmutziger sie sind, desto wohler fühlen sie sich. Für jeden Weißen, der unter Eingeborenen gelebt hat, ist es nicht gut möglich, dieselben als Menschen im europäischen Sinne anzusehen; sie müssen erst mit endloser Geduld, Strenge und Gerechtigkeit im Laufe der Jahrhunderte dazu erzogen werden.

Für Milde und Nachsicht hat der Eingeborene auf Dauer kein Verständnis; er sieht nur Schwäche darin und wird infolgedessen anmaßend und frech gegen den Weißen, dem er doch nun einmal gehorchen lernen muß, denn er steht geistig und moralisch doch so tief unter ihm. Ehrgefühl darf man bei den Eingeborenen nicht suchen, weshalb auch entehrende Strafen für ihn zwecklos sind. Entziehung der Freiheit faßt er falsch auf, bekommt er doch bei Gefängnis seiner Meinung nach gute Wohnung und besseres Essen als er selbst hat. Als Strafe war ihm bisher nur körperliche Züchtigung bekannt, und die muß naturgemäß auch beibehalten werden, bis er in späteren Zeiten einmal mehr Mensch geworden ist.

Wie die Erfahrung gelehrt hat, haben die in Südafrika geborenen Weißen ihre Eingeborenen zu den relativ brauchbarsten Arbeiten erzogen; sie kränkeln nicht an einer übertrieben humanen Auffassung, sondern geben ihren Eingeborenen bei Bedarf ihre verdiente Züchtigung. Der Eingeborene fühlt sich bei ihnen wohl und arbeitet gern bei ihnen."

Die Ansicht, daß es gerecht sei, unter Züchtigungen zur Arbeit getrieben zu werden, diese dann auch noch gerne zu tun und sich dabei wohlzufühlen, wird der Gezüchtigte kaum geteilt haben. Darauf verweisen die ungezählten Rebellionen und Aufstände, wie etwa der Maji-Maji-Aufstand in Deutsch-Ostafrika (1905/06) und der Nama-und-Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika (1904-07), auf den die deutsche Kolonialarmee unter Generalleutnant von Trotha mit einer "Vernichtungsstrategie" gegen die Herero-Stämme antwortete, oder wie die bereits erwähnte Bacon-Rebellion und der Aufstand der Sklaven in der französischen Kolonie Saint-Domingue vom August 1791, der in einen veritablen Unabhängigkeitskrieg von über zehnjähriger Dauer mündete, in dem schließlich gegen den Versuch der napoleonischen Armee, innerhalb der Plantagenökonomie die Sklaverei wiederherzustellen, 1804 die Gleichheit aller vor dem Gesetz proklamiert sowie die Abschaffung der Sklaverei und die völkerrechtliche Souveränität des Staats Haiti durchgesetzt wurde.

Das Bild vom demütig sein Schicksal ertragenden Sklaven gehört ebenso wie das vom gerechten, gar gütigen Herrn, der an "seinen Negern" lediglich eine zivilisatorische Mission erfüllt, zu den Legendenbildungen über Rassismus, Kolonialsystem und Sklaverei, die auf die Apologie der Herrschaft zugeschnitten sind; sie sind die sozialpazifizierte Kehrseite der Vorstellung vom immerwährenden "Rassenkampf", wie sie der psycho-kulturelle Ansatz bereithält. Immerhin aber die selbstgesetzte zivilisatorische Mission, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die "Erziehung zur Arbeit" zu bewerkstelligen, war und ist den Herrschenden uneingeschränkt abzunehmen, und gerade diese Mission hat sich dann auch in der bürgerlichen Geschichtsschreibung nachhaltig Geltung verschafft.

II.

Der sozio-ökonomische Ansatz in der US-amerikanischen Geschichtsschreibung geht auf die Etablierung des Systems der Sklavenarbeit zurück, um die Entstehung rassistischer Unterdrückung zu erklären.

Bereits 1944 hatte der Historiker Eric Williams in seiner heute als klassisch geltenden, marxistischen Studie "Capitalism and Slavery" über den Zusammenhang von Sklavenhandel, Plantagensklaverei und der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise in England die These vertreten, daß die Sklaverei nicht das Produkt des Rassismus, sondern der Rassismus eine Folge der Sklaverei war.

Was zunächst wie eine einfache Umkehrung des psycho-kulturellen Ansatzes erscheint, erwies sich für die historische Forschung als aufschlußreicher Ausgangspunkt. Gestützt auf Williams These waren sowohl die Motive der Versklavung als auch die Formen der Renitenz, "Faulheit", Sabotage und Revolte, nicht länger aus rassistischen Zuschreibungen abzuleiten, etwa aus der klimatischen Anpassungsfähigkeit der aus Afrika Verschleppten beziehungsweise aus deren "Unbändigkeit" und "Fanatismus". Die legitimatorische Funktion solcher Zuschreibungen für die angesprochene "Erziehung zur Arbeit" wurde durchschaubar, und man kam nicht umhin, die "Sklaven" als handlungsfähige Subjekte der historischen Ereignisse zur Kenntnis zu nehmen.

In den Mittelpunkt der historischen Forschung zu Rassismus, Sklaverei und Kolonialsystem rückte der sozio-ökonomische Ansatz dabei die Plantagenökonomie. Sie prägte die für die rassistische Versklavung grundlegenden Sozialverhältnisse und kurbelte in Europa die kapitalistische Akkumulationsmaschinerie an. Die Zucker-, Tabak- und Baumwollplantagen auf dem amerikanischen Kontinent, in Brasilien, in der Karibik oder auf dem nordamerikanischen Festland, bildeten das Territorium der modernen kapitalistischen Sklavenhaltergesellschaften. Schon Marx merkt in dem berüchtigten Kapitel über die "sogenannte ursprüngliche Akkumulation" im ersten Band des "Kapital" an: "Überhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal die Sklaverei sans phrase in der neuen Welt."

Paradoxerweise ist Marxens polemische Bemerkung ebenso hellsichtig wie verdunkelnd. Letzteres nicht nur, weil Marx Lohnarbeit und Sklavenarbeit - zumindest metaphorisch - in eins setzt, sondern vor allem, weil er hinter der Formulierung von der "Sklaverei sans phrase" ihren Charakter als spezifische Institution von Ausbeutung und rassistischer Unterdrückung tendenziell verschwinden läßt.

Mit anderen Worten, die politischen und ideologischen Implikationen einer auf Sklaverei basierenden Ökonomie treten völlig in den Hintergrund gegenüber dem ökonomischen Resultat. Es ist hier nicht der Ort, das unzureichend geklärte Verhältnis von außerökonomischer Gewalt und ökonomischer Effektivität, wie es beispielsweise in der zitierten Formulierung auftaucht und als Problem das gesamte Kapitel über die "sogenannte ursprüngliche Akkumulation" im "Kapital" durchzieht, gar Marxens Überlegungen zum Problem der Sklaverei etwa in den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie" weiter zu verfolgen. Im Blick hatte Marx die Baumwollplantagen in den nordamerikanischen Südstaaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die "Verwandlung der früher mehr oder weniger patriarchalischen Sklavenwirtschaft in ein kommerzielles Exploitationssystem", die durch die Expansion der europäischen Textilindustrie angestoßen wurde.

Die historische Koinzidenz der ökonomischen Durchsetzung der industriellen Bourgeoisie und der effektivierten Restituierung der Plantagenökonomie im Übergang zum Baumwollanbau sowie der festen Etablierung einer kleinen Sklavenhalter-Aristokratie in den Südstaaten, von sogenannter industrieller Revolution und forcierter Sklavenwirtschaft steht nicht in Frage.

Zieht man etwa das Beispiel Virginia heran, so wird allerdings deutlich, daß diese Konstellation die Herausbildung von rassistischer Unterdrückung bereits voraussetzt. Im ausgehenden 17. Jahrhundert und beginnenden 18. Jahrhundert wird in dieser englischen Kolonie die Plantagenökonomie im Tabakanbau eingeführt und mit ihr die Sklaverei.

Zuvor beruhte die Ausbeutung der Arbeitskräfte in den Kolonialgebieten des nordamerikanischen Festlands vor allem auf der schon erwähnten Schuldknechtschaft, die eine zeitlich befristete, meist sieben Jahre dauernde Leibeigenschaft bedeutete, in der die einwandernden Europäer die überteuerten Schiffspassagen gegen Kost und Unterkunft abarbeiten mußten. Immerhin mehr als die Hälfte aller europäischen Einwanderer hatte im 17. und 18. Jahrhundert einen solchen Status als "Intentured Servant" (in den französischen Kolonien hießen Einwanderer mit diesem Status engagés) inne oder, sofern sie überlebten, inne gehabt.

Der Grund, weshalb dieses System der Ausbeutung in Virginia aufgegeben wurde, ist, dem sozio-ökonomischen Ansatz zufolge, darin zu sehen, daß Arbeitskräfte aus Afrika schlicht billiger gewesen seien. Allen nun, der den sozio-ökonomischen Ansatz gerade im Hinblick auf die zentrale Bedeutung, die dieser den Produktionsverhältnissen und Haushaltsorganisationen beimißt, übernimmt, kann in seiner historischen Studie zeigen, wie diese Grundannahme fehlgeht.

Zum einen lassen sich, wie Allen bereits in der Einleitung zur englischsprachigen Ausgabe anmerkt, keine Belege dafür finden, daß die Kosten für den Erwerb und Transport von Arbeitskräften aus Afrika geringer gewesen wären als die für Arbeitskräfte aus England, Schottland oder Irland. Das ökonomische Kalkül der Plantagenbesitzer erweist sich mithin als kaum hinreichend, um die Etablierung rassistischer Versklavung zu erklären.

Zum anderen beinhaltet das ökonomische Argument eine Tautologie, die Allen in seiner Kritik der Beziehung von Rentabilität und Versklavung im sozio-ökonomischen Ansatz herausstellt und die auch das bei Marx aufgezeigte Problem von politischer und ideologischer Implikation und ökonomischem Resultat der modernen Sklaverei betrifft: Demnach waren afrikanische Arbeitskräfte billiger, weil sie versklavt waren, bevor sie versklavt wurden, weil sie billiger waren. Für Allen bildet diese Tautologie die Achillesferse jeder sozio-ökonomischen Erklärung rassistischer Versklavung, die eine solche ökonomistische Verkürzung vornimmt und den Aspekt der sozialen Kontrolle der Arbeitskräfte vernachlässigt.

Nicht nur, daß die historische Quellenlage jenes Rentabilitätsargument nicht stützt, sondern auch daß das ungeklärte Verhältnis von Ökonomie und "außerökonomischem Zwang" zum Anlaß genommen wird, in psycho-kulturelle Argumentationsmuster zur Begründung der Versklavung zurückzufallen, motiviert seine Forschungsarbeit. Letztlich erscheinen die Sklaven auch in der ökonomistischen Variante des sozio-ökonomischen Ansatzes als "williges" Eigentum, als eine Art fixes Kapital, nicht aber als rebellische Arbeitskräfte, die sie in der Geschichte des Kolonialismus und der modernen Sklaverei tatsächlich waren.

Das Pendant ökonomischer Rationalität ist nach Allen in der Konstruktion eines Herrschaftssystems zu suchen, das den Plantagenbesitzern eine wirkungsvolle Kontrolle der Arbeitskräfte wie der gesellschaftlichen Hierarchie erlaubte.

Diesem System der sozialen Kontrolle, wie es in Virginia zu Beginn des 18. Jahrhunderts, vor allem in dem "Act concerning Servants and Slaves" von 1705, durchgesetzt wurde, diente die "Erfindung der weißen Rasse" in dreifacher Weise: erstens als Reaktion der herrschenden Klasse auf die Solidarität der Leibeigenen und Sklaven, als zerstörerisches Mittel gegen die Arbeitersolidarität, wie sie sich etwa in der Bacon-Rebellion gezeigt hatte; zweitens zur Einschwörung der besitzlosen "Weißen" mittels des juristisch kodifizierten und staatlich institutionalisierten Privilegiensystems auf die rassistische Gemeinschaft mit der Plantagenbourgeoisie; drittens schließlich durch die Desorganisation der Beherrschten insgesamt, mit niederschmetternden Auswirkungen nicht nur für die Interessenbestimmung der afro-amerikanischen Bevölkerung, sondern auch für die der besitzlosen "Weißen".

In Allens Augen handelt es sich hierbei um einen politischen Vorgang, der nunmehr fast drei Jahrhunderte die Geschichte zunächst der englischen Kolonien in Nordamerika und dann der Vereinigten Staaten beherrscht hat.

Tritt zum Argument ökonomischer Rationalität aber das Argument politischer Herrschaftsrationalität hinzu, so bleibt die Frage zu beantworten, wie die Konstruktion "weißer Superiorität" in den sozialen Verhältnissen verankert ist. Allen neigt dazu, diese Verankerung als politische Strategie der herrschenden Klasse und damit instrumentell aufzufassen. Die herrschende Klasse bedient sich rassistischer Unterdrückung, so seine Antwort, um bestimmte soziale Gruppen dauerhaft aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen.

In diesem Sinn bildet die rassistische Unterdrückung ein gesondertes Unterdrückungssystem, das weder dem der sozialen Klassenherrschaft noch dem sexistischer oder nationaler Unterdrückung entspreche und die Verweigerung fundamentaler, bereits gültiger Rechte, die Erzeugung herrschaftssichernder Privilegien wie die Herstellung eines eigentümlichen sozialen Status beinhalte.

Um diese Form der Unterdrückung zu charakterisieren, stützt Allen sich auf das Konzept des "sozialen Todes", das in den Forschungen zur vorkolonialen Sklaverei von dem Kreis um Claude Meillassoux (vgl. "Anthropologie de l'esclavage", 1986; dt.: "Anthropologie der Sklaverei", 1989) schon in den siebziger Jahren entwickelt wurde und in der vergleichenden Studie "Slavery and Social Death" (1982) von Orlando Patterson zugrunde gelegt ist. Gemeint sind damit soziale Prozesse, wie Entsozialisierung, Entzivilisierung und Entpersönlichung, die zur Zerstörung der kollektiven wie der individuellen Reproduktionsfähigkeit führen und etwa in Handels-, Gewerbe- und Berufsverboten, in gesetzlich festgelegten Heiratsverboten und restriktiven Heiratsregeln, im Verbot, Lesen und Schreiben zu lernen, über Eigentum zu verfügen, in der Verweigerung eines Rechtsbeistands vor Gericht und ähnlichem mehr ihren Niederschlag finden.

Allens Studie verfolgt anhand dieser Bestimmungen die soziale Genese des rassistischen Unterdrückungssystems in den USA, und seine sozialgeschichtliche Orientierung bewahrt ihn schließlich vor einem allzu simplifizierenden Instrumentalismus wie vor reinem Konstruktivismus in der Herrschaftsanalyse.

III.

Um die Herausbildung rassistischer Unterdrückung als System sozialer Kontrolle zu beschreiben, hält Allen die gesamte Geschichte der atlantischen Kolonisierung präsent und zieht sie zum Vergleich mit den Bedingungen auf den nordamerikanischen Kontinent heran. Insbesondere anhand der Kolonisierung der Karibik wird dabei deutlich, daß die Kolonialmächte und die Plantagenbesitzer unterschiedliche politische Strategien der sozialen Kontrolle entwarfen.

Überhaupt bildete die Karibik über Jahrhunderte einen zentralen Schauplatz der atlantischen Kolonisierung. Die karibischen Inseln waren begehrte Objekte der europäischen Kolonisatoren; neben den westeuropäischen beanspruchten auch nordeuropäische Mächte wie Dänemark und - zumindest zeitweise - Kurland hier überseeische Besitzungen und im ausgehenden

19. Jahrhundert kamen schließlich noch die USA (vor allem Puerto Rico) hinzu. Angetrieben durch die Gründung von "Westindischen Handelsgesellschaften" in England, Holland und Frankreich entwickelte sich die Karibik im

17. Jahrhundert zum Hauptkampfplatz, auf dem sich zeitweilig auch unabhängige Freibeutergesellschaften tummelten, bevor gegen Ende des Jahrhunderts von seiten der Kolonialmächte staatliche Verwaltungen eingeführt wurden.

Die Inseln waren nicht nur als Plantagenkolonien und Umschlagplätze für den transkontinentalen Dreieckshandel zwischen den europäischen Metropolen, der afrikanischen Westküste und den amerikanischen Kolonien von zentraler Bedeutung, sondern auch als militärische Stützpunkte, um das spanische Handelsmonopol zu brechen und die Kolonisierung des Festlands voranzutreiben. Indem Allen die unterschiedlichen historischen Bedingungen der Kolonisation in seine Studie einbezieht, kann er die verschiedenen Systeme der sozialen Kontrolle genau bestimmen. Grob skizziert, entstand auf dem nordamerikanischen Festland ein wesentlich massiveres System der sozialen Ausschließung als in der Karibik, wo die herrschende Klasse die "freien Farbigen" bald in der Funktion einer sozialen Pufferschicht zwischen Sklaven und Plantagenbesitzern zu schätzen wußte.

Solche historischen Vergleiche machen darüber hinaus auch deutlich, daß die Genese rassistischer Unterdrückung keineswegs einer einheitlichen historischen Entwicklungslogik folgt. Schon aus diesem Grund ist die Fixierung auf ein historisches Datum, wie es anläßlich der 500-jährigen Wiederkehr der ersten "Entdeckungsfahrt" von Crist-bal Col-n (Christoph Kolumbus) und damit der Anfänge der spanischen Kolonisation in Amerika nicht selten auch in kritischer Absicht scheinen konnte, in sozialgeschichtlicher Perspektive hinfällig.

Das Jahr 1492 markiert nach einer Version der Geschichtsschreibung mit der Vertreibung der Araber und Juden aus Spanien, dem Ende der sogenannten reconquista, und den Anfängen der atlantischen Kolonisierung, dem Beginn der conquista, zugleich den Beginn einer sich sukzessive totalisierenden eurozentristischen Zivilisation, in der Kolonialismus und Rassismus unmittelbar verschweißt sind. Für Tzvetan Todorov, den etwas vorsichtigeren Autoren einer Diskursanalyse anhand von Quellen des "Seefahrers" Col-n selbst, des "Eroberers von Mexiko" Hernando Cortés und des "Anwalts der Indianer" Bartolomé de Las Casas zur Konstruktion des "Anderen" im frühen spanischen Kolonisationsprozeß ("La Conqute de l'Amérique", 1982; dt.: "Die Eroberung Amerikas", 1985), sind die Europäer alle "direkte Nachkommen Col-ns", und auch er datiert den "Beginn des modernen Zeitalters" auf das Jahr 1492.

Entzieht man sich der symbolischen Wirkung eines allem Anschein nach schlüssigen Datums, so liefern die historischen Ereignisse in Spanien lediglich einen von mehreren Ausgangspunkten, rassistische Unterdrückung im Zusammenhang von Kolonisation und Versklavung zu analysieren. In den Blick kommen dagegen historische Aspekte und Ereignisse, die das fixe Datum weniger überzeugend erscheinen lassen: etwa die Vertreibung der Juden im ausgehenden 13. Jahrhundert aus England und im 14. Jahrhundert aus Frankreich, um nur zwei Daten aus der lang dauernden Verfolgungs- und Vertreibungsgeschichte der Jüdinnen und Juden zu nennen, die portugiesischen Kolonisation im Atlantik (Madeira, Azoren) und an der afrikanischen Westküste verstärkt seit Beginn des 15. Jahrhunderts, die bereits auch dem Sklavenhandel diente, nicht zuletzt die portugiesisch-kastilische Konkurrenz um die Kanarischen Inseln, in der seit 1479 erstmals die reconquista nach Übersee verlagert wurde, oder auch das mißglückte Unternehmen des Venezianers Giovanni Caboto (John Cabot) und der Bristol Merchants aus den Jahren 1497/98, auf einer Nord-West-Passage die Küste Chinas zu erreichen, was dem Vorhaben Col-ns, den Seeweg nach Indien zu erschließen, völlig analog war.

Die angeführten Gegenbeispiele mögen die These von der sich seither totalisierenden Zivilisation oder von dem Beginn des moderneren Zeitalters nicht hinlänglich außer Kraft setzen, aber sie lenken die Aufmerksamkeit dennoch auf einen weiteren Raum und einen längeren Zeitabschnitt, als den Umschwung von reconquista und conquista in Spanien. Die historischen Veränderungen zu Beginn der sogenannten Neuzeit in Europa sind nur ausgehend von der fundamentalen Krise der Feudalität zu begreifen, einer langen Krisenperiode im 14. und 15. Jahrhundert, in der Ökonomie, Staat und Gesellschaft umgewälzt wurden.

Um einige Tendenzen zu nennen, die diese tiefgreifende Umwälzung charakterisieren, sei hier auf die Umwandlung der feudalen Abgabepflichten in Geldrenten, die Zentralisierung der politischen Macht gegen die parzellierte Herrschaft des Lehnsystems, die Auflösung des Rittertums, die Ausweitung der Warenbeziehungen, die umfassende Wiedereinführung des römischen Rechts mit seinem kodifizierten Eigentumsbegriff, das Anwachsen der Städte und die Herausbildung der Handelsbourgeoisie, schließlich die Erschütterung des katholischen Universalismus und die ständige Gefahr von Bauernrevolten verwiesen. Alle diese Tendenzen haben sich auch auf den Prozeß der Kolonisation ausgewirkt, dessen Resultat aber keineswegs voraussehbar war.

Im für die atlantische Kolonisierung entscheidenden westlichen Teil Europas entstanden aus der Krise und der sie begleitenden sozialen Umwälzung die königlichen Renaissancestaaten; dies gilt etwa beginnend mit Regierungszeit von Isabella und Ferdinand seit 1479 in Kastilien und Arag-n, für England unter dem ersten Tudor-König Heinrich VII. seit 1485 und schon seit 1461 unter Ludwig XI. für Frankreich. Die Renaissancestaaten bilden, so könnte man sagen, die Rohform der absoluten Monarchie; sie bewerkstelligten die gewaltsame Reorganisation der Adelsmacht, die in der Krise der Feudalität einer Paralyse anheimzufallen drohte.

Sie zentralisierten und vereinheitlichten den Staatsapparat und schufen so die Grundlagen für die Herausbildung des absolutistischen Staats, der sich in den folgenden Jahrhunderten vor allem als Organisation des Kriegs in einen Territorialstaat wandelte, und wie in Europa sollte der Krieg auch das wichtigste politische Mittel der territorialen Aneignung der "Neuen Welt" bleiben. Die institutionellen Neuerungen dieser Territorialstaaten, die jedoch noch nicht als Nationalstaaten zu bezeichnen sind, waren also zunächst ganz auf die Kriegsführung ausgerichtet; ihr diente die Einrichtung einer effektiven Verwaltung und eines Steuersystems ebenso wie die Verleihung von Handelsmonopolen und der Aufbau eines diplomatischen Apparats oder schließlich eines stehenden Heeres.

Doch auch diese allgemeine Charakteristik des sozialen und politischen Zustands der europäischen Kolonialmächte seit dem 16. Jahrhundert reicht nicht hin, um die jeweiligen politischen Strategien zu erläutern, die im Zuge der Kolonisation von seiten der herrschenden Klassen Anwendung fanden. Der absolutistische Staat im Westen war gekennzeichnet durch einen Zwiespalt, der immer wieder zum Motor seiner Gewaltexzesse - etwa der Hugenottenverfolgungen in Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts - wurde. Einerseits verfolgte er offensichtlich das Ziel, die aristokratischen Privilegien und das aristokratische Eigentum zu schützen und Bauern wie besitzlose Landbewohner in neue Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse (Pachtsystem u.ä.) zu zwingen; andererseits aber kamen die neuen institutionellen Mittel dieser Herrschaftssicherung auch der aufkommenden Handels- und Manufakturklasse zugute.

Aus diesem Zwiespalt und vor allem aus der jeweils ihm entspringenden politischen Machtkonstellation und Kompromißstruktur zwischen den beiden dominanten sozialen Klassen ergaben sich die möglichen Strategien, die beispielsweise den spanischen und französischen vom englischen oder den holländischen vom portugiesischen Kolonialismus unterschieden.

In der " Erfindung der weißen Rasse" beschreibt Allen die Etablierung rassistischer Unterdrückung in den englischen Kolonien des nordamerikanischen Festlands als eine solcher möglichen Strategien der Herrschaftssicherung, die sich aus dem absolutistischen in den bürgerlichen Staat übertragen haben. Er geht dabei zurück auf die Kolonisierung Irlands, um die irische Geschichte, wie er mehrfach betont, als Spiegel seiner Einsichten in die soziale Genese von Rassismus und "weißer Superiorität" in den USA zu verwenden. Denn die irische Geschichte liefert ihm das Fallbeispiel einer rassistischen Unterdrückung ohne Bezug auf eine bestimmte Hautfarbe, die aber zahlreiche Parallelen mit dem System der rassistischen Unterdrückung der Afro-Amerikaner in den englischen Kolonien und den späteren Südstaaten aufweist.

Durch diesen Vergleich, der zunächst wie ein unnötiger historiographischer Umweg erscheinen mag, kann Allen die konstitutiven Elemente rassistischer Unterdrückung als System sozialer Kontrolle, also unabhängig von allen stigmatisierenden Zuschreibungen und ökonomistischen Verkürzungen, herausarbeiten: das Erfordernis einer wirkungsvollen administrativen Bürokratie, die Notwendigkeit eines stehenden Heeres, die Rekrutierung einer Mittelschicht als sozialer Pufferzone und nicht zuletzt die Vernichtung jeder sozialen Mobilität innerhalb der bestehenden Gesellschaft, alles Elemente der Herrschaftssicherung, die der absolutistische Staat hervorgebracht und an den bürgerlichen Staat vererbt hat.

War die irisch-katholische Bevölkerung vor allem nach der Einführung von drakonischen Strafgesetzen am Ende des 17. Jahrhunderts und zu Beginn des 18. Jahrhunderts, den sogenannten Penal Laws, die schließlich fast ein Jahrhundert in Kraft bleiben sollte, so fanden sich jene katholischen Iren, die über den Atlantik in die englischen Kolonien oder später die Vereinigten Staaten übersetzen konnten, auf der Seite der rassistischen Unterdrücker wieder und verwandelten sich womöglich von Gegnern der rassistischen Unterdrückung zu Verfechtern der Konstruktion "weißer Superiorität" in Amerika. Allein schon das Fallbeispiel Irland, das im ersten Band ausführlich dargestellt wird, relativiert in Allens Augen diese vorherrschende Konstruktion.

IV.

Das Buch "Die Erfindung der weißen Rasse" enthält nicht die Geschichte des Rassismus, sondern Allen schreibt, um eine Formulierung von ƒtienne Balibar aus dem gemeinsam mit Immanuel Wallerstein veröffentlichten Essayband "Rasse, Klasse, Nation" (franz. 1988, dt. 1990) aufzugreifen, die "singuläre Geschichte" der rassistischen Unterdrückung in den USA.

Er zeichnet den historischen Entwicklungsweg nach, den diese Form sozialer Kontrolle von der Kolonisierung Irlands in die englischen Kolonien Amerikas und schließlich durch den Prozeß der "weißen" Dekolonisation in den USA hindurch genommen hat; er markiert die Wendepunkte, hin etwa zur Etablierung der rassistischen Unterdrückung in den späteren Südstaaten zu Beginn des 18. Jahrhunderts oder zur Ersetzung der rassistischen durch die nationale Unterdrückung im Irland des 19. Jahrhunderts; er untersucht die jeweils spezifischen sozio-historischen Situationen, etwa in Ulster, Virginia oder der britischen Karibik, in denen die rassistische Unterdrückung als politische Strategie zur Anwendung kam, sowie die Latenz- und Tendenzphasen in der Umsetzung dieser Strategie.

Rassismus, so seine fundamentale These, läßt sich nur als soziales Herrschaftssystem begreifen, dessen ökonomische und politische Konstitutionsbedingungen sich genau angeben lassen. So gelingt ihm tatsächlich der historische, nicht allein logische Nachweis, daß es sich bei der "weißen Rasse" um eine soziale Konstruktion handelt, der die Grundlagen in sozialen Kämpfen nicht nur in bestimmten historischen Augenblicken bereits entzogen wurden, sondern künftig auch entzogen werden können. In diesem Sinn gibt Allens Studie der kritischen Rassismustheorie, wie sie sich auch in der Bundesrepublik entwickelt hat, ihre sozialhistorische Dimension zurück.

Freilich verfolgt Allen nur einen von mehreren Strängen, entlang deren die historische Ausbreitung des Rassismus, oder besser, der Rassismen und deren Einlagerung in das Kolonialsystem sowie ihrer staatlich-administrativen und ökonomischen Voraussetzungen zu analysieren sind. Weitere historische wie auch gegenwartsbezogene Studien wären zweifellos wünschenswert und notwendig, um die soziale und sozialgeschichtliche Dimension der Rassismustheorie herauszuarbeiten und zu stützen.

Bisher hat die in der BRD noch in den Anfängen steckende Debatte über rassistische Unterdrückung, ihre ökonomischen, politischen wie ideologischen Bedingungen und Folgen es allerdings noch nicht vermocht, eine solche Theorie- und Forschungsarbeit anzustoßen. Dies mag zum einen an der faktischen politischen Schwäche antirassistischer Organisierung liegen, die bisher nicht dazu in der Lage war, über kleine Gruppen und subkulturelle Milieus hinaus eine soziale Form der Auseinandersetzung zu finden und sich so nicht selten in Kampagnen erschöpft, die im ideologischen Rahmen moralisierender Kritik und humanistischer Ideale, kurz: aufklärerischer Anklage, verharren müssen.

Dies liegt aber zum anderen auch daran, daß in der gegenwärtigen Situation eine anderen Ländern kaum vergleichbare intellektuelle Provinzialisierung, ja Verödung festzustellen ist, in der die letzten Verbindungen zwischen einer universitären Linken, einer Linken, die über die Ressourcen von Forschungseinrichtungen und Universitätsinstituten verfügen könnte, und der nicht-institutionalistischen, politisch informell agierenden Linken gekappt zu werden drohen.

Indiz hierfür ist nicht zuletzt die Art und Weise, wie in der universitären Linken - von wenigen Ausnahmen abgesehen - auf die Rassismus-Debatte reagiert wurde. Statt sich der brennenden Frage staatlich sanktionierter und konsensuell gestützter rassistischer Diskriminierungspraktiken in Theorie und Forschung anzunehmen, um die Debatte voranzutreiben, wurde die Rassismustheorie mit windigen Konzepten von Fremdenfeindlichkeit und Xenophobie, die alle unverkennbar Tendenz auf eine politische Anthropologie nehmen, oder mit sozialpsychologischen Anomie- und Deprivationsthesen abgewehrt und antirassistische Politik allzu oft einfach als dogmatisch, realitätsfremd und maßlos übertrieben abqualifiziert.

So blieb es im wesentlichen der Buchproduktion kleinerer Verlage, den auflagenschwachen Zeitungen, Zeitschriften und anderen Periodika der Linken überlassen, ein deutschsprachiges Publikum mit den weiterreichenden Debatten und den neueren Forschungsansätzen überhaupt bekannt zu machen und einen intellektuellen Transfer vor allem aus dem englisch- und französischsprachigen Ausland zu organisieren. In diesem Kontext ist auch die hier mit dem ersten Band vorliegende Übersetzung der Studie "The Invention of the White Race" von Theodore W. Allen zu sehen.

Jost Müller hat diesen Text als Vorwort für Theodore W. Allens "Die Erfindung der weißen Rasse" geschrieben. Der erste Band, "Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle", 340 S., DM 48, erscheint Ende Oktober / Anfang November im Berliner ID Verlag. Wir danken dem Verlag für die Genehmigung zum Abdruck des Vorworts.