Türkei, EU und grüne Politik

Alles hypothetisch

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Die Nachrichten aus Ankara klangen, wie man es von einer türkischen Regierung nicht anders erwarten sollte: Über den Verbleib der deutschen PKK- Kämpferin Andrea Wolf alias "Ronahi Heval" gebe es keine Hinweise. Sie sei "weder tot noch lebendig" gefunden worden. Berichte, nach denen die Ex-Frankfurterin zunächst gefangengenommen und dann getötet wurde, seien Propaganda. So hieß es in der vom deutschen Außenministerium als "abschließende Stellungnahme" eingeschätzten Botschaft aus der Türkei.

Die Glaubwürdigkeit dieser Informationen, die am Freitag vergangener Woche veröffentlicht wurden, tendiert freilich gegen Null. Sie gleichen den zahlreichen Dementis über den Einsatz deutscher Waffen im Krieg gegen die PKK und die kurdische Bevölkerung. Auch hier halfen weder Fotos von NVA-Militärfahrzeugen noch Filmaufnahmen, auf denen türkische Soldaten ihre Heckler-und-Koch-Gewehre den Fernsehteams zur Schau stellten: Für Mesut Yilmaz und Klaus Kinkel lagen sozusagen prinzipiell "keine Erkenntnisse" darüber vor, daß in Kurdistan mit deutschem Gerät gekämpft wird. Dabei hatte natürlich niemand - weder linke Aktivisten noch grüne Menschenrechtler oder konservative Politiker -, ernsthaft angenommen, daß die türkischen Militärs ihre deutschen Panzer und Transporter mal eben in Ankara abstellen, bevor sie zum Angriff im Osten des Landes blasen.

Ähnlich sieht es mit dem Tod Andrea Wolfs aus. Man muß davon ausgehen, daß der Augenzeugenbericht, der über PKK-Kreise nach Deutschland gelangt ist, der Wahrheit am nächsten kommt: Danach soll die 33jährige nach einem Verhör erschossen worden sein; mindestens acht weitere Mitglieder der Kurden-Guerilla starben so als Gefangene der türkischen Armee. Den Morden war ein Gefecht zwischen der "Volksbefreiungsarmee" (ARGK) und türkischen Militärs vorangegangen. Mit der vermutlichen Hinrichtung der deutschen Linksradikalen geriet der Alltag in Türkei-Kurdistan wieder ins politische Blickfeld von Menschenrechtsaktivisten und Solidaritätsgruppen: Presseerklärungen wurden verbreitet, Freunde und Freundinnen Andrea Wolfs gingen auf die Straße.

Auf eine Stimme wartete man allerdings vergeblich: Die Grünen blieben stumm. Hatte deren Bundestagsabgeordnete Angelika Beer noch vor dem 27. September regelmäßig Menschenrechte in der Türkei eingeklagt und im Namen ihrer Partei einen "generellen Rüstungsexportstop" gefordert, so dominierten in den vergangenen Wochen auch bei den Ökos die üblichen Floskeln: Man wolle "nichts übers Knie brechen", ließ das Büro Beer wissen. Schließlich müsse sich die neue Regierung erst noch konstituieren. Dann aber werde sich vieles in der Türkei-Politik ändern.

Das grüne Zauberwort: EU-Beitritt. Den nämlich soll es erst geben, wenn sich die türkischen Sicherheitskräfte an den vermeintlich in Europa üblichen Umgang mit dem politischen Gegner anpassen. Kurz: Ohne Abschaffung von Folter gegen Gefangene und Terror gegen die Zivilbevölkerung keine EU-Mitgliedschaft. Darauf zu hoffen wäre freilich vertane Zeit. Denn so genau nimmt man es mit den Menschenrechten in den europäischen Gremien dann doch nicht. Zwar mußte Ankara im Dezember vergangenen Jahres einen Dämpfer in Sachen EU-Mitgliedschaft hinnehmen, elf Monate und Hunderte Morde später aber hat die zuständige Kommission jetzt den türkischen Staat wieder als Kandidaten für die Vollmitgliedschaft aufgeführt. Ein besonderes Präsent hatte die deutsche Regierung den türkischen Kollegen bereitet: Die Kohl-Administration genehmigte Anfang dieses Jahres ein Exportvolumen von lockeren 450 Millionen Mark an die Türkei, also etwa das Dreifache vom Vorjahr.

Daß nun ausgerechnet Joseph Fischer aus dem "Menschenrechtsstatus möglicher Empfängerländer" bei Rüstungsexporten Konsequenzen zieht, wie im Bonner Koalitionsvertrag niedergeschrieben wurde, ist wohl kaum zu erwarten. Sonst müßte die Regierung zuallererst einen Türkei-Auftrag der Blohm & Voss-Werft stoppen, der dem Hamburger Unternehmen derzeit durch den Bau der Kriegsfregatte "Salihreis" mindestens 450 Millionen sichert. Das wird freilich nicht geschehen.

Doch auch mit Initiativen wie etwa die Einrichtung einer Internationalen Untersuchungskommission, die sich mit den völkerrechtswidrigen Morden an Andrea Wolf u.a. beschäftigen soll, ist man in Fischers Behörde vorsichtig. "Bislang", so ließ ein AA-Sprecher kurz vor Bekanntwerden des türkischen Dementis wissen, sei "sowieso alles nur hypothetisch". Etwa so hypothetisch wie deutsche Panzerhaubitzen in Kurdistan.