Methadon und Knüppel frei

Zero Tolerance: Stuttgarts Polizeichef muß gehen, weil er der christlich-konservativen Stadtverwaltung zu liberal war

Sollte man für einen Polizeipräsidenten ein gutes Wort einlegen? Eigentlich nicht. Polizeipräsidenten haben gewöhnlich Aufgaben, deren Lösung nicht unbedingt zu den Interessen linker Opposition gehört: Ausschreitungen verhindern, anvisierte Festnahmerate bei Demonstrationen grob einhalten, gegen kleine - und gelegentlich auch große - Diebe vorgehen oder Bettler, Obdachlose und Junkies ohne allzugroßes Aufsehen von Fußgängerzonen fernhalten.

Nichts anderes hat Volker Haas getan. Manchmal sogar mit besonders tatkräftigem Einsatz. Nicht erst in Stuttgart, sondern schon während seiner vorhergehenden Amtszeit in Karlsruhe war der Polizeichef dafür bekannt, daß er immer gern am Rand von linken Demonstrationen stand, um vor Ort alles im Griff zu behalten. Doch im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen, die wie der Berliner Oberpolizist Hagen Saberschinksky vor allem auf "Knüppel frei" setzen, hat Stuttgarts oberster Polizist immer etwas mehr für Zurückhaltung plädiert.

Auch in der Drogenpolitik: Wer Heroinkonsumenten in den Knast steckt, anstatt ihnen Fixerstuben zur Verfügung zu stellen, der sorgt zwar für ständig überfüllte Knäste, bekommt aber die zur Beschaffung des süßen Giftes notwendige Kriminalität nicht in den Griff. Für diese einfache Rechnung hatte sich Haas vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Schäuble 1996 sogar ein Redeverbot zum Thema Drogen eingehandelt. Dabei gingen die schönen Worte des Polizeichefs für Heroinfreigabe auf Krankenschein und Methadon-Programme mit Treibjagden seiner Untergebenen auf Junkies und Schwarze in der Stuttgarter Innenstadt einher. Platzverweise und scharfe Kontrollen sind bis heute die Regel.

Wenn man den 61jährigen Polizeiführer dennoch seinen Gegnern vorziehen muß, hat das also wenig mit seinen etwas moderneren Vorstellungen von sogenannter Kriminalitätsbekämpfung zu tun. Vielmehr spricht es Bände über die Einfältigkeit manch schwäbischer Unionspolitiker. Etwa über Stuttgarts amtierenden Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Der nämlich hat vergangene Woche dafür gesorgt, daß Haas nach elfjähriger Amtszeit seinen Sessel als Chef über 3 000 Polizisten räumen muß und als Referatsleiter ins Innenministerium strafversetzt wird.

Der Hintergrund ist makaber. Gegen einen Beschluß der Stadtverwaltung sprach sich Haas dafür aus, Kurden auf einer Gedenkfeier vor dem Stammheimer Gefängnis zu erlauben, einen Sarg mit dem verstorbenen Landsmann Barzan Öztürk mitzutragen. Der 24jährige Öztürk hatte sich wegen der ihm drohenden Abschiebung im November vergangenen Jahres im Gefängnis selbst angezündet und war zwei Monate später an seinen Verbrennungen gestorben - ein Fall, der die Ermittlungsbehörden beschäftigt, weil bis heute unklar ist, ob die Stammheimer Anstaltsleitung Hinweise auf einen geplanten Suizid des Abschiebehäftlings ignoriert hatte.

"Es ging um Deeskalation", begründete Haas seine Weigerung, am 6. Januar gegen die rund 2 500 Kurden und Kurdinnen vorzugehen. Den für das Verbot verantwortlichen Oberbürgermeister Schuster kritisierte er vorsichtig. Es sei schade, sagte Haas, daß die Stadt "dieses Beispiel an Toleranz und Respekt" nicht gegeben habe. Damit konnte Schuster freilich nichts anfangen. Dem CDU-Mann, der die Schwabenmetropole gelegentlich mit New York verwechselt und davon träumt, Stuttgart nach Maßgaben des US-amerikanischen "Zero-Tolerance"-Erfinders William Bratton von Ratten und anderem Unrat zu befreien, galt Haas schon immer als rotes Tuch. Die Gelegenheit, seinen ungeliebten Widersacher endlich loszuwerden, ließ sich der Saubermann also nicht entgehen: "Wenn sich ein Polizeipräsident öffentlich dafür ausspricht, daß bei Demonstrationen von PKK-Sympathisanten Leichen zur Schau gestellt werden dürfen und dies von ihm als Ausdruck der Toleranz bezeichnet wird, nimmt er die schlimme Tradition der Nazis auf", warf er Haas in einem Offenen Brief vor.

Die Reaktion des obersten Polizisten ließ nicht lange auf sich warten: Haas stellte gegen seinen Vorgesetzten Strafanzeige wegen Beleidigung und übler Nachrede. Die Folge: Der Bürgermeister nahm den "Nazi-Vorwurf" pflichtgemäß zurück, ließ jedoch wissen, das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden sei "sehr reduziert".

Wenige Tage später, am Dienstag vergangener Woche, löste Schusters Parteifreund und Innenminister Schäuble den Polizeipräsidenten ab. Seither vergeht kein Tag, an dem nicht örtliche Grüne und Sozialdemokraten den Reform-Kriminalisten in den Himmel loben. Auch der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer setzte sich für "einen der profiliertesten deutschen Polizeiführer" ein.

Aber nicht einmal um seine Fürsprecher mag man den "streitbaren Polizisten" richtig beneiden. So fand Leserbrief-Schreiber Hans-Georg Monjoie das besonnene Verhalten von Haas in Stammheim "ehrbar", weil "kulturelle Andersartigkeit" und "eine ungewöhnliche Treue zum eigenen Wesen" den Um-gang mit der kurdischen Bevölkerung erschwerten. Da müsse man schon vorsichtig sein, denn "2 000 erregte Kurden haben das Problemgewicht von 20 000 unzufriedenen Filderbewohnern", philosophierte der Hobby-Kriminalstratege in den Stuttgarter Nachrichten.

Womöglich muß auch er sich auf einen weniger einfühlsamen Polizeikurs in der Stadt einrichten. Denn neben dem bisherigen Landeswahlleiter Peter Zimmermann kann sich auch die Karlsruher Polizeichefin Hildegard Gerecke Hoffnungen auf Haas' Nachfolge im Präsidium in der Hahnemannstraße machen. Für die konservative Juristin, die bereits im Innenministerium für Ausländerfragen zuständig war, spricht nach Informationen der Stuttgarter Zeitung, daß sie die offene Drogenszene in Karlsruhe mit massiven Polizeieinsätzen zerschlagen hat.