Mit Mehl gegen die »grüne Schlampe«

Frankreichs konservative Bauern mobilisieren gegen die Pläne zur Kürzung von EU-Subventionen

Ein stellvertretender Direktor des Ministerialkabinetts ist von Kopf bis Fuß mit Mehl bedeckt und sieht durch seine weiß eingestaubten Brillengläser fast gar nichts mehr von dem, was um ihn herum vorgeht. Pflanzen sind aus ihren Töpfen gerissen, Schränke wurden aufgebrochen. Die Angestellten des Umweltministeriums in der Pariser Avenue de Ségur stolpern über ausgestreutes Gemüse. Einige Straßen weiter, in der Rue de L' Université, ist der Innenhof der Elite-Verwaltungshochschule ENA - die Kaderschmiede, in der viele Spitzenpolitiker ausgebildet wurden - aufgerissen. Die Pflastersteine wurden dazu verwendet, das Eingangstor zuzumauern.

Damit protestierten am Montag letzter Woche rund 200 militante Bauern, die aus vier Départements am westlichen Rand des Großraums Paris in die rund 80 Kilometer entfernte Hauptstadt gekommen waren, gegen die neueren Entwicklungen in der Agrarpolitik. Ursprünglich gekommen, um beim Umwelt- und beim Landwirtschaftsministrium vorzusprechen, hatte eine aktionistische Minderheit das Vorgehen radikalisiert, als sich herausstellte, daß die grüne Umweltministerin Dominique Voynet im fernen Nantes weilte und der Eingang zum Landwirtschaftsministerium vermeintlich von der Bereitschaftspolizei CRS blockiert war. Beim Umweltministerium stießen die Bauern hingegen auf keinen nennenswerten Widerstand und blieben nicht bei folkloristisch anmutenden Aktionen stehen. Es hagelte rassistische Beschimpfungen und sexistische Pöbeleien gegen MitarbeiterInnen der Umweltministerin, die in den Augen der Eindringlinge eine "grüne Schlampe" ist.

Unmittelbarer Anlaß für die Aktionen ist die derzeit verhandelte Reform der "gemeinsamen Agrarpolitik" der Europäischen Union (französisch Pac abgekürzt). Die Neugestaltung der Pac wird Gegenstand eines informellen EU-Gipfels der Staatschefs am 26. Februar in Bonn sein, bevor auf dem offiziellen außerordentlichen Gipfeltreffen am 24. und 25. März in Berlin eine Entscheidung getroffen werden soll. Die Neuordung der Pac ist Bestandteil der Gespräche über die Agenda 2000, die EU-Budgetprogramme für die Jahre 2000 bis 2006. Deutschland - als Land, das alleine rund ein Drittel des EU-Bruttosozialproduktes repräsentiert, derzeit größter Nettozahler - möchte seine Beiträge für den gemeinsamen Topf drastisch reduzieren. Angesetzt wird dabei bei der Agrarpolitik, weil diese rund die Hälfte aller EU-Ausgaben ausmacht. Paris ist mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden, sondern will das EU-Budget en bloc verhandeln, was die Deutschen nicht wollen, weil ihre Wirtschaft aus anderen Töpfen profitiert - beispielsweise durch "Strukturhilfen" für Ostdeutschland. Ferner macht sich die BRD für eine Umorientierung des Budgets zugunsten der EU-Aufnahmekandidaten in Osteuropa, zu denen Deutschland mit Abstand die besten Wirtschaftsbeziehungen unterhält, und zu Lasten der südeuropäischen Staaten stark.

Die EU-Kommission in Brüssel hat daher einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der auf eine teilweise Renationalisierung der Agrarpolitik hinausläuft: Die von Brüssel nicht mehr gedeckten Agrarhilfen sollen von den einzelnen Mitgliedsstaaten übernommen werden. Dadurch soll eine weniger subventionierte und daher rentablere Agrarproduktion aufgebaut werden, die gegenüber den großen Exporteuren (USA, Argentinien, Australien) konkurrenzfähig sein und Anteile auf dem Weltmarkt erobern soll.

Frankreich als größter Nettoempfänger von Agrarfördermitteln ist zu Kompromissen bereit, die eine "degressive" Verteilung der Fördermittel vorsehen: Die großen Agrarproduzenten würden so deutlich weniger Gelder erhalten, die kleineren Landwirte hingegen von Kürzungen verschont bleiben. Portugal, Spanien und Griechenland aber opponieren grundsätzlich gegen eine solche Reform der Pac. Dort ist die Landwirtschaft deutlich weniger modernisiert und weltmarktfähig als die französische.

Die Proteste der vergangenen Woche werden von jener Fraktion der französischen Landwirte unterstützt, die bisher zu den größten Profiteuren der EU-Förderung gehörten (ein Fünftel der Landwirte streicht rund vier Fünftel der Gelder ein): die Getreideproduzenten der französischen Zentralregion. Wegen ihrer intensiven Produktion geraten sie mit der Umweltministerin Voynet aneinander, die eine Steuer auf umweltgefährdende Produkte wie Pestizide, Insektizide oder Dünger erheben will. Voynet wurde daher zur Hauptzielscheibe und muß für die Orientierung der EU-Agrarpolitik ihren Kopf hinhalten.

Und so fanden die vom konservativen bis reaktionären Teil der Landwirtegewerkschaften um die Coordination rurale getragenen Aktionen bei Teilen der politischen Klasse ein offenes Ohr. Es fiel auf, daß Staatspräsident Jacques Chirac die Verwüstung des Umweltministeriums erst drei Tage später verurteilte. Sein RPR-Parteifreund Christian Jacob, der früher Präsident des Verbandes junger Landwirte war, rügte gar die Regierung dafür, daß sie "die paar Handvoll Mehl im Umweltministerium verdamme, zur Gewalt der Jugendlichen in den Banlieues aber schweige".