Kritiker zu Claqueuren

Französische Regisseure beklagen sich über die Gemeinheiten der Filmkritik und schlagen ein Bündnis mit den Teufeln vor.

Es begann mit einer Kritik der Kritik, doch am Ende scheinen die Kritiker der Kritiker der Kritik die Oberhand zu gewinnen. Am Anfang sah es wie eine Mobilisierung des französischen Kinos aus, und es endete vorläufig als Grabenkampf zwischen den Kinomachern. Auf eine Ende November in Le Monde und Libération publizierte Petition, die den Niedergang der Filmkritik beklagt, antworteten in den ersten Dezember-Tagen 63 Filmemacher, die sehr unterschiedliche Tendenzen und Generationen des französischen Kinos repräsentieren, mit einer Gegenpetition.

Ausgelöst wurde die Debatte durch ein Rundschreiben des Regisseurs Patrice Leconte (»Der Mann der Friseuse«) an seine in der ARP (Auteurs, Réalisateurs, Producteurs) organisierten Verbandskollegen, in dem er sich bitterlich über »die Haltung der Kritik gegenüber dem französischen Kino« beklagt. Manche Rezensionen, so Leconte, kämen einem vorsätzlichen Mordanschlag gleich. Durch ein »Versehen« soll das interne Schreiben an die Presse gelangt sein, wo es - nach Abdruck in Libération am 25. Oktober - heftige Diskussionen auslöste.

Auf diese Debatte über die Rolle der Filmkritik reagierte die Vereinigung der Filmschaffenden ARP mit einem Manifest, das unter dem Titel »Nous, cinéastes« (»Wir, Kinomacher«) bzw. »La critique des cinéastes« veröffentlicht wurde. Die Verfasser, die nicht namentlich zeichnen, beklagen sich darin ausführlich über die destruktive Haltung der Kritik und zitieren Formulierungen aus Filmbesprechungen, die nach ihrer Auffassung unterhalb der Gürtellinie lägen, z.B. Gérard Léforts Kritik des neuen Roman-Polanski-Films »Die neun Pforten«, die unter der Überschrift »Chronique d'une merde annocée« (»Chronik einer angekündigten Scheiße«) in Libération erschienen war.

Wenn die Kritik nicht mehr in der Lage sei, das Publikum für gute Filme begeistern zu können, sondern überwiegend vernichtende Verrisse produziere, dann, so die aufgeregten Filmleute, »haben wir alles zu verlieren, (...) und das amerikanische Kino hat alles zu gewinnen. Es verteidigt simple Ideen, den Spaß am Spektakel gegen die 'Langeweile' von Autorenfilmen (...).«

Dann die überraschende Volte. Um dem Übel abzuhelfen, klagen die Empörten ein Bündnis ausgerechnet mit den der Unfähigkeitkeit bezichtigten Kritikern ein und fordern unverblümt: Kritiker zu Claqueuren! »Ja, wir haben ein Recht darauf«, rufen sie aus, »einen Pakt einzufordern auf der Basis einer guten Koexistenz, des Verständnisses und der Fairness. Wir würden uns wünschen, dass keinerlei negative Kritik eines Films vor dem Wochenende, das seinem Start in den Kinos (in Frankreich allgemein am Mittwoch; B.S.) folgt, veröffentlicht wird.« Vorsorglich verteidigen die Autoren sich schon mal gegen den Vorwurf, »ängstlichen Protektionismus« zu betreiben, indem sie auf ihr Engagement zugunsten der Vorführung von Filmen namhafter Künstler insbesondere aus dem Trikont verweisen.

Natürlich treibt die Filmemacher nicht allein die Sorge um den Zustand der französischen Filmkritik um, sondern es sind konkrete ökonomische Interessen, die das Manifest der Filmschaffenden zu verteidigen sucht. Zwar zeichnet sich die französische Filmproduktion dadurch aus, dass durch eine Reihe von Fördermaßnahmen auch jungen Filmemachern der Einstieg in den Markt und (mitunter) das Überleben in dieser kapitalintensiven Branche ermöglicht wird. Hierzu gehört vor allem der »Vorschuss auf (spätere) Filmeinnahmen«, der unter André Malraux - langjähriger Kulturminister unter de Gaulle - eingeführt worden war und der es auch noch unbekannten Filmemachern ermöglicht, ihre Ideen ohne eigene Kapitalreserven umzusetzen. Die Existenz zahlreicher kleiner und mittlerer Akteure in der Filmindustrie ist jedoch heute zunehmend gefährdet. Ein Grund dafür ist das zunehmenden Gewicht der Multiplex-Kinos, das zu Lasten der kleineren Programmkinos und damit der Außenseiterproduktionen geht.

Unter wachsendem Rentabilitätsdruck stehend, setzen die Kino-Betreiber einen Film, der nicht schnell und genügend Besucher anzieht, häufig schon nach der ersten Woche wieder ab oder nehmen ihn - sind die Kritiken allzu schlecht - gar nicht erst auf. Dadurch wird den Filmen häufig die Möglichkeit genommen, von der Mund-zu-Mund-Propaganda in potenziell interessierten Publikumskreisen zu profitieren. Den Filmkritikern der großen Medien kommt so eine veränderte Rolle zu, bedeutet doch ein negatives Urteil unter diesen Bedingungen häufig das Aus für einen Film.

Zugleich zielt die Initiative der Filmleute mehr oder weniger offen gegen die US-Filmindustrie, die in Frankreich zunehmend als Konkurrenz empfunden wird. So beklagte Patrice Leconte in einem Libération-Interview den »Rückgang der Marktanteile des französischen Kinos«, wobei seine Mitstreiter sich beeilten zu versichern, non, non, keineswegs wolle man pauschal einen Heimvorteil für das französische Kino und keinesfalls sollten hier egoistische Interessen verteidigt werden, vielmehr gehe es um die Sache, den guten Film, den esprit critique.

Mit der US-amerikanischen Filmindustrie um das Marktsegment des großen Publikumsfilms zu konkurrieren, darum bemüht sich ein Teil der französischen Filmbranche verzweifelt. So auch Patrice Leconte, der mit einer Reihe von Komödien wie »Une Chance sur deux« mit Jean-Paul Belmondo, Alain Delon und Vanessa Paradise auf das große Publikum zielt (daneben freilich auch Filme wie »Ridicule« abseits des Mainstreams produziert hat). Dieser Sektor der Filmindustrie, welcher die US-Konkurrenz am stärksten fürchtet, scheint für die von Leconte ausgesandten Signale am empfänglichsten zu sein.

Neben Leconte engagiert sich auch der linke Regisseur Bertrand Tavernier öffentlich für die ARP-Kritik. Tavernier, dessen aktueller Film »La Commence aujourd'hui« sich mit den sozialen Folgen der Massenarbeitslosigkeit am Beispiel eines Kindergartens in der Krisenregion Nord-Pas de Calais beschäftigt, unterstützt die Initiative gerade auch wegen des Aspekts der Kritik an der Hegemonie der US-Kulturindustrie. Er gehörte auch zu jenen Künstlern, die sich 1998 gegen das geplante MAI-Abkommen und 1999 gegen die WTO engagierten.

Tavernier forderte die Filmkritiker dazu auf, sich dem Kampf gegen die Folgen einer wachsenden Kapitalkonzentration in der Filmindustrie anzuschließen, eine gewerkschaftsähnliche Vereinigung zu gründen und zu versuchen, gegenüber den Multiplex-Kinos Einfluss auf die Programmgestaltung zu gewinnen, um Qualitätsaspekte in den Vordergrund zu rücken.

Die Gegner oder Kritiker des ARP-Textes weisen auf den Widerspruch hin, dass die Autoren einerseits die »Einflusslosigkeit« der Kritik beklagten, ihr andererseits aber im Fall eines Verrisses eine übergroße Macht zusprächen. So leicht lässt sich das Publikum allerdings durch Negativ-Kritiken nicht beeindrucken: Obgleich »Asterix und Obelix« bei den Kritikern durchgefallen ist, gehört die französische Produktion zu den diesjährigen Kassenschlagern.

Blamiert haben sich die Verfasser des Manifests insbesondere durch die Formulierung, während der ersten Woche nach Anlaufen eines Filmes solle keine »negative« Kritik publiziert werden. Ein Vorschlag, der, so die Manifest-Gegner, zwingend ein Zensur-Komitee erforderlich machen würde, das je nach Inhalt der Kritik entscheidet, ob und wann die Besprechung erscheinen darf. Libération-Filmkritiker Olivier Séguret schlägt den Initiatoren des ARP-Textes vor, sie sollten sich lieber gegenüber den Betreibern der großen Kino-Komplexe für eine »Gnadenfrist« - eine Minimaldauer, während derer ein Film im Programm bleibt - einsetzen, als die Meinungsfreiheit zu beschneiden.

63 Filmemacher haben mittlerweile in einem kurzen Text, der keine inhaltlichen Argumente enthält, erklärt, dass sie sich von dem Text ihrer Kollegen distanzieren. Zu den Unterzeichnern gehören die Vertreter so unterschiedlicher ideologischer und kultureller Tendenzen wie Romain Goupil, ein neoliberaler Ex-68er und Ex-Trotzkist, der KP-nahe Robert Guédiguian (»Marius et Jeanette«), der Komödienmacher Cédric Klapisch oder Catherine Breillat (»Romance X«).

Etwas deutlicher distanzierte sich der französische Dokumentarfilmer Marcel Ophuls in seiner in der taz veröffentlichten Widerrede von der ARP-Beschwerde. Das Manifest sei, so Ophuls, »selbstmitleidiger, selbstgefälliger, ganz und gar undemokratischer, nabelbeschauender Managerkitsch«.