Immigranten-Überwachung in Frankreich

Delikate Daten

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Dem Herrn Direktor war es peinlich. Nein, er habe von nichts gewusst, erklärte er der Tageszeitung Libération. »Undelikate Untergebene« seien verantwortlich, und das werde »personelle Konsequenzen« nach sich ziehen. Kurz: Wie in anderen Fällen auch, will der oberste Verantwortliche für gar nichts verantwortlich sein.

Libération hatte Mitte Februar enthüllt, dass die Sonacotra (Nationale Gesellschaft für den Bau von Arbeiter-Wohnheimen) - die rund 400 Wohnheime für Immigranten mit aktuell 67 500 Bewohnern verwaltet - im Großraum Lyon seit Jahren an überwachungsstaatlichen Praktiken beteiligt war. Monatlich wurden persönliche Daten der Bewohner direkt an die Polizei geliefert.

Auf dem Schreibtisch der Ausländer-, Grenz- und Flughafenpolizei PAF landeten so neben Namen, Vornamen und Geburtsorten der Betroffenen auch Angaben zu den Papieren, die bei der Sonacotra vorgelegt worden waren. So finden sich zum Beispiel Hinweise, dass hier die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen oder dort der Pass möglicherweise gefälscht sei.

Ferner gibt es auf der Liste auch Berichte zur Nationalität der Betroffenen. Personen mit französischer Staatsangehörigkeit waren unterteilt in die Kategorien »Frankreich - eingebürgert«, »Frankreich - Übersee« und »Frankreich - Metropole« (für jene, die in Frankreich geboren wurden). Diese Angaben aber sind grundsätzlich illegal, da das Gesetz allenfalls zwischen Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen unterscheidet.

Illegal war aber auch der Vorgang selbst. Denn die Gesetzgebung im Bereich der »Ausländerpolitik« verpflichtet die Sonacotra und ähnliche Gesellschaften nur, Daten über ihre Bewohner für den Fall einer polizeilichen Anfrage bereit zu halten. Keinesfall aber ist eine regelmäßige Datenabgabe vorgesehen, die dafür sorgt, dass die Behörden alle Heimbewohner namentlich kennen. In einem Brief vom 22. Juli 1999, der Libération vorliegt, bedankten sich denn auch die Beamten, dass die zur Verfügung gestellten Daten erlaubt hätten, einen Ausländer ohne gültige Aufenthaltspapiere festzunehmen.

Die Erklärung, einzelne »undelikate Mitarbeiter« seien hier am Werk gewesen, greift nicht. Denn die Daten sind in einem Programm namens »Domus 34« gespeichert, dessen Zugang verschlüsselt ist und in das nur leitende Angestellte der Sonacotra mit einem persönlichen Code hineinkommen.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Sonacotra, der im Herbst 1999 entlassen worden war, schrieb darauf an das Amt des Premierministes sowie das Sozial-, das Wohnungs- und das Innenministerium. In seinem Brief erkundigte er sich, ob die Sonacotra »auf Wohnheime für Immigranten spezialisiert« sei oder als »Abteilung des Innenministeriums« fungiere. Eine Antwort erhielt er nicht.

Die Frage ist gut gestellt: Die Sonacotra, die anfangs Sonacotral (Gesellschaft für den Bau von Wohnheimen für algerische Arbeiter) hieß, entstand als verlängerter Arm des Innenministeriums. Das war 1956, auf dem Höhepunkt des Algerienkrieges, und es ging darum, Algerier zur Überwachung zentral unterzubringen. Nach der Namensänderung 1963 öffnete sich die Sonactora für Arbeitsimmigranten unterschiedlicher Herkunft, behielt ihr Kontrollregime aber bei. Nun ging es darum, die in den fordistischen Industrie-Kernen konzentrierten ausländischen Arbeitskräfte unter Kontrolle zu halten.

Da heute die fordistischen Industrien ei-ne immer geringere Rolle spielen, finden sich in den Heimen fast nur noch die gesellschaftlich Deklassierten. Somit dient die Sonacotra-Disziplin vor allem einer kontrollierten Verwaltung des Elends.