Krieg in Sierra Leone

Subsistenz mit Diamanten

Dass in Sierra Leone die RUF das Friedensabkommen gebrochen hat, kommt den anderen Kriegsparteien gerade recht.

Wenn in Afrika ein bewaffneter Konflikt ausbricht, hat es in der Regel zuvor an Warnungen nicht gefehlt. Diesmal waren es unter anderem zwei US-Parlamentarier, die im Dezember 1999 nach ihrer Rückkehr aus Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, erklärt hatten: »Wenn beim Schwarzmarkt für Diamanten nichts geschieht, werden die Friedenstruppen in Sierra Leone mit einer gefährlichen Situation konfrontiert sein.«

Nach dem Abzug der von Nigeria geführten afrikanischen Eingreif-Truppe Ecomog wurden dann Anfang Mai mehr als 500 Uno-Soldaten von Kämpfern der Vereinigten Revolutionären Front (RUF) überrumpelt und gefangen genommen. Bereits am 24. Februar hatte RUF-Führer Foday Sankoh das erweiterte Mandat der Uno-Mission in Sierra Leone (Unamsil) als »hochgradig bedrohlich und nicht willkommen« bezeichnet und Präsident Tejan Kabbah und dessen Volkspartei Sierra Leones (SLPP) vorgeworfen, gegen die Bestimmungen des am 7. Juli 1999 geschlossenen Friedensabkommens von Lomé zu verstoßen.

Ein Teil seiner Klagen war berechtigt. So war die in Lomé vereinbarte Koalitionsregierung von RUF und SLPP gebildet worden, doch Kabbah ignorierte seinen ungeliebten Vizepräsidenten Sankoh und die RUF-Minister und verhandelte allein mit dem Ausland. Die aktuelle schnelle Offensive gegen die RUF beweist, dass Kabbah seine Anhänger ebenso wenig demobilisiert hat wie Sankoh. Wie beim ersten Friedensvertrag 1996 haben beide die Pause nach dem Abkommen genutzt, um sich auf die nächste Runde des Krieges vorzubereiten.

Nur wegen der schwachen Position seines Regimes hatte sich Kabbah in Lomé überhaupt kompromissbereit gezeigt. Obwohl er auf die Unterstützung der fast 15 000 Ecomog-Soldaten, diskrete britische Militärhilfe und die Dienste von Söldneragenturen zählen konnte, hatte die RUF im Januar des letzten Jahres Freetown gestürmt und verwüstet. Es gelang, die RUF zurückzudrängen, aber Kabbah und seine nigerianischen Patrone hatten nach acht Kriegsjahren einsehen müssen, dass ein militärischer Sieg unmöglich war.

Die Rebellion der RUF hatte als Ausläufer des liberianischen Bürgerkrieges begonnen. Sankoh, ein ehemaliger Korporal der Armee (SLA), nutzte die sozialen Ressentiments der Landbevölkerung gegen die städtische Oligarchie. In seiner Broschüre »Pfade zur Demokratie« vertritt er eine diffuse Ideologie der Subsistenzwirtschaft und predigt den Kampf gegen die korrupten Politiker in Freetown.

Schon bald kontrollierte die RUF weite Teile des Landes, einschließlich der lukrativen Diamantenabbaugebiete. Die RUF ist eine relativ disziplinierte Guerilla-Armee mit dem für Warlord-Gruppen typischen hohen Anteil von Kindersoldaten. Eroberte Gebiete werden mit gewaltsam beherrscht. Gegenüber dem Korrespondenten der Zeitschrift New African bekannte ein RUF-Kämpfer: »Manchmal hacken wir ihnen die Hände ab, um ihre Hände aus dem Krieg herauszuhalten. Sie haben nicht verstanden, dass wir für sie kämpfen. Es dient auch dazu, ihnen und anderen eine Lektion zu erteilen.«

Doch auch die Truppen Kabbahs und der Ecomog liefen nicht immer mit der UN-Menschenrechtserklärung unter dem Arm herum. Die regimetreue Miliz der Kamajors kämpft mit ähnlichen Methoden wie die RUF. Entstanden als Selbstverteidigungsmiliz in den Gebieten der Mendé, der mit einem Anteil von einem Drittel größten Bevölkerungsgruppe des Landes, wurden die Kamajors von Kabbah mit nigerianischer Unterstützung in eine schlagkräftige Truppe verwandelt. Kabbah, ebenfalls ein Mendé, nutzte die Gelegenheit, um sich von der notorisch unzuverlässigen Armee unabhängig zu machen.

Dennoch wurde der 1996 gewählte Kabbah nur ein Jahr später von Teilen der SLA unter Führung von Johnny Paul Koroma gestürzt, der sich mit der RUF verbündete. Die Ecomog verhängte eine Totalblockade gegen Freetown und bombardierte die Stadt neun Monate lang mit Kampfflugzeugen und schwerer Artillerie. Es gelang, die Putschisten zu vertreiben, indes aber hatte sich in Nigeria die Einsicht durchgesetzt, dass die Kosten der Ecomog-Interventionen ihren Nutzen nicht aufwiegen.

Profitiert hatten vor allem die Generäle. In Liberia, dem ersten Einsatzort, wurde gespottet, Ecomog stehe für »Everything that Could Move is Gone.« Vor allem aber wollte die nigerianische Oligarchie, deren Macht auf Öl-Einnahmen basiert, auch in die Konzessionsökonomie anderer Staaten einsteigen. Da sie weder in Liberia noch in Sierra Leone einen Sieg erzwingen konnte, blieb das große Geschäft aus.

Die Aussicht auf einen baldigen Abzug seiner Beschützer zwang Kabbah zum Abkommen von Lomé, das die Anerkennung der militärischen Realitäten in diplomatische Floskeln verpackte. Die RUF kontrollierte die Diamantenfelder - Sankoh wurde zum Vorsitzenden des Komitees für die Verwaltung strategischer Ressourcen. Freetown und mit ihm die Pfründe der zentralen Staatsverwaltung blieb das Terrain Kabbahs.

Dieses Arrangement wurde durch das mit der Resolution 1289 vom 7. Februar erweiterte Uno-Mandat in Frage gestellt. Sankoh verstand seinen Posten als Lizenz zum Diamantenschmuggel, und ein Vorrücken der Unamsil in die Diamantenabbaugebiete hätte die Kontrolle der RUF in Frage gestellt. Zudem musste Sankoh damit rechnen, bei den für 2001 angesetzten Wahlen nicht allzu gut abzuschneiden.

Er ist allerdings nicht der einzige, dem ein Interesse an einer militärischen Entscheidungsschlacht unterstellt werden kann. Auch Kabbah muss Wahlen fürchten. Er hat eine solide Basis in Freetown und den Mendé-Gebieten. Anders als 1996, als die Beteiligung bei etwa 30 Prozent lag, hätten die Wahlen 2001 jedoch im ganzen Land stattgefunden.

Koroma, für den in Lomé kein Ministerposten abgefallen war, versammelte am 7. Mai mehrere Hundert ehemalige Soldaten und verkündete: »Wir sind jetzt bereit, unser Land zu verteidigen.« Sollte die Regierung nicht bereit sein, dafür logistische Mittel bereitzustellen, werde man sich eben selbst behelfen. Dies wurde in Sierra Leone als Drohung interpretiert, sich ebenfalls aus Uno-Arsenalen zu bedienen und eine weitere Bürgerkriegspartei zu bilden. Gegenwärtig kämpfen Koromas Soldaten gemeinsam mit der britischen Armee.

Großbritannien, das eine Teilnahme am Unamsil-Einsatz verweigerte, ist erstaunlich schnell mit 1 500 Elitesoldaten zur Stelle, deren Vortrupps sich sofort nach ihrer Ankunft an einer Offensive gegen die RUF beteiligten. Die Eskalation kommt all jenen gelegen, die statt UN-Interventionen mit ihren Kompromissen lieber einen »robusten« Einsatz wie im Kosovo sehen. Profitieren kann auch Nigeria, dessen Truppen jetzt zurückkehren. Mit großer Eile geht die Allianz aus Ex-Putschisten, Kamajors und ausländischen Interventionstruppen in die Offensive, obwohl offensichtlich ist, dass die Kämpfe das Leben der Geiseln gefährden.

Wahrscheinlich hat der in der internationalen Politik unerfahrene Sankoh geglaubt, die Uno-Truppen durch die Geiselnahme von seinen Diamanten fernhalten zu können, von der Härte der Reaktion wurde er überrascht. Ein Angriff auf Freetown war aber offenbar nicht geplant, sonst wäre Sankoh nicht das Risiko eingegangen, in der Stadt zu bleiben.

Am 8. Mai sammelte sich eine von Soldaten begleitete Demonstration vor seiner Residenz. Die Berichte über die folgenden Auseinandersetzungen sind widersprüchlich. Dreizehn Demonstranten, ein Journalist und sechs Soldaten wurden erschossen, auf Seiten der Sankoh-Anhänger soll es mindestens zwölf Tote gegeben haben. Seitdem ist Sankoh verschwunden, erst am Tag darauf, als die ersten britischen Truppen bereits in Freetown gelandet waren, begannen die Kämpfe.

»Wir werden ihn in der Luft, auf dem Land und auf See verfolgen,« erklärte Vize-Verteidigungsminister Hinga Norman, frohlockte aber auch: »Das Gute an Sankohs Flucht ist, dass die Regierung nicht verantwortlich gemacht werden wird.« Bei früheren »Friedensdemonstrationen« des Kabbah-Regimes war es wiederholt zu Lynchmorden an RUF-Verdächtigen gekommen, gegenwärtig berichtet Human Rights Watch wieder von Massenerschießungen. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite für die Flucht Sankohs gibt es bislang nicht.