Der norwegische Skifahrer Lasse Kjus

Berauschende Abfahrt

Der Skifahrer Lasse Kjus hat endlich sein Comeback gestartet. In Norwegen sieht man ihn jedoch nicht unbedingt als Star.

Und der Sieger ist ... Herman Maier! So lautet nach den meisten Abfahrtsrennen die Standardansage. Hermann Maier steht so gewohnheitsmäßig auf dem obersten Treppchen, dass es selbst Hardcore-Skifans machmal langweilig wird. Das Comeback von Lasse Kjus nach einer mehr als achtmonatigen Verletzungspause im November 2000 war daher von den meisten herbeigesehnt worden. Dem 29jährigen Norweger ist es immer wieder gelungen, Maier zu schlagen, zuletzt hatte er im Winter 1998 überraschend sogar die Abfahrts-Gesamtwertung gewonnen.

In Norwegen war die Begeisterung über Kjus' Rückkehr nicht besonders groß. Dabei ist Skifahren dort fast noch wichtiger als Fußball in anderen Staaten. Der Osloer Journalist und Schriftsteller Torgrimm Eggen, der nach eigenem Bekunden seit 1986 nicht mehr auf Skiern gestanden hat, berichtete z.B. von der Aufregung seiner Landsleute wegen einer Knieoperation Bjørn Daehlis. In allen Abendnachrichten sei sie der Aufmacher gewesen, verbunden mit einem Rückblick auf die bisherige Karriere. »Ich hatte den Anfang verpasst und ging daher fest davon aus, dass der Mann Opfer eines Attentats geworden sei.«

Immerhin handelte es sich um das Knie eines Langläufers - obwohl auch das Wort Slalom norwegischen Ursprungs sei, nehme man, so Eggen weiter, die alpinen Skifahrer nicht so richtig ernst. Ein Bulletin über Kjus' Gelenk wäre niemals an derart prominenter Stelle vermeldet worden, denn nur der Langlauf stehe »für die perfekten norwegischen patriotischen Werte, Ausdauer, Kaltblütigkeit, Gesundheit und Vernunft«. Die Verknüpfung kommt nicht von ungefähr, mussten doch die Widerstandskämpfer gegen die deutschen Besatzer auch gute Langläufer sein.

Zumindest mit Gesundheit und Vernunft hat das alpine Skilaufen jedoch kaum etwas zu tun. Lasse Kjus, mittlerweile unter schwerer Bronchitis leidend, verletzte sich z.B. 1991 beim Höhentraining in Chile so schwer, dass seine rechte Schulter bis heute fast gelähmt ist, den Ellenbogen kann er seither nicht mehr richtig beugen. Und auch sonst ist er nicht unbedingt ein Vorzeigesportler. Er trinkt gern Bier und Wein, eines seiner Hobbys ist das Speedboot-Fahren und mit über 90 Kilo bei einer Körpergröße von etwas mehr als 1,80 Meter hat er nicht gerade Idealgewicht.

Aber das sei in seiner Sportart normal, erklärt Lasse Kjus gern, »denn aus physikalischen Gründen müssen die Anfahrtsläufer sehr schwer sein, damit sie die nötige Geschwindigkeit erreichen.« Kjus kommt das sehr gelegen, »denn ich mag Essen. Viel Essen.« Und er hat »festgestellt, dass es den Leuten gut gefällt, wenn sie sehen, wie rundlich wir sind. Eigentlich bin ich dann ja wohl so etwas wie ein Botschafter gegen Essstörungen ...«, der gern übers Essen redet, »ich wohne fünf Monate im Jahr ununterbrochen in Hotels, da wird man automatisch ein Gastrokritiker«.

Obwohl er lieber gar nicht redet. In einem Chat angesprochen, warum er oft so gelangweilt wirke, erklärte er den Fans: »Ihr würdet auch gelangweilt aussehen, wenn ihr immer dieselben Fragen beantworten müsstet.« Kjus' Motto lautet nicht umsonst »Ich brauche kein Image, ich gewinne Weltcup-Rennen«. Deswegen sagt er auch, was ihm passt. Glückwunschtelegramme, etwa von Staatsministern, seien ihm niemals wichtig gewesen, erklärte er im vorigen Jahr, er habe bei einem Rennen niemals das Gefühl, sein Land zu repäsentieren, »das hat mit Patriotismus nichts zu tun«.

Dass Kjus gleichzeitig verkündete, »einer der Gründe, warum ich Norwegen hasse, ist dieser Glaube daran, dass wir ein so reiches Land sind«, machte ihn auch nicht beliebter. Auch die Sportbürokratie seines Landes nahm er sich vor. Dass 500 aktiven Skispringern 650 Skischanzen - die meisten mit Flutlichtanlagen ausgerüstet - zur Verfügung stehen, findet Kjus sehr merkwürdig, ebenso wie das Verhalten vieler Sportfunktionäre, »die nur persönliche Macht haben wollen«.

So ist man trotz seiner Erfolge nur mäßig stolz auf den ersten norwegischen Gesamtweltcupsieger. 1999, bei der Ski-WM in Vail, hatte er bei fünf Starts fünf Medaillen gewonnen: Gold im Riesenslalom und Super-G, Silber im Slalom, in der Kombination und in der Abfahrt sowie den Sieg im Gesamt-Weltcup. Vier Siege bei den Abfahrtsklassikern von Wengen, Val d'Isere, Gröden und Kitzbühel im Winter 98/99 waren zuletzt dem Österreicher Franz Klammer 1974/75 gelungen. Und Kjus ist zudem amtierender Weltmeister im Riesenslalom und im Super-G.

Der Allrounder, der im Gegensatz zu seinen meist spezialisierten Kollegen in allen Disziplinen antritt, weiß genau, dass oft Sekundenbruchteile entscheiden. Kjus behauptet, er ahne während der Fahrt, wie er in der Zeit liege. »Ich kann Abstände genau fühlen, ich weiß, wo ich auf der Strecke in welchem Moment sein muss, um zu gewinnen« - eine Zehntelsekunde entspricht bei 120 Stundenkilometern 1,6 Metern.

Abseits der Skipisten scheint Geschwindigkeit jedoch nicht unbedingt Kjus' Ding zu sein. In schöner Regelmäßigkeit berichten die Zeitungen über seine neuesten Autounfälle, sein Freund Kjetil Andre Aamodt behauptet gar: »Wenn man zu einem Opel-Händler geht und nur Lasses Namen erwähnt, verkaufen sie einem auf keinen Fall einen Wagen.« Acht Opels hatte der damalige Sponsor dem Skifahrer insgesamt zur Verfügung gestellt, Kjus schrottete sie allesamt: »Ich wollte sie sehr vorsichtig behandeln, aber das ist mir wohl nicht so besonders gut geglückt.« Der Vertrag wurde daraufhin nicht erneuert.

Aber das wird den nach inoffiziellen Berechnungen reichsten norwegischen Sportler nicht stören. Er hat eine eigene Sportkollektion, die sich weltweit sehr gut verkauft, entworfen und überdies gerade einen lukrativen Werbespot gedreht. Das vielleicht Beste daran: Er bringt nicht nur viel Geld, sondern auch Sportfunktionäre wie Alkoholgegner in Rage. Denn gemeinsam mit den ehemaligen Skistars Pirmin Zurbriggen und Luc Alphand hat Kjus einen Werbefilm für die dänische Brauerei Carlsberg gedreht.

In Norwegen, wo Alkoholreklame und Alkoholkonsum bei Sportveranstaltungen verboten sind, ein ungeheurer Skandal. »Das nehmen wir sehr ernst«, sagte der Präsident des Norwegischen Skiverbands, Jan Jensen. Ähnlich äußerten sich sowohl das Alpinkomitee als auch die mächtige Anti-Alkoholbewegung - dabei ist nicht klar, ob Kjus mit dem Reklamefilm wirklich gegen die Regeln verstoßen hat. Der Norwegische Sportbund hatte zwar vor einigen Jahren Alkoholwerbung von Aktiven als unerwünscht erklärt und darauf gedrungen, die Werbeverträge der Aktiven vorher vorgelegt zu bekommen.

Trotzdem scheint die Reklame nicht ungesetzlich zu sein. Der Spot wurde von einem ausländischen Unternehmen im Ausland fürs Ausland gedreht - wo die Regeln norwegischer Sportfunktionäre nicht gelten. Was macht es da schon, dass Hermann Maier im Gesamtweltcup derzeit noch mit 16 Punkten Vorsprung führt?