Salam Ali, irakischer Oppositioneller

»Wir stehen nicht auf der Lohnliste der CIA«

Auch in Deutschland hat eine Kampagne begonnen, die nicht allein die Aufhebung des Irak-Embargos, sondern auch eine Normalisierung der Beziehungen zum Regime Saddam Husseins fordert. Daran beteiligen sich Vertreter der Friedensbewegung und antiimperialistische Gruppen ebenso wie Deutschnationale und Faschisten. Auch Jürgen Möllemann (FDP), der die so genannten Friedensflüge nach Bagdad begrüßte, ist dabei. Alle diese Embargogegner ignorieren die Forderungen der irakischen Opposition. Deren Vertreter lehnen eine Rehabilitation des irakischen Regimes ab.

Salam Ali ist offizieller Sprecher des Londoner Human Rights Center der Irakischen Kommunistischen Partei.

Ihre Organisation hat die Gefängnissäuberungen aufgedeckt, in deren Verlauf das irakische Regime seit 1998 weit über 2 000 Gefangene willkürlich hingerichtet hat. Hat sich durch die Sanktionen etwas an der staatlichen Repressionspolitik geändert?

Die Sanktionen werden benutzt, um zu vertuschen, dass sich die Menschenrechtssituation im Irak in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich verschlechtert hat. Während die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der schlechten Versorgungslage wuchs, hat das Regime seine Unterdrückung intensiviert. Die UN-Kontrolle aber konzentrierte sich allein auf das Arsenal an Massenvernichtungswaffen. Keine Maßnahme wurde ergriffen, um eine entsprechende Untersuchung der Menschenrechtssituation vor Ort durchzusetzen. So wurde einem Regime freie Hand im Umgang mit der Bevölkerung gelassen, das schon auf den Verdacht oppositioneller Tätigkeit mit physischer Vernichtung reagiert. Die UN sprachen 1998 von der schlimmsten Diktatur seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, aber unternommen wurde nichts.

In den USA, England, Frankreich und Deutschland sind in den letzten Monaten Kampagnen entstanden, die das Embargo als »sanktionierten Massenmord« bezeichnen. Was halten sie von dieser Kritik?

Wir stimmen vollkommen darin überein, dass die Sanktionen katastrophale Folgen für die Bevölkerung haben. Auf die Unterscheidung zwischen dem Regime und der Bevölkerung aber kommt es an. Die Sanktionen haben die Menschen für die Verbrechen Saddam Husseins bestraft, während seine Herrschaft gestärkt wurde. Beispielsweise kontrolliert das Regime die Verteilung von Lebensmittelrationen. Diese Machtposition wird repressiv genutzt, ganze Bevölkerungsgruppen werden ausgehungert.

Kann man da wirklich sagen, das Embargo sei schuld am Leid der Bevölkerung?

Sicherlich. Denn die Sanktionen haben dem Regime dieses Instrumentarium zur Unterdrückung erst in die Hand gegeben. Das Regime akkumuliert Reichtum, anstatt ihn zu benutzen, um die Situation der Bevölkerung zu verbessern. Auf dem von den UN eingerichteten Treuhandkonto befinden sich nahezu 13 Milliarden Dollar aus dem kontrollierten Ölverkauf im Rahmen des Oil for Food-Programms. Vier Milliarden Dollar könnten für humanitäre Zwecke abgerufen werden. Und selbst wenn das endlich geschehen würde, blieben noch neun Milliarden Dollar.

Andererseits wurden von den 600 Millionen Dollar, die im zweiten Halbjahr 2000 für Gesundheitsversorgung, Schulen und Wasserversorgung vorgesehen waren, vom Regime nur 80 Millionen abgerufen. Das zeigt recht deutlich, wie wenig dem Regime wirklich an der Versorgung der Bevölkerung gelegen ist.

Vertreter der Anti-Embargo-Kampagne glauben ihnen diese Zahlen nicht. Einige sagen ihnen nach, den imperialistischen Interessen der USA zu dienen.

Das entspricht der Propaganda des Regimes. Unerfreulicherweise haben einige Leute innerhalb der Anti-Embargo-Kampagne sich offenkundig in die Irre führen lassen, während ich glaube, das andere sehr genau wissen, wie es im Irak aussieht, aber dennoch ein falsches Bild der Opposition zeichnen. Es ist einfach nicht wahr, dass wir Oppositionskräfte auf der Lohnliste der CIA stehen.

Wenn irgendjemand in der Region bislang dem Imperialismus zu Diensten war, dann doch sicherlich das irakische Regime. Wer glaubt, dieses Regime sei antiimperialistisch, sollte sich die Herrschaftsrealität im Lande selbst anschauen oder die Oppositionsgruppen fragen, die sich im Übrigen sehr wohl als antiimperialistisch verstehen.

Viele Sanktionsgegner meinen, die Abrüstungsauflagen seien längst erfüllt. Nun müsse nur das Embargo aufgehoben werden, und die Lage im Irak werde sich verbessern.

Die Behauptung, alles, was im Irak geschieht, sei eine Folge der Sanktionen, ist offensichtlich falsch. Ich glaube, die deutschen Sanktionsgegner sollten sich stärker mit der Realität des Herrschaftssystems auseinandersetzen. Die Diktatur Saddam Husseins hat kein Interesse daran, dass die Sanktionen gegen die Bevölkerung aufgehoben werden. Im Gegenteil: Das Regime will rehabilitiert werden, ohne auf seine bisherige Politik zu verzichten. Das geht nicht mit einer kontrollierten Abrüstung. Deshalb weigert sich die Regierung selbst dort, Zugeständnisse zu machen, wo sie diese Auflagen ohne Probleme längst hätte erfüllen können.

Die Gefahr für andere Länder spielt hier eine untergeordnete Rolle. Zu allererst hat das Regime sein chemisches Waffenarsenal gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt. Die Erfolge der Anti-Embargo-Kampagnen beim Unterlaufen der Sanktionen sind angesichts dessen nur Erfolge für das Regime. Welche Verbesserung für die Bevölkerung ist denn eingetreten durch die so genannten Friedensflüge nach Bagdad? Keine! Die Qualität der Lebensmittelrationen ist im Gegenteil seit dem Herbst kontinuierlich gesunken.

Das Regime verdient am illegalen Ölexport mittlerweile fast zwei Milliarden Dollar im Jahr. Vielleicht sollten die Embargogegner mal in Bagdad fragen, wo das ganze Geld verschwindet. Ein kompletter zweiter Staatshaushalt existiert, der sich jeder UN-Kontrolle entzieht.

Sie sagen, die Embargogegner sollten sich das Regime genau ansehen. Aber Verbrechen wie die Anfal-Kampagne gegen die irakischen Kurden, bei der 1988 die Stadt Halabja mit Giftgas bombardiert wurde, sind doch wohl bekannt. Zumindest prominente Embargo-Gegner wie Hans von Sponeck, der ja früher das Oil for Food-Programm der UN geleitet hat, müssten solche Fakten kennen.

Sie haben wohl leider Recht. Übrigens waren es ja deutsche Firmen, die sich besonders engagiert haben beim Aufbau des irakischen Waffenarsenals. Es ist daher sehr unerfreulich zu sehen, wie Herr von Sponeck und seine Freunde als Alliierte des Regimes handeln und sich für dessen Propagandazwecke benutzen lassen. Überhaupt kein Verständnis habe ich dafür, dass von Sponeck vor zwei Monaten nach Bagdad reiste, um dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarik Aziz über die Erfolge der Kampagne Bericht zu erstatten. Herr von Sponeck kennt Saddam Hussein und seine Elite persönlich und wird daher auch wissen, wie gut es diesen Leuten mit den Sanktionen geht.

Herr von Sponeck glaubt allerdings, die Verbrechen des Regimes seien nicht bedeutend. Das Embargo müsse nur aufgehoben werden, und alles werde dann irgendwie von selbst besser. Wie aber kann man die Ermordung so vieler Menschen als unbedeutend abtun? Allein während der Anfal-Kampagne sind 180 000 Menschen verschwunden. Ist das unbedeutend?