Fragen praktischer und theoretischer Kritik

Der definitive Bruch mit der Kunst

»Den Bruch verstehen wir aber nicht auf eine idealistische, abstrakte und absolute Weise. Man muss klar sehen, wann die Begegnung innerhalb einer konkreten, kollektiven Aufgabe unmöglich wird, sich aber fragen, ob sie nicht unter veränderten Verhältnissen und zwischen Personen wieder möglich und sogar wünschenswert wird, die füreinander eine gewisse Achtung bewahren konnten.«
Michèle Bernstein, 1958

Nur unregelmäßig haben sich im deutschsprachigen Raum die Thesen und Aktivitäten der Situationisten, die sich zwischen 1957 und 1972 die Bezeichnung Internationale beigelegt hatten, vernehmbar gemacht. Kaum dass das Interesse an dieser Gruppe von Intellektuellen in den letzten Jahren auftauchte, schien es auch schon wieder zu verschwinden, um sich an einem anderen Ort erneut bemerkbar zu machen. Ein Name allerdings hat sich festgesetzt: Guy Debord. In der offiziellen Kunstgeschichte hat er einen Platz in der Ahnenreihe der so genannten antikünstlerischen Künstler zugewiesen bekommen. Andere sehen in Debord, dem Autor von Die Gesellschaft des Spektakels, den Medienvisionär, der die gegenwärtige Aufspaltung der Realität in eine wirkliche und eine massenmedial konstruierte vorausgesehen habe. Dritte wiederum wollen in Debord den Theoretiker erkannt haben, der die Kritik des Warenfetischismus von Marx fortgesetzt und aktualisiert habe. Debord steht nun in der Galerie der sogenannten Hegelmarxisten, neben Lukács, Korsch und Adorno. Debord selbst hat es strikt von sich gewiesen, als »Baumeister von Theorien« zu gelten.

Wenn seine Theorie des Spektakels herausgehoben wird, die Aktivitäten und Überlegungen der anderen Situationisten dagegen gar nichts gelten sollen, so wiederholt dies lediglich das Muster, nach dem sich Austritte und Ausschlüsse in der Situationistischen Internationale selbst vollzogen. Bis zu seiner letzten Schrift »Cette mauvaise réputation ...« (1993) lebte Debord offenbar mit der Illusion, die Fäden in der Hand behalten zu haben, die ihm schon längst entglitten waren. 1962 konnte der scheinbar so endgültige Bruch mit den Künstlern in der Situationistischen Internationale noch als glatter Schnitt erscheinen, da er sich einfach als personelle Konsequenz aus dem programmatischen Ziel einer »Überwindung der Kunst« darstellen ließ. Zuvor schon waren einige Projekte der Situationisten gescheitert: Pinot Gallizios »industrielle Malerei« konnte den Kunstbetrieb weniger provozieren als zunächst vermutet. Die Meterware Kunst war en bloc verkäuflich und wurde an den Kunstmäzen Paolo Marinotti verkauft. Marinotti trat 1960 auch als Geldgeber für das Projekt einer situationistischen Stadt auf. Doch der Plan, auf einer kleinen Mittelmeerinsel eine Kritik städtischer Utopien baulich zu realisieren, scheiterte an der Forderung der Situationisten, die eigene Konstruktion jederzeit in die Luft jagen zu können.

Theorie, Alltag und Kunst markieren die Eckpunkte, von denen aus die Situationisten ihre Kritik der historischen Avantgarden in der Kunst, der Arbeiterorganisationen und der städtebaulichen Umwelt formuliert hatten. Der deklamatorische Abschluss der Phase »dépassement de l'art« täuschte sie dann aber darüber hinweg, dass sie einer funktionalen Trennung von praktischer und theoretischer Kritik zugestimmt hatten. Indem sie die künstlerische Praxis als Reformismus verwarfen, gaben sie die Mittel aus der Hand, die abstrakten Vorstellungen und Wahrnehmungen direkt attackieren zu können, aus denen das Spektakel besteht. Künstlerische Mittel können in anderer Weise als theoretische Reflexion und Kritik die herrschenden Vorstellungen unterlaufen, eine neue Wahrnehmung der Dinge sinnlich affizieren. Stillschweigend hat Debord dies auch nach 1962 in der Auseinandersetzung mit linken Philosophen und marxistischen Zirkeln immer akzeptiert. Auf der Bühne der politischen Konflikte hielt er die Kunst, wie einen Film, den er herstellt, um ihn nicht zu zeigen, hinter dem Vorhang verborgen.

Auf die hier angesprochenen Fragen werden wir in den Subtropen bei Gelegenheit zurückkommen. Nichts liegt uns dabei ferner als nun unsererseits das Figurenkabinett zu bestücken. Vorerst stellen wir unseren Leserinnen und Lesern den Text von Guy Debord aus dem Jahr 1972 erstmals in deutscher Sprache vor, der noch einmal zusammensetzt, was 1962 scheinbar so definitiv zerbrochen war. Der Text handelt von jenem Garten in Albisola, den Asger Jorn über Jahre hin angelegt hatte. Jorn trat im April 1960 aus der Situationistischen Internationale aus. Da hatte er mit seiner Umgestaltung des Gartens bereits begonnen.