Linke Theorien über Alltag, Diskurs und Ideologie

Alltagsleben - Rassistische Diskriminierung und kritisches Denken

Die Debatten um eine kritische Rassismustheorie sind in der deutschen Öffentlichkeit marginalisiert. Dies sah am Anfang der neunziger Jahre noch anders aus. Die Verunsicherung des offiziellen Systems namens Wissenschaft ließ genügend Raum für die Aneignung unterschiedlicher Ansätze. Das theoretische Wissen um das Phänomen Rassismus begann sich auszuweiten. Insbesondere diskursanalytische und ideologietheoretische Versuche fanden die Aufmerksamkeit der Linken. Ideologiekritik schien abgemeldet, historisch überwunden. Doch verlieren sich die neuen Ansätze nicht selten in der Beschreibung formaler Prozeduren. Nur sporadisch taucht, selbst in dem beschränkten Teil linker Öffentlichkeit, das Wissen darüber auf, was die festgestellten rassistischen Diskriminierungen, die Praktiken des Ein- und Ausschlusses sozialer Gruppen mit einer kritischen Theorie der bestehenden Gesellschaft zu tun haben. Die Debatte um eine kritische Rassismustheorie stagniert. Der vorliegende Beitrag nimmt die Traditionen linker Theoriebildung auf, indem er Ideologiekritik, Ideologietheorie und Diskursanalyse von ihren Grenzen her konfrontiert.

Marx unterschied die Kritik als Selbstverständigung von der Kritik als Denunziation. Eine kritische Theorie des Rassismus bedarf allerdings keiner Verständigung mit ihrem Gegenstand, sie hat ihn zu denunzieren. Sie braucht jedoch eine Selbstverständigung über ihre eigenen Kriterien. Die Sozialwissenschaften haben den Begriff der »Rasse« nach 1945 aus ihrer Terminologie gestrichen, gleichzeitig aber haben sie unter dem herrschenden Kulturalismus den Begriff der »ethnischen Gemeinschaften« durchgewinkt. Schon Max Weber hat das Sammelsurium an Sozialverbänden - von der »Gemeinschaft« des »Stamms«, der »Sitte«, der »Religion« und der »Sprache« bis hin zur »Volksgemeinschaft« - registriert, das sich »hinter dem vermeintlich einheitlichen Phänomen« verberge. Eine »wirklich exakte soziologische Betrachtung« aber habe diese Sozialverbände »sorgsam zu scheiden«. Für die Untersuchung von Sozialverhältnissen, so folgerte Weber in Wirtschaft und Gesellschaft, müsse der »Sammelbegriff 'ethnisch' sicherlich ganz über Bord geworfen werden«. Wenn also die moderne Soziologie den Begriff der »ethnischen Gemeinschaft« schon dekonstruiert hat, gibt es für eine kritische Theorie keinerlei Anlass, ihn aus der herrschenden Vulgärsoziologie erneut zu übernehmen. Mehr noch, wenn dieser Begriff am Ende des 20. Jahrhunderts zum Schlüsselbegriff der politisch-sozialen Sprache avancierte, so ist von kritischer Theorie zu erwarten, dass sie seine Verwendung denunziert.

Im Rahmen der Rassismustheorie aber sind die Ansätze spärlich gesät, die dies wirklich tun. Ein Grund hierfür ist zweifellos in der Abwertung der Ideologiekritik zu suchen, die eine Folge der Krise des Marxismus in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist. Es gab bisher kaum Anstrengungen, die marxistische Ideologiekritik, wie sie seit den zwanziger Jahren entwickelt wurde, mit der Diskursanalyse und der Ideologietheorie aus den sechziger und siebziger Jahren zu verbinden. Im Folgenden soll nun versucht werden, mögliche Verbindungen aufzuzeigen. Dies im Rahmen kritischer Rassismustheorie zu tun, bedeutet nicht, dass solche Verbindungen etwa darauf zu beschränken wären. Er bietet vielmehr eine willkommene Eingrenzung des theoretischen Feldes, um erste, tastende Schritte zu unternehmen. Zwei Motive für dieses Unternehmen habe ich bereits genannt: die fehlende Denunziation des Begriffs »ethnisch« und die Stagnation der Theoriebildung. Zwei Beobachtungen kommen hinzu: Zum einen die Beobachtung, dass im Rahmen der kritischen Rassismustheorie zwar selbstverständlich und berechtigterweise von »Rassen« oder auch von »Ethnien« als sozialen Konstruktionen die Rede ist; doch das Soziale daran wird wenig thematisiert und die gesellschaftstheoretischen Annahmen bleiben im Dunkeln. Hier besteht die Gefahr, in einen handlungstheoretischen Funktionalismus zurückzufallen oder aber in den reinen Konstruktivismus abzugleiten, für den soziale Konstruktionen schlicht empirische Tatsachen sind. Zum anderen ist feststellbar, dass häufig, etwa mit dem Terminus »alltäglicher Rassismus«, auf einen Alltag Bezug genommen wird, aber eine Theorie und Kritik des Alltagslebens nicht vorkommt. Hier nun droht eine soziale Trivialisierung nach dem Muster: Alltäglich ist das, was die »kleinen Leute« tun und sagen.

Der Alltag zwischen Reproduktion und Entfremdung

Diese zweite Beobachtung nehme ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Während die Wissenssoziologie, die sich mit dem Alltagsleben beschäftigt, nach dem Wissen fragt, »welches das Verhalten in der Alltagswelt reguliert« (Peter L. Berger/Thomas Luckmann), fragt die materialistische Ideologiekritik nach dem Verhalten, das ein bestimmtes »Wissen« produziert und reproduziert. Eine überschaubare Gliederung der Räume, ein festgelegter Rhythmus der Zeiten, ein in utilitärer Praxis gebanntes Denken, alles im Alltagsleben scheint auf Wiedererkennbarkeit und Wiederholbarkeit angelegt zu sein. Bei den Ansätzen zu einer kritisch-materialistischen Theorie des Alltaglebens stößt man auf zwei grundlegende Kategorien, die das Alltägliche bestimmen sollen: die Reproduktion und die Entfremdung. Die Kategorie der Reproduktion scheint für das Unterfangen, Ideologiekritik, Ideologietheorie und Diskursanalyse zu verbinden, zunächst völlig unproblematisch. So hatte Louis Althusser seine Theorie der ideologischen Staatsapparate und den subjekttheoretisch gefassten Mechanismus der Anrufung damit begründet, dass sie erst vom »Standpunkt der Reproduktion« formulierbar wurden. Die Diskursanalyse ist ständig mit den reproduktiven Kapazitäten von Diskursen konfrontiert, die Foucault in der Archäologie des Wissens als »diskursive Regelmäßigkeiten« zusammenfasst. Auch in der ideologiekritischen Tradition rückte, nicht zuletzt in der Behandlung des Alltags, die Kategorie der Reproduktion ins Zentrum des theoretischen Interesses.

An die späte Ästhetik von Georg Lukács anknüpfend, untersucht Agnes Heller das Alltagsleben als eine relativ autonome Sphäre der Gesellschaft mit eigenen Objektivationen, die sich auf das Individuum und dessen unmittelbare Umgebung beziehen. Die Kategorie der Reproduktion ließ sie den von Lukács vorgegebenen theoretischen Rahmen verlassen, in dem die Objektivationen menschlichen Handelns sich als Widerspiegelung des gesellschaftlichen Seins im Bewusstsein darstellen. Heller definiert zunächst allgemein: »Das Alltagsleben ist die Gesamtheit der Tätigkeiten der Individuen zu ihrer Reproduktion, welche jeweils die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Reproduktion schaffen.« Damit ist die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre, etwa in der Trennung von Arbeit und Konsum, zugunsten der Unterscheidung von individueller und kollektiver Reproduktion aufgegeben. Die Möglichkeit zur kollektiven Reproduktion ist jedoch nur realisierbar, wenn die Selbstreproduktion des Individuums ein Moment der gesellschaftlichen Reproduktion bildet. Hierzu muss das Individuum eine »gesellschaftliche Funktion« erfüllen; es muss innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung eine bestimmte Position einnehmen. In der Klassengesellschaft entwickelt sich die Selbstreproduktion des Individuums weder spontan noch rational zur gesellschaftlichen Reproduktion weiter. Die alltäglichen Tätigkeiten sind vielmehr als teilweise bereits vergesellschaftete Tätigkeiten nach Heller dem herrschenden Konkurrenzprinzip unterworfen. Das Alltagsleben sei für den Einzelnen ein »Kampf um das nackte Leben, um den Platz innerhalb der Gemeinschaft, um den Platz innerhalb der Gesamtheit der Gesellschaft«. Die Aneignung der unmittelbaren sozialen Umwelt, die Einübung in Bräuche, die Internalisierung von Normen und die Entwicklung von eigenen Fähigkeiten sei daher zugleich Aneignung der Entfremdung. Die Marxsche Entfremdungstheorie liefere mithin die »Kritik des Alltagslebens der Klassengesellschaft«.

Aneignung des gesellschaftlichen Lebens. Bei Heller ist Entfremdung jedoch nicht nur als eine negative Kategorie eingeführt. Auf der »Ebene des Gattungsmäßigen« bedeutet sie Entfaltung der Produktion, der Ökonomie, der Wissenschaft und der Kunst. Mit der Konzeption der drei Ebenen von Objektivationen menschlichen Handelns - Individuum, Gesellschaft, Gattung - wird die Kategorie der Reproduktion teleologisch unterfüttert; es handelt sich nicht nur um drei Ebenen, sondern um drei Stufen der Menschwerdung. Folgt man Hellers positivem Programm nicht, dann bleibt dennoch die Verbindung, die sie zwischen individueller und kollektiver Reproduktion einerseits und der Aneignung der Entfremdung andererseits herstellt, ein wichtiger ideologiekritischer Anhaltspunkt in der Untersuchung des Alltaglebens. Wenn in der Klassengesellschaft die - zumindest partielle - Vergesellschaftung der alltäglichen Tätigkeiten zugleich die individuelle Aneignung der Entfremdung bedeutet, dann ist die Selbstreproduktion zugleich die Produktion von Entfremdung. Heller bestreitet dies und betont, das Alltagsleben habe lediglich eine »Affinität zur Entfremdung«; je nach »Entfremdungsgrad« der sozioökonomischen Verhältnisse sei auch das Alltagsleben mehr oder weniger entfremdet. Diesen Gradualismus wendet sie gegen Martin Heideggers Analyse der Alltäglichkeit als uneigentliches Dasein in Sein und Zeit ein; der Gradualismus hat aber auch mit Marxens Entfremdungstheorie nichts mehr zu tun.

In den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten« von 1844 hat Marx drei Bestimmungsmomente der Entfremdung angegeben: die »Entfremdung der Sache«, die »Selbstentfremdung« und die »Entfremdung des Menschen von dem Menschen«. Alle drei Momente sind an das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital gebunden, in dem die Arbeitskraft als Ware figuriert. Sie werden reproduziert, wie dieses Verhältnis selbst sich reproduziert. Diese Reproduktion ist die tagtäglich wiederholte produktive Tätigkeit der Arbeitenden. Nimmt man eine Anregung von John Holloway aus Historical Materialism (1/1997) auf und begreift Entfremdung nicht als gesellschaftlichen Zustand, sondern als Aktivität, dann ist Entfremdung ein Kampf, in dem darüber entschieden wird, ob, wie Marx sagt, die »Tätigkeit als Leiden«, die »Kraft als Ohnmacht« fungiert oder ob die Arbeitenden gegen die Verwandlung ihrer Aktivität in Passivität rebellieren und damit die Aneignung des Produkts, der Tätigkeit und des gesellschaftlichen Lebens vollziehen. Die Überwindung der Entfremdung ist nach dieser Auffassung nicht ein ferner Zustand, der sich in graduellen historischen Prozessen herstellt, sondern ein Prozess, der im Alltagsleben heute ansetzt.

Kolonisierung des Alltagslebens. Henri Lefebvre hat in seinen Untersuchungen auf die Ambiguität des Alltags hingewiesen. Auch er geht von der Kategorie der Reproduktion aus, aber in seinen Augen kann die gesellschaftliche Reproduktion sich nicht reibungslos durchsetzen. »In der Alltäglichkeit«, so sagt er in der Kritik des Alltagslebens, »werden die Entfremdungen, die Fetischismen, die Verdinglichungen (aus dem Geld und der Ware) allesamt wirksam. Zugleich aber treffen die Bedürfnisse, die sich in ihr (bis zu einem gewissen Grad) in Wünsche verwandelt haben, auf die Güter und eignen sie sich an.« In seinen ersten Entwürfen zur Theorie und Kritik des Alltagslebens ging Lefebvre noch davon aus, das Alltägliche sei von der herrschenden Ökonomie und der offiziellen Politik abgeschoben und verdrängt, das schöpferische Potenzial der alltäglichen Tätigkeiten werde ignoriert und die Bedürfnisse und Wünsche würden neutralisiert. In einem zweiten Anlauf diagnostiziert er für die ihm gegenwärtige fordistische Gesellschaft, für die »Gesellschaft des bürokratisch gelenkten Konsums«, wie er sie nennt, eine Art Kolonisierung des Alltäglichen, die die Tendenzen zu Entfremdungen und Verdinglichungen verstärkt habe. Unter Berufung auf Lefebvre hat Hans-Jürgen Krahl die »Verdoppelung der ideologischen Subjektivität« betont. Die Gesellschaft sei in »Entfremdungen zweiten Grades« eingetreten: »nicht mehr nur der Sache, sondern des Blicks auf die Sache, nicht mehr des Wirklichen, sondern des Bildes der Wirklichkeit, nicht nur der subjektiven Illusionen über die Objektivität, sondern über die Subjektivität«.

Lefebvre hat allerdings daran festgehalten, dass das Alltägliche niemals vollständig integrierbar sei. Es fliehe die Versuche der Rekuperation, weil es der nicht vorher bestimmbare Ort der Widerstände, der Trennungen und der Gegensätze bleibe. Mit der Unterscheidung von Kultur und Stil schließlich sucht Lefebvre die Ambiguität des Alltagslebens zu fassen. Kultur ist demnach eine Institution, die auf die Regelung der Bedürfnisse und Wünsche zielt, während der Stil den Modus der Aneignung bezeichnet, in dem die Bedürfnisse und Wünsche die Oberhand über die Objekte, die Waren und das Geld erlangen können. Der Stil richtet sich auf die Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens, nicht mehr auf die Aneignung für ein klassifizierbares, isolierbares Bedürfnis. Lefebvre visiert, in Das Alltagsleben in der modernen Welt, eine »transformierte Alltäglichkeit« an, einen »Lebensstil«, der die Institutionalisierungen der offiziellen Kultur auflöst. Die Überwindung der Entfremdung, der Prozess der Aneignung von Produkt, Tätigkeit und gesellschaftlichem Leben ist nicht auf die Arbeitenden im Sinn der traditionellen Arbeiterbewegung beschränkt. Die Initiative für eine kulturelle Revolution, die nicht nur Staat und Eigentumsverhältnisse, sondern das Leben ändern soll, hat keine fixen kulturellen Ziele umzusetzen, sondern eine neue Praxis ins Leben zu rufen, eine neue Sprache zu finden. Der Kampf um Aneignung kann sich dabei an unterschiedlichen Orten des gesellschaftlichen Lebens entzünden.

Grenzen der Entfremdungstheorie

Festzuhalten ist zunächst, dass das Alltagsleben der umkämpfte Ort der Selbstreproduktion als Produktion der Entfremdung wie der möglichen Überwindung der Entfremdung ist. Kann im Rahmen einer kritischen Rassismustheorie diese Feststellung wirksam werden? Alltäglicher Rassismus meint nach dieser Theorie des Alltagslebens, dass die Reproduktion der rassistischen Gemeinschaft - individuell und kollektiv - die Produktion der anderen »Rassen« bewerkstelligt. In den alltäglichen Tätigkeiten, die dieser Selbstreproduktion dienen, wird die rassistische Spaltung der Gesellschaft bestätigt und formiert. Es sind die im Alltagsleben auftauchenden Redeweisen, Gesten, Rituale und Praktiken, die den Ein- und Ausschluss für den Einzelnen signalisieren. Impliziert die für die Konstruktion von »Rassen« oder »Ethnien« konstitutive Spaltung eines Selbst von den Anderen, eines Eigenen von den Fremden nicht die Selbstentfremdung und die Entfremdung koexistierender sozialer Gruppen voneinander?

Aber die Entfremdungstheorie erweist gerade dadurch ihre Unzulänglichkeit, dass sie jene mikrologischen Prozesse, in denen diese Spaltung alltäglich sich ereignet und reproduziert, nicht mehr bestimmen kann. Der Theorietypus ist gekennzeichnet durch die Bildung von Homologien, die ausgehend von der gesellschaftlichen Arbeit als der entfremdeten Arbeit den Konsum, das Recht, die Sprache, alle gesellschaftlichen Institutionen - Fabrik, Markt, Staat, Kirche, Familie, dann Wissenschaft, Kunst und Philosophie - treffen und nach einem einzigen Modus interpretieren lassen. Bei Lukács in Geschichte und Klassenbewusstsein etwa liefert die Warenform diesen Modus, sie ist ihm die »alle Lebensäußerungen entscheidend beeinflussende Form«. Kommt Lukács explizit auf das »Alltagsleben in der bürgerlichen Gesellschaft« zu sprechen, so kann er darin nur die »relative Irrationalität des Gesamtprozesses«, die zufällige, nur formelle Beziehung seiner rationalisierten Elemente aufeinander erkennen, die er bereits in den »rein ökonomischen Erscheinungen« vorfindet. Bei Heller erfüllt die Dichotomie von Partikularem und Gattungsmäßigem die homologisierende Funktion, bei Lefebvre schließlich, der in seiner Theoriebildung allerdings wesentlich rhapsodischer ist, die Institution beziehungsweise die Institutionalisierung. Es ließe sich ebenso auf die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno und auf Marcuses Der eindimensionale Mensch verweisen. In allen Fällen handelt es sich um einen universellen Modus, der die Logiken der verschiedenen sozialen Machtverhältnisse auf einen gemeinsamen Nenner bringen soll.

Hass auf Differenz. Als ein weiteres Beispiel, das sich auf den alltäglichen Rassismus bezieht, lässt sich eine Passage aus Peter Brückners Zur Sozialpsychologie des Kapitalismus anführen. Brückner gibt im Abschnitt »Komplizenschaft der Lohnabhängigen« des Kapitels über die »Gewaltförmigkeit in der Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen« lange Passagen eines Artikels von Ernst Klee aus der Frankfurter Rundschau vom 16. Januar 1971 wieder, in dem über alltägliche Diskriminierungspraktiken gegenüber »Ausländern« berichtet wird. Klee zitiert seinerseits eine Zeitung aus Rüsselsheim, dem Sitz der Opelwerke mit damals mehreren Zehntausend Beschäftigten. Hier war ein Jahr zuvor der Satz zu lesen: »... erfreulicherweise ist nicht in allen Gaststätten Ausländern der Zutritt verwehrt!« Dann zitiert Klee eine CDU-Stadtverordnete aus Kassel, die auf den Ämtern die schikanöse Behandlung von Seiten der Angestellten beklagt, schließlich aus einem Interview mit einem Angestellten des Jugendsozialwerks. Letzterer gibt vor, Mentalität und Sozialisation der männlichen »Ausländer« zu kennen, bezeichnet deren Haltung zur Arbeit als zu wenig »demütig« und interpretiert ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten, indem er das herabwürdigende Kollektivum »der Ausländer« verwendet:

»Seine Bedürfnisse, als da sind schnelles Geld, schnelle Freuden, große Frauen, blonde Frauen, evangelische Frauen, die nicht zu beichten brauchen, ja, das ist auch so eine Vorstellung in den katholischen Ländern. Und - das muss ich einfügen - die ihn dann wieder in Irrläufe hineinführen, wenn er eines Tages entdeckt: evangelische Frau, blonde Frau, deutsche Frau sehr schön, aber sehr schwierig. Sie will nicht immerzu kochen, sie hat einen eigenen Willen, sie hat eine eigene Meinung, ich kann sie nicht so kommandieren wie in meiner Heimat. All diese Dinge, das sind doch Fakten, die ihn jeden Tag hier mit der Umwelt in Konflikt bringen können.«

Brückner gibt also diese Stelle wieder, fügt weitere diskriminierende Alltagsaussagen hinzu, kombiniert sie mit diskriminierenden Äußerungen und Aufforderungen gegenüber Langhaarigen und Linken (»Geh' doch rüber, wenn's dir hier nicht passt!«) sowie mit Statistiken über Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung von Frauen. Die Formel, auf die Brückner in Anlehnung an das Konzept des Ticketdenkens aus der Dialektik der Aufklärung schließlich alles bringt, ist der Hass auf Differenz: »Der Hass auf alles, was einem selbst nicht gleicht, ist mit der Wut auf jedes verschwistert, das auf Veränderung abzielt; auf Veränderung, die nach den Erfahrungen der Klasse immer aufs Neue das Versprochene, das Erhoffte nicht einlöst.« Die aggressive Gleichmacherei führt er schließlich auf die »Disponibilität« der Arbeitskräfte im Kapitalverwertungsprozess zurück. Brückners Verfahrensweise ist bezeichnend für die Ideologiekritik nach dem entfremdungstheoretischen Ansatz, wie ihn die Neue Linke in der Bundesrepublik vertreten hat. Die Subsumtion der unterschiedlichen sozialen Machtverhältnisse - der politischen Macht gegenüber der Linken, der Macht der Männer über die Frauen, der Macht der Erwachsenen gegenüber den Jugendlichen, der Macht der rassistischen Gemeinschaft gegenüber den Anderen -, die Ineinssetzung von Antikommunismus, Sexismus, Normalismus und Rassismus, hat einen skurrilen Effekt: Da vermeintlich alles bereits erkannt ist, ist gar nichts mehr erkennbar.

Imperative des Alltags. Eine ideologietheoretisch gestützte Diskursanalyse nimmt dagegen die spezifischen Artikulationen wahr, die etwa die oben angeführten Aussagen des Angestellten aus dem Jugendsozialwerk herstellen. Einige Hinweise müssen hier genügen: Auffällig ist die Reihung der Attribute, die das Objekt der vermeintlichen Geilheit von Ausländern erfährt. Die Kette »groß-blond-evangelisch« läuft auf die Benennung einer Ursache für ihr Verhalten zu: nämlich hier die Spekulation über die »Vorstellung in den katholischen Ländern« ihrer Herkunft, dann die Umkehrung evangelisch-blond-deutsch, die auf den unvermeidlichen Konflikt zusteuert. Die Trennung des Selbst von den Anderen wird in der Redepassage am Objekt der Frau kulturell-religiös im alltäglichen Verhalten fundiert: von den körperlichen Zuschreibungen, die das sexuelle Stereotyp vom Verlangen eines kleinen Mannes nach einer großen Frau abrufen, über die »blonde Frau«, die als »sexy Blondine« und zur rassistischen Unterscheidung von Norden und Süden doppelt codiert ist, bis zur Differenz markierenden Nennung der Religion, die das eigentlich bestehende Kopulationsverbot andeutet. In der Umkehrung dieser Reihe, die sich auf den Kontext der möglichen Eheschließung bezieht, zumindest einen gemeinsamen Ort der individuellen Reproduktion annimmt: angesprochen in der Zeitangabe »eines Tages« und in der Tätigkeit des Kochens, ist das sexuelle Begehren kassiert und durch die Nennung der Haarfarbe zur Nation übergeleitet. Das Kopulationsverbot bringt sich nun politisch zur Geltung; es kehrt zurück, so die Warnung des Interviewten, in der Behauptung des freien Willens der »eigenen« Frau gegen das Kommando des »fremden« Mannes.

Der Interviewte redet über Dritte, er interpretiert deren Verhalten, dabei aber ruft er die Mythen, den Mythos der deutschen Frau etwa, das Begehren und den sozialen Kontext auf, in denen er selbst situiert ist. Er stellt eine Beziehung zwischen biologistischen und kulturalistischen Annahmen her, spricht Arbeit und Geld an und lenkt alles auf die Nation. Man kann seine Aussagen als ein großes Bedrohungsszenarium eines deutschen männlichen Angestellten im Jahr 1971 lesen, vollgestopft mit Ressentiments und Vorurteilen, mit eigenen Machtansprüchen und Versagensängsten. Man kann aber auch sagen: In diesen Redeweisen konstituiert sich ein Subjekt, dass um Heiratsverhalten und Nation ein Band zu schlingen versucht, das seine individuelle und gemeinschaftliche Reproduktion zu garantieren verspricht. Setzt man an die Stelle der Wörter evangelisch und katholisch die Wörter christlich und islamisch, so befindet man sich in der unmittelbaren Gegenwart.

Herstellung fiktiver Ethnizität

Die diskursive Anordnung ist anscheinend unverwüstlich. Sie übersetzt das, was Etienne Balibar in einem Aufsatz aus Rasse Klasse Nation als fiktive Ethnizität bezeichnet hat, in Imperative des Alltagsverhaltens, indem sie den Alltag interpretiert. Balibar hat, ganz eng angelehnt an Althussers Thesen in Ideologie und ideologische Staatsapparate, das »Gespann Schule-Familie« in den Mittelpunkt der Herstellung fiktiver Ethnizität gerückt. Dieses Gespann sichert, so Althusser, die Reproduktion der Arbeitskraft, indem es die einzelnen Subjekte für eine bestimmte Position innerhalb der gesellschaftlichen Arbeitsteilung konditioniert. Die herrschende Ideologie ist nach Althusser nicht vor allem deshalb herrschend, weil sie den Beherrschten die Ideen der herrschenden Klasse in den Kopf setzt, sondern weil sie bestimmte Handlungen, Praxen und Rituale innerhalb eines Ensembles von Institutionen festlegt, die er als ideologische Staatsapparate charakterisiert. Balibar modifiziert diesen Ansatz insofern, als er herausstellt, dass »allgemeine Schulpflicht« und »Familienzelle« die Reproduktion der Arbeitskraft der »Bildung einer fiktiven Ethnizität unterordnen, d.h. der Artikulation einer sprachlichen Gemeinschaft und einer rassischen Gemeinschaft, die implizit in der Bevölkerungspolitik vorhanden ist«. Die fiktive Ethnizität übersteigt die reale sprachliche Kommunikation wie die unmittelbaren Verwandtschaftsbeziehungen und Haushaltsstrukturen, indem sie beide in die Vergangenheit und in die Zukunft projiziert, mit den Mythen einer ursprünglichen Sprache und einer urgemeinschaftlichen Herkunft verbindet. Die Imaginationen der »Muttersprache« und der symbolischen Verwandtschaft konstituiert eine eigene Subjektivität, die in den schulischen und familiären Staatsapparaten geregelt ist und aktualisiert wird.

Auch hierin folgt Balibar Althussers Thesen über Ideologie streng. Althusser hatte eine negative These, nach der die Ideologie das »imaginäre Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen« repräsentiert, und eine positive These, die der materiellen Existenz der Ideologie in den Staatsapparaten, formuliert. In ihren Prozeduren sieht er schließlich die Konstitution von Subjektivität durch Anrufung der Individuen als Subjekte verankert. Allerdings verschiebt Balibar das theoretische Terrain, auf dem diese Thesen Gültigkeit haben. Althusser bezieht sich auf die ideologische Klassenherrschaft, Balibar auf die Ideologie der Nation-Form, und er verbindet sie mit Foucaults Konzeption der Bio-Macht. Diese Verschiebung lässt die Grenzen des anfänglichen ideologietheoretischen Modells erkennen. Althusser setzt den Standpunkt der Reproduktion mit dem des Klassenkampfs gleich. Die Verschiebung, die Balibar vornimmt, ist lediglich eine von mehreren möglichen. Für das Geschlechterverhältnis ist der familiäre Staatsapparat von zentraler Bedeutung; hier wird die geschlechtliche Arbeitsteilung, das affektiv-emotionale Potenzial und das generative Verhalten in Haushaltsstrukturen gegossen, die die Machtbeziehungen zwischen Mann und Frau, die Imaginationen von Männlichkeit und Weiblichkeit regulieren. Im gesellschaftlichen Naturverhältnis ist andererseits der schulische Staatsapparat kaum zu vernachlässigen, da in ihm die Trennung von Natur und Gesellschaft über die Einübung in die technologische Rationalität nicht nur nach den Lehrplänen vorexerziert, sondern zugleich an den Körpern der Kinder selbst exekutiert wird. Kommen folglich die verschiedenen sozialen Machtverhältnisse in den Blick, so liegt es nahe, die Ideologietheorie von Althusser an das Alltagsleben als den umkämpften Ort der Reproduktion zu binden.

Regeln des Diskurses. Ähnliches gilt auch für die Diskursanalyse. Denkt man sie von den Grenzen her, an die Foucault sie in der Archäologie des Wissens getrieben hat, nämlich von der Relation diskursiver und nicht diskursiver Praxis, dann lässt sich auch hier die Verbindung zum Alltagsleben herstellen. Foucault beschreibt die diskursive Formation, indem er die Aussagen, die einen Diskurs bilden, durch die Konstitution von Gegenstand, Redeposition, Methode beziehungsweise Organisation und Strategie kennzeichnet. Alle vier Modalitäten, die die Einheit eines Diskurses regeln, legen - vereinfacht ausgedrückt - fest, worüber wer wie spricht und wozu gesprochen wird. Lassen sich die drei ersten Modalitäten als innerdiskursive Regeln der Beschränkung und Ausgrenzung von möglichen Aussagen begreifen, so tritt die vierte Modalität, die Foucault als »thematische Wahl« bezeichnet, mit dem Feld der nicht diskursiven Praktiken in Kontakt. Über die thematische Wahl entscheidet nicht die diskursive Praxis, sondern sie wird, wie Foucault am Beispiel des »aufkommenden Kapitalismus« anmerkt, »in der alltäglichen, kaum konzeptualisierten, kaum theoretisierten Praxis« und »in den politischen und sozialen Kämpfen« getroffen.

Foucault hat diese von ihm selbst gelegte Spur zu einer kritischen Gesellschaftstheorie nicht weiterverfolgt. Stattdessen hat er die Diskursanalyse durch eine Macht-Analytik ersetzt, deren Untersuchungsfeld durch den Begriff der Institution begrenzt ist. In einem Gespräch bringt er dies auf die Formel: »Alles nicht diskursive Soziale ist Institution.« Hier hat Foucault in der Kritik der »Repressionshypothese« den relationalen, nicht instrumentellen Charakter von Macht herausgearbeitet. Dieser Machtbegriff ist für die Analyse des Zusammen- und Gegeneinanderwirkens von sozialen Institutionen, die in ein strategisches Feld von Machtbeziehungen, in ein Macht-Dispositiv, eingebunden sind, in ihm entstehen und sich auflösen können, von zentraler Bedeutung. Doch zugleich impliziert dieser Begriff einer Macht, die sich in unendlich viele strategische Potenziale zerlegt, wie Nicos Poulantzas in seiner Staatstheorie kritisiert hat, eine »Verabsolutierung der Macht«, die den Staat als »strategischen Organisationsort« sozialer Herrschaft verdeckt.

Leben und sterben lassen. Die Grenzen dieser Institutionen-Theorie machen sich schließlich auch in Foucaults Bemerkungen zum Rassismus, vor allem aber zum Rassismus im NS-Regime bemerkbar, wie er sie in der Vorlesung vom 17. März 1976 vorgetragen hat. Foucault trägt hier keine Diskursanalyse des Rassismus vor, sondern er ordnet das Phänomen Rassismus in das Konzept der Bio-Macht und der Bio-Politik innerhalb des bevölkerungspolitischen Dispositivs ein. So arbeitet er einen Staatsrassismus heraus, der in der Bevölkerung eine »Zäsur biologischen Typs« einführt, um ihre Zusammensetzung demographisch erfassen zu können und statistische Prognosen zu erlauben, die jenen der Aufrechnung von Geburten- und Sterberaten für die Gesamtheit einer Bevölkerung entsprechen. Damit hat Foucault gegen die Vorstellung, der biologistische Rassismus habe sich nach 1945 in einen kulturalistischen Rassismus gewandelt, das Augenmerk erneut auf die biologistischen disziplinierenden und regulierenden Praktiken im modernen Staat gelenkt, wie sie heute etwa in der Migrationspolitik weiterhin virulent sind. Darüber hinaus hat der Rassismus nach Foucault auch die Funktion, die Beziehung kriegerischen Typs nach dem Motto: »Wenn du leben willst, muss der andere sterben«, in der Biopolitik zur Geltung zu bringen. Foucault kennzeichnet schließlich den Nazismus als die auf die Spitze getriebene Kombination beider Funktionen der rassistischen Bio-Politik. Doch er analysiert weder die für die NS-Ideologie zentralen Topoi der »Arier als Kulturbegründer« und der »Juden als Kulturzerstörer« noch die »Logik des Terrors« (Leo Löwenthal). Die zivilgesellschaftlichen Mechanismen von Kultur und Barbarei, die im Staat als Ort der strategischen Organisation von sozialer Macht gebündelt, kanalisiert und effektiviert wurden, haben aber letztlich die NS-Vernichtungspraxis vorbereitet Die kulturalistischen Muster des Rassismus sind bei genauerer Analyse der sozialen Voraussetzungen des NS-Regimes von erheblicher Bedeutung. Sie übersetzen die biologistische Zäsur der Bevölkerung in das Alltagsleben. Diese Mechanismen können nicht in den Blick kommen, weil bei Foucault der Staat eine singuläre Institution darstellt, die in der Lage zu sein scheint, definitorisch und planerisch ihre Imperative durchzusetzen.

Weder hat Foucault in der Relation von diskursiver und nicht diskursiver Praxis das Verhältnis von Sprache und Alltag, noch hat Althusser in der Staatstheorie das Verhältnis von Staat und Alltag hinlänglich zu bestimmen vermocht. Althusser und Foucault stimmen darin überein, dass der Begriff Praxis die »objektive und materielle Existenz gewisser Regeln« meint, »denen das Subjekt unterworfen ist« (Dominique Lecourt). Die Defizite einer ideologietheoretisch gestützten Diskursanalyse lassen sich nun im Rückbezug auf entfremdungstheoretische Ansätze zum Alltagsleben in der kapitalistischen Gesellschaft ausweisen.

Ein Bruch mit den herrschenden Mustern der Vergesellschaftung

Es kann nicht darum gehen, die Theorie der Entfremdung mit ihren Homologien und Subsumtionen zu restituieren. Mein Vorschlag zielt darauf, in Ideologietheorie und Diskursanalyse die fundamentale Zweideutigkeit des Praxis-Begriffs wieder einzuführen, die in den Modi von Reproduktion oder Aneignung angedeutet ist, die Lefebvre mit der These von der Ambiguität des Alltagslebens anspricht. Wenn beide Aspekte in den Logiken der verschiedenen sozialen Machtverhältnisse präsent sind und sich in den mikrologischen Prozessen des Alltagslebens als Auseinandersetzung, Konflikt und Kampf auswirken, dann finden sich hier die Anknüpfungspunkte: für distanzierende Gesten, für eine neue Sprache und für eine radikale Kritik. Mit anderen Worten für eine ideologische Praxis, die darauf orientiert, sich das gesellschaftliche Leben anzueignen, nicht weil das Eigene substanziell bereits vorausgesetzt wäre, sondern weil es sich als Bruch mit den herrschenden Mustern der Vergesellschaftung zu erkennen gegeben hat.

Die kritische Theorie der Gesellschaft wagt diesen Bruch zu denken; die kritische Sozialgeschichte weist die Brüche in der Vergangenheit auf. In dem Buch Die Erfindung der weißen Rasse hat Theodore W. Allen die Geschichte des US-amerikanischen Rassismus von der Kolonisation Irlands zur »weißen« Dekolonisation und Staatsbildung auf dem nordamerikanischen Kontinent als eine Geschichte der sozialen Kontrolle und ihrer Transformationen nachgezeichnet. Diese Geschichte kennt die Verwandlung von Unterdrückten in Unterdrücker, von kolonisierten katholischen Leuten aus Irland, die als irische Migranten zu Profiteuren der Konstruktion »weißer Suprematie« werden. Die Penal Laws, denen sie in Irland bis Anfang des 19. Jahrhunderts unterworfen waren, wiesen aber dieselben rechtlichen Restriktionen auf, die für Schwarze in den USA als Fugitive Slave Law galten: Heirats- und Eigentumsverbote, Ausschlüsse vom Bildungssystem, Mobilitätsbeschränkungen. Diese Geschichte kennt jedoch auch die Widerstände und Assoziationsversuche, die Bacon-Rebellion von 1676/77 in Virginia, den gemeinsamen Aufstand von Schuldknechten und Sklaven, oder die Bestrebungen des irischen Politikers O'Connell im 19. Jahrhundert, ein Bündnis mit den Abolitionisten in den USA zu schließen.

Kultur und Terror. Der Sprung zurück in die Gegenwart der deutschen Gesellschaft muss möglich sein. Wenn die These von Michael Hardt und Toni Negri richtig ist, dass die Bio-Politik im Feld der Regulierung der Bevölkerung für die kapitalistische Restrukturierung zunehmend wichtiger wird, wenn gleichzeitig, wie sie mit dem Begriff der »immateriellen Arbeit« andeuten, die klassische Trennung von Hand- und Kopfarbeit obsolet ist und auf eine Neuzusammensetzung der sozialen Kräfte hinsteuert, die sie als »Massenintellektualität« bezeichnen, dann hat die Suche nach neuen Formen von Widerstand bereits begonnen. Ob kritische Theorie sie überhaupt wahrnehmen kann, liegt nicht zuletzt an ihrem Blick auf das gegenwärtige Alltagsleben.

Im Alltagsleben ereignet sich der soziale Distinktionsverlust, dem die mit Überlegenheitsansprüchen befrachteten Muster »geistiger Reproduktion« wie Humanismus, Bildung und Rationalität schon längst ausgesetzt sind, die aber in der offiziellen Kultur als Institution aufrechterhalten werden. Im Alltagsleben wirken sich die staatlichen Maßnahmen zur Regulierung der Bevölkerung als Durchsetzung identitärer Kulturmuster aus; hier greift die Abschiebepraxis und Illegalisierungsstrategie gegenüber Flüchtlingen und Migranten an. Auf den Alltag zielen aber auch die rassistischen Übergriffe, die gemäß der Logik des faschistischen Terrors den Angegriffenen jede individuelle und kollektive Reproduktion überhaupt unmöglich machen sollen. Diese Reproduktion allein birgt in den kapitalistischen Gesellschaftsformationen die Möglichkeit einer emanzipatorischen Aneignung von Produkten, Tätigkeiten und Lebensweisen, eines neuen Lebensstils im Sinne Lefebvres. Das berechtigte Streben nach Selbstverteidigung und den Wunsch, sich den herrschenden Formen der Reproduktion zu entziehen, mit dem Verlangen nach dieser Aneignung zu verbinden, könnte neuen gesellschaftlichen Assoziationen den Weg ebnen. Grund genug also, identitäre Konzeptionen von Kultur abzulehnen und auf jene zu schauen, die sich im Alltäglichen den kulturalistischen Identifikationen bereits zu entwinden versuchen.

Der Beitrag ist einem Vortrag entnommen, der am 6. April 2001 anlässlich des Workshops »Rechtspopulismus und die Wirkungen der kritischen Rassismusforschung« im Frankfurter Institut für Sozialforschung gehalten wurde. Der gesamte Vortragstext wird in einem von Alex Demirovic herausgegebenen Sammelband erscheinen.