Bundeskabinett beschließt Maßnahmen zur Inneren Sicherheit

Schily and Order

Mit dem Maßnahmenpaket zur Inneren Sicherheit erfährt die Terroristenjagd der siebziger Jahre ihr ethnisiertes Revival.

Als Bundesinnenminister Otto Schily nach den Anschlägen in den USA vor Trittbrettfahrern in Deutschland warnte, meinte er womöglich sich selbst. Denn die Innen- und Justizministerien legten in der vergangenen Woche ein so genanntes Sicherheitspaket vor, das einen weitgehenden Eingriff in die Freiheitsrechte vor allem ausländischer Bürger erlaubt.

Neben der verschärften Kontrolle von Migranten mit einer Regelüberprüfung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sehen die im Kabinett bereits beschlossenen Maßnahmen auch die Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz und eine Ausweitung der Anti-Terrorgesetze auf ausländische Organisationen vor. Die Bundesregierung plant eine erweiterte Rasterfahndung und eine vereinfachte Kontrolle von Bankkonten. All das sind Gesetzesentwürfe, die aus guten Gründen bisher im Giftschrank ruhten.

In einer Presseerklärung warnten am vergangenen Freitag sogar die Grünen davor, dass unter dem Einfluss der Terrorhysterie grundlegende Bürgerrechte abgeschafft werden könnten. »Wer nur die Schubladen mit alten Papieren leer räumt, offenbart weniger Entschlossenheit als Hilflosigkeit und Aktionismus.«

Als ausgemacht gilt, dass zumindest der neue Anti-Terrorparagraf 129b und die Einschränkungen im Vereinsgesetz verabschiedet werden. Den Kern des neuen Anti-Terrorparagrafen bildet eine Ausweitung der Verfolgungskompetenz deutscher Behörden auch auf ausländische Organisationen. Damit soll es ermöglicht werden, dass Vereinigungen, die im Ausland als terroristisch gelten, auch dann im Bundesgebiet verfolgt werden, wenn sie hier keine Straftaten begehen. Wie schon bei dem Vorgänger des Paragrafen 129b, dem 129a, gelten bereits Mitgliedschaft und Werbung als strafbar.

Was Terror ist, wird der Staat definieren. Die Behörden werden künftig klären, wem wegen welcher Interessenslage das Recht zum bewaffneten Kampf im eigenen Land zugesprochen wird und wem nicht. Ein Problem, auf das vor Jahren ausgerechnet der ehemalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann aufmerksam gemacht hat. Es müsse, schrieb Rebmann 1986 in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht, »jeweils eine Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob ein etwa berechtigter Widerstand gegen ein ausländisches Unrechtssystem einer ausländischen Organisation die Qualifikation einer terroristischen Vereinigung nimmt. Diese Prüfung würde zur unlösbaren Aufgabe, wenn eine ausländische Vereinigung durch Gewaltakte gar die Regierungsgewalt übernehmen würde und dadurch ihr früheres Verhalten legalisieren könnte.« Wird also die UCK als terroristische Vereinigung oder als berechtigte Widerstandsorganisation behandelt? Was erwartet kurdische Flüchtlinge, die vor dem türkischen Staat nach Deutschland flohen?

Die Warnung der Grünen vor »Diskriminierung und falschen Verdächtigungen« ist eine Untertreibung. Mithilfe des Paragrafen 129b drohen Repressionsmaßnahmen künftig nicht mehr wegen verübter Straftaten, sondern wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten ethnischen, nationalen oder religiösen Kollektiv.

Das wird ergänzt durch die vorgesehene Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz. Nicht nur, dass es mit der Religionsfreiheit ohnehin nicht weit her ist in Deutschland, wo bereits der Ruf des Muezzins verboten ist. Die Aufhebung des Religionsprivilegs vereinfacht die Inkriminierung von religiösen Vereinigungen und dürfte eine Reihe von Verboten nach sich ziehen, die per Verfügung vom Bundesinnenminister erlassen werden könnten. Auch wenn den Vereinen der Rechtsweg einer Klage gegen die Verfügung offen bleibt, dürfte im Einzelfall die Repression längst wirksam geworden sein, bevor eine gerichtliche Aufhebung des Verbots überhaupt möglich würde.

Ein Beispiel hierfür waren die Verbote kurdischer Organisationen in den frühen neunziger Jahren. Damals wurde eine große Zahl von Aktivitäten praktisch über Nacht illegal, weil nicht die hierzulande verbotene PKK, sondern die als Vorfeldorganisationen definierten kulturellen Vereine ins Visier genommen wurden. Auf dem Höhepunkt der kurdenfeindlichen Hysterie reichte schon das Tragen kurdischer Trachten oder das Absingen von Liedern in kurdischer Sprache für eine polizeiliche Intervention. Mehr als 1 500 Ermittlungsverfahren wurden 1993 nach dem Verbot wegen Bagatelldelikten im Sinne des Vereinsgesetzes eingeleitet. Lockere Vereinigungen wurden durch die staatliche Repression erst zu Kollektiven zusammengeschweißt.

»Die Kurden« wurden zu Feinden ersten Ranges. Schließlich mussten allerdings auch die Verfolgungsbehörden feststellen, dass das Vereinsverbot zu einer breiten Solidarisierung in der kurdischen Exilgemeinde und damit zu einem erheblichen Zulauf zu jenen Organisationen führte, die man eigentlich schwächen wollte. Zudem wurden die meisten der vom Innenminister verhängten Verbote später von Gerichten aufgehoben.

So ist auch die jetzt geplante Streichung des Religionsprivilegs wahrscheinlich kein Mittel, um antisemitische Hetztiraden in Freitagsgebeten zu unterbinden, sondern lediglich dazu geeignet, die Repression vom Einzeltäter auf das Kollektiv auszudehnen. Nicht die Tat, sondern der soziale und kulturelle Hintergrund, vor dem sie verübt wird, gerät zum Gegenstand staatlicher Verfolgung.

Das ist die Tendenz, die auch in den Anti-Terrormaßnahmen sichtbar wird. Das schon im Paragrafen 129a wie auch im neuen 129b formulierte Vereinsdelikt sei ein »regelrechtes ðSesam-Öffne-DichÐ für die deutsche Staatsschutzjustiz«, stellt die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei fest. Angeklagten muss nicht mehr die konkrete Straftat nachgewiesen werden, sondern lediglich die Verbindung zu einer als terroristisch angesehenen Vereinigung. Der Angeklagte kann für alle dieser Organisation zugeschriebenen Straftaten zur Verantwortung gezogen werden.

Damit sei der Willkür »Tür und Tor geöffnet«, meint der Rechtsanwalt Thomas Scherzberg, Vorstand der Strafverteidigervereinigung in Hessen. Als einen Skandal bezeichnet er es, dass selbst auf die Formulierung eines Straftatenkataloges verzichtet wurde, also auf eine Definition, welche konkreten Handlungen unter die Anti-Terrorparagrafen fallen. Die Konturlosigkeit dessen, was jetzt als »islamistische Bedrohung« ins Visier der Staatsschützer geraten sei, mache »die Definition praktisch uferlos«, konstatiert der Anwalt.

Angesichts der im Kabinett beschlossenen Maßnahmen wird auch den Grünen mulmig in einer Regierung, die eine ethnisierte Neuauflage der Terroristenjagd der siebziger Jahre versucht. Wie sehr die Partei trotz aller Kritik bereit ist, den Staat zu stärken, bezeugt der Ton des Papiers. »Wichtig ist es«, heißt es dort, »dezentrale Kommandostrukturen aufzuspüren und auszuschalten.« Aufspüren und ausschalten, etwas anderes scheint zur Zeit nicht denkbar.