Debatte um bin Ladens Video

Schöne Fatwa

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Digitale Sheikhs zu kreieren, wäre für die US-Filmindustrie kein Problem. So fehlte es auch nicht an Stimmen, die das am vergangenen Donnerstag von der US-Regierung präsentierte Video, das Ussama bin Laden im Gespräch mit einem saudischen Gast zeigt, für eine Fälschung halten. Tatsächlich gibt es gute Argumente für diese These.

Bislang hatte bin Laden zwar den Jihad gegen die USA gepredigt, aber jede persönliche Verantwortung für Anschläge bestritten. Diese Ambivalenz aufrechtzuerhalten, war zentral für die al-Qaida-Propaganda, denn sie erlaubte es, ganz rechtsstaatlich gegen die US-Politik zu argumentieren. Unklar bleibt auch, zu welchem Zweck das Treffen gefilmt worden sein soll.

Andererseits ist es fraglich, ob US-Geheimdienstlern die Fantasie zugetraut werden kann, die im Video ausführlich debattierten prophetischen Träume diverser Islamisten zu erfinden und sogar in bin Ladens Namen ein Gedicht zu verfassen. Zweifelhaft ist auch der propagandistische Nutzen. Die öffentliche Meinung in der islamischen Welt wird das Video kaum beeinflussen. Wer an die Unschuld bin Ladens glaubt, wird das Video als Fälschung betrachten.

Auch die bin Laden zugeschriebene Führungsrolle im al-Qaida-Netzwerk wird nicht belegt, er gibt nur zu erkennen, dass er vorher über die Anschläge informiert war. Das Video liefert den Anwälten der im Zusammenhang mit den Anschlägen Verhafteten sogar gute Argumente. Denn bin Ladens Aussage, dass die Attentäter erst »kurz bevor sie die Flugzeuge bestiegen«, über die Anschlagsziele informiert wurden, lässt darauf schließen, dass an der Vorbereitung beteiligte Helfer noch viel weniger gewusst haben.

Und es mag den Regeln der Gastfreundschaft entsprechen, dass bin Laden seinen saudischen Besucher so viel reden lässt, dass er selbst zeitweise kaum zu Wort kommt. Den Regeln des Propagandakrieges entspricht es nicht, zumal die Aussagen seines Gastes Saudi-Arabien, den wichtigsten arabischen Verbündeten der USA, einmal mehr in Verlegenheit bringen. Vehement bestreitet das Königshaus, dass bin Laden in Saudi-Arabien organisierte Sympathisanten hat. Das Video aber präsentiert eine Erörterung der positiven Reaktionen oppositioneller saudischer Geistlicher auf die Anschläge vom 11. September. Die »schöne Fatwa« eines dieser Theologen zur Unterstützung bin Ladens will dessen Gast sogar im Radio vernommen haben.

In ihrem Bemühen, bin Laden noch einmal zu diskreditieren, hat die US-Regierung ganz nebenbei auf das zentrale Problem ihrer »Allianz gegen den Terror« hingewiesen. Im Krieg gegen das al-Qaida-Netzwerk wird die Unterstützung fundamentalistischer und nationalreligiöser Herrschaftssysteme fortgesetzt. Einst gegen die Sowjetunion, linksnationalistische Regierungen und linke Bewegungen gerichtet, hat sie seit den siebziger Jahren dazu beigetragen, dass in einer perspektivlosen Konfrontation zwischen Diktatur und islamistischer Opposition nicht nur linke, sondern auch bürgerlich-demokratische Strömungen in vielen islamischen Staaten fast vollständig verdrängt wurden. Diese Entwicklung bereitet nun der westlichen Politik, die sich nur noch auf Diktatoren, Warlords und Islamisten stützen kann, einige Probleme. So bleibt es offen, ob es gelingt, eine Zentralregierung in Afghanistan zu etablieren.

Die US-Regierung möchte bin Laden gerne als isoliertes Phänomen bekämpfen, weil jede andere Strategie die Herrschaft wertvoller Verbündeter gefährden und die »Allianz gegen den Terror« sofort sprengen würde. Doch eben jene Verbündeten sind es, die ihm und anderen Gotteskriegern den Terror erst ermöglicht haben und noch weit gefährlichere Konfrontationen provozieren könnten. Im Bündnis mit Pakistan wurde es akzeptiert, dass der Jihad in Kaschmir weiterhin ein zentrales Anliegen von Nationalisten wie Islamisten blieb. Nun stehen Indien und Pakistan am Rand eines Krieges.