Repression gegen die kabylische Protestbewegung

Rückkehr der Gendarmen

Mit verstärkter Polizeipräsenz und Strafverfahren geht die algerische Regierung gegen die geschwächte kabylische Protestbewegung vor.

Sie sind wieder da. Die algerischen Gendarmen, die seit zehn Monaten in den meisten Städten der Kabylei in ihren Kasernen verbarrikadiert blieben, treten wieder offensiver auf. Gegen die Übergriffe und Gewalttaten dieser Sondereinheiten, die direkt dem Verteidigungsministerium unterstehen, hatten die berbersprachigen Bewohner des Berglands nordöstlich der Hauptstadt Algier seit dem April des vorigen Jahres revoltiert.

Anfang der letzten Woche fand man die Gendarmen an vielen Orten der Kabylei an Straßensperren und Kontrollstellen wieder, welche die Armee jüngst eingerichtet hatte. Die laizistische und regierungskritische Tageszeitung Le Matin titelte daraufhin: »Die Armee greift in der Kabylei ein.« Die meisten Bewohner der Kabylei hegen indes weniger Zorn und Unmut gegen die ANP (Nationale Volksarmee), die überwiegend aus Wehrpflichtigen besteht, als gegen die Gendarmerie.

Nachdem am 20. April 2001 ein Jugendlicher, Massinissa Guermah, nach Misshandlungen der Gendarmen gestorben war, gab es das ganze Frühjahr hindurch schwere Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und Sicherheitskräften. Zugleich demonstrierten Teile der Bevölkerung gegen die staatliche Repressionspolitik und die nach Ansicht der Protestierenden gezielte Vernachlässigung ihrer Region durch den Zentralstaat.

Die von den Aktivisten Protesta genannte Bewegung ist mittlerweile jedoch in der Defensive. Das Auftauchen der gemischten Kontrollposten aus Armee und Gendarmerie ist dafür nur ein Indiz. Am 21. Januar erklärte Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika in einer Rede, dass mit Regelverletzungen und »Angriffen auf öffentliche und private Güter« nunmehr Schluss sei. Anders als auf dem Höhepunkt der Unruhen im Frühjahr sind nunmehr auch in den Kernregionen der Kabylei Demonstranten festgenommen und inhaftiert worden.

Mehrere Prozesse haben bereits begonnen. Am Dienstag der vorigen Woche wurde in den beiden Regionalmetropolen Bejaïa und Tizi Ouzou die Urteilsverkündung in Prozessen gegen Demonstranten für den 19. bzw. 24. Februar angekündigt. Die Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafen zwischen sechs und 18 Monaten ohne Bewährung wegen Landfriedensbruchs, der Beschädigung öffentlicher Gebäude und unerlaubten Waffenbesitzes, denn bei einigen Angeklagten wurden Taschenmesser gefunden.

In Tizi Ouzou wird gegen zehn im Dezember festgenommene Jugendliche verhandelt. Die Beweise sind ausgesprochen dürftig, denn die Angeklagten wurden nicht während der Auseinandersetzungen, sondern später zu Hause oder im Krankenhaus festgenommen. Da die Verschiebung der Urteilsverkündung eine Verlängerung der Untersuchungshaft bedeutet, kam es nach der Richterentscheidung zu neuen Unruhen. Jugendliche bewarfen Bereitschaftspolizisten am Ausgang des Gerichts mit Molotow-Cocktails und griffen die Gendarmeriestation an.

Ein Großteil der Festnahmen, die zu den jetzigen Prozessen führten, erfolgte am 6. und 8. Dezember. Damals flammten die militanten Zusammenstöße in den Kernregionen der Kabylei erneut heftig auf. Anlass war ein offizielles Treffen einer Delegation vorgeblicher Vertreter der kabylischen Bewegung und des Premierministers Ali Benflis. Die Koordinationen, welche die Protesta anführen, erkannten diese Repräsentanten nicht an.

Die Verhandlungen mit den in Anspielung auf die gefälschten Markenfabrikate aus Ostasien gern als »Taiwan-Delegierte« bezeichneten Gruppen gehen derzeit weiter. Am Donnerstag der vergangenen Woche empfing Benflis eine 300 Personen starke Gruppe, die von Salim Alilouche und Arab Aïssa angeführt und als »die Delegation der dialogbereiten Kräfte der Kabylei« gehandelt wird. Ein Treffen der Delegation mit Präsident Bouteflika wurde in Aussicht gestellt, bei dem der Staatschef verkünden soll, welche Forderungen erfüllt werden. Erwartet werden Zugeständnisse an die berberische Sprache und Kultur, nicht aber eine Erfüllung der sozialen Forderungen, die in der Regel das eigentliche Motiv der Proteste sind.

In der Protestbewegung herrscht Verwirrung und Uneinigkeit über den politischen Charakter jener Kräfte, die sich auf solche Verhandlungen eingelassen haben. In einigen Fällen scheint es sich um Wasserträger des Regimes, wenn nicht sogar um staatliche Agenten zu handeln. So bezeichnete der vorgebliche Delegierte Belkacem Benaïssa am Tag vor der Einrichtung der Sperren von Militär und Gendarmerie öffentlich die Köpfe der Protesta als Schläger und Terroristen und forderte auf einer Pressekonferenz »ein Eingreifen aller Sicherheitsorgane in der Kabylei«.

In vielen Fällen aber haben Dissidenten der Bewegung sich auf die Logik eines solchen Dialogs eingelassen, weil die Situation in der Kabylei ihnen restlos festgefahren erscheint. Tatsächlich haben die Koordinationsgruppen seit Monaten unter Beweis gestellt, dass sie nicht fähig sind, die Stärke der Massenbewegung gezielt einzusetzen, um die Erfüllung konkreter Forderungen zu erreichen.

Stattdessen wurde auf die hundertprozentige Geltung der im Juni des vergangenen Jahres beschlossenen »Plattform von El-Kseur« gedrungen. Teile des damals verabschiedeten Textes sind jedoch, wie etwa die Forderung nach einem »sozialen und wirtschaftlichen Notstandsplan« für die Region, vage und erklärungsbedürftig. Die Koordinationsgruppen gaben sich einen »Ehrenkodex«, in dem Kontakte mit Vertretern des Regimes unter die Strafe der sozialen Verbannung aus der kabylischen Gesellschaft gestellt wurden.

Hingegen vertritt das von Gewerkschaftern und Marxisten geführte Comité populaire in Bejaïa, der mit 350 000 Einwohern und einem Ölhafen größten Stadt der Region, eine andere Strategie. Es hat einen politischen Forderungskatalog für Verhandlungen mit der Staatsmacht aufgestellt, die transparent geführt werden sollen. Als Reaktion auf das Dialogangebot der Regierung stellte das Comité populaire explizite Bedingungen, unter anderem die Freilassung aller inhaftierten Demonstranten und die Einstellung aller Verfahren.

Das Kernproblem besteht darin, dass vor allem in den ländlichen Regionen und im Raum Tizi Ouzou vormoderne Strukturen der kabylischen Gesellschaft wie die traditionellen Dorfversammlungen reaktiviert wurden. Obwohl jugendliche Aktivisten der Bewegung nun ein Rederecht erhielten, das früher den Älteren vorbehalten war, hat ein Teil der Führung die Bewegung in die Logik vorpolitischer Mechanismen zu lenken versucht (Jungle World, 38/01). Seit Monaten gehen das Comité populaire und die Koordinationsgruppen der übrigen Kabylei getrennte Wege.

Die Koordinationsgruppen des Raums Tizi Ouzou versuchten am Donnerstag vergangener Woche, der UN-Vertretung in Algier ein Schreiben zu überbringen, in dem sie fordern, Schritte gegen das »mörderische Regime« Algeriens einzuleiten. Wie bei einem ersten Versuch am 30. Dezember wurden ihre Delegierten von der Polizei abgedrängt, es kam zu mehreren Dutzend Verhaftungen. Das Comité populaire erklärte, einer solchen Hilfe »von außen« nicht zu vertrauen. Es lädt daher zu einer »nationalen Konferenz« ein, an der alle, vor allem auch nicht kabylische Kräfte, teilnehmen sollen, die gegen die soziale Misere des Landes protestiere