Ökologische Folgen der Nato-Angriffe

Bomben reichen nicht

Die ökologischen Folgen der Nato-Angriffe auf Jugoslawien gefährden die Bevölkerung.

Als im Frühjahr vor drei Jahren Nato-Kampfbomber nächtliche Luftangriffe auf Jugoslawien flogen, schossen sie auch Fabriken in der Kleinstadt Pancevo in Brand. Tagsüber sahen die aus den Trümmern aufsteigenden Rauchwolken vom nur 20 Kilometer entfernten Belgrad aus wie ein gewaltiger schwarzer Pilz, der in den Himmel wuchs. Heute strahlt wieder die Sonne. Tonnen von Rußpartikeln wurden von Regenschauern auf die Erde gespült oder vom Wind verweht.

Doch verschwunden sind die Gifte nicht. Aktuelle Berichte des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) weisen darauf hin, dass die ökologischen Schäden der insgesamt 17 000 Nato-Luftangriffe die Bevölkerung Jugoslawiens und seiner Nachbarstaaten noch jahrelang plagen werden.

Mit über 20 Angriffen auf Pancevo zerstörte die Nato drei petrochemische Industrieanlagen. HIP-Azotara stellte Kunstdünger und Ammoniak her. Im Kombinat HIP Petrohemija wurde Plastik produziert und in der größten jugoslawischen Raffinerie, NIS, Treibstoff. Nur eine weitere zerstörte Fabrik, Lula Utva, stellte Produkte her, die mit etwas Phantasie auch als Kriegsgeräte brauchbar sind: Kleinflugzeuge für die Landwirtschaft. Den Planern der Nato galten die Anlagen, die gut 400 Kilometer vom Kosovo entfernt liegen, aber als kriegswichtige »strategische Ziele«, insbesondere wegen der Treibstoffproduktion, wie sie der New York Times damals anvertrauten.

Bis heute weiß niemand genau, welche Substanzen mit den Rauchwolken in den Himmel verpufften oder aus den Industrieanlagen abflossen. Eine kurz nach dem Ende der Bombardements eilig zusammengetrommelte Balkan Task Force der UNEP besuchte im Juli 1999 Pancevo.

Die Ergebnisse der Öko-Blauhelme lesen sich wie die Etikettensammlung aus dem Giftschrank der Petrochemie. 2 100 Tonnen giftiges Äthylen-Dichlorid, 250 Tonnen flüssiges Ammoniak und acht Tonnen Quecksilber, das sich in der Nahrungskette anhäuft, liefen aus. Mit den bombardierten Anlagen verbrannten 80 000 Tonnen Ölprodukte und 460 Tonnen Vinylchloridmonomer (VCM). Dabei sind hochgradig toxische Substanzen wie Dioxine, das »Seveso-Gift«, entstanden.

Bereits vor den Angriffen erkrankten viele Arbeiter der Fabriken an einem »Pancevo-Krebs«, der insbesondere in der Leber auftritt. Ärzte machten dafür die hohe Belastung durch VCM verantwortlich. Sie ist nun weiter gestiegen. Einige Stunden nach dem heftigsten Angriff, am 18. April vor drei Jahren, führte das Belgrader Institut für Öffentliche Gesundheit Messungen durch. Sie stellten eine VCM-Belastung fest, die in Einzelfällen 10 600fach über dem in Jugoslawien erlaubten Grenzwert lag.

Hätte nach dem Angriff nicht ein Regen eingesetzt und wäre der Wind aus Nordwest gekommen, wäre die todbringende Wolke direkt über den zwei Millionen Belgradern niedergegangen. Doch das ist kein wirklicher Glücksfall. Jetzt landet das Gift häppchenweise mit dem Gemüse aus der landwirtschaftlichen Region um Pancevo in der Suppe der Hauptstädter.

Mitarbeiter des Belgrade Regional Environmental Centre for Central and Eastern Europe bemängeln, dass keine verlässlichen Zahlen über den zu erwartenden Anstieg von Krebskrankheiten vorliegen. Presseberichte deuten zwar darauf hin, dass es dazu bereits gekommen ist.

Doch den vorliegenden Statistiken kann man nicht trauen. Nicht nur weil die Krebsstation des Belgrader Krankenhauses mangels Geld teilweise arbeitsunfähig ist, sondern auch weil die Regierung unter Premier Zoran Djindjic wenig Interesse an der Aufklärung des Ausmaßes der Gesundheitsgefährdung hat. Sie fürchtet einerseits den dadurch entstehenden Handlungsdruck, mutmaßen Umweltaktivisten. Andererseits sollen die neuen Freundschaften, die Djindjic mit den erfolgreichen ehemaligen Kriegsgegnern geschlossen hat, nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Schließlich gibt es nach der offiziellen Lesart des Jugoslawienkrieges nur balkanische Kriegsverbrecher und keine, die im Nato-Hauptquartier saßen. Dabei gilt ein Angriff auf Industrieanlagen, der schwere Umweltschäden verursacht, nach dem Genfer Protokoll durchaus als Kriegsverbrechen, selbst wenn die angegriffene Anlage der Kriegsproduktion dienen sollte. Aber Carla del Ponte in Den Haag weigert sich, Ermittlungen aufzunehmen. Sie ist mit der Auslieferung ehemaliger jugoslawischer Spitzenpolitiker beschäftigt.

Immerhin hat die Unep mittlerweile eine permanente Mission nach Jugoslawien gesandt, die in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden das Schlimmste verhüten soll. In einem Report vom März berichten die Öko-Blauhelme, dass an den vier von der Umweltkatastrophe am stärksten betroffenen Orten - neben Pancevo sind das die bombardierten Industrieanlagen von Bor, Kragujevac und Novi Sad - mittlerweile mit den Aufräumarbeiten begonnen worden sei. Zwar fehlten immer noch zehn Millionen Dollar, um den Finanzbedarf von 20 Millionen zu decken, aber die Arbeit an ersten Projekten sei bereits begonnen worden.

Das Problem ist, dass es sich bei den Projekten lediglich um Aufräumarbeiten oder Aktionen handelt, die weitere Schäden verhindern sollen. Wie Felder und Gewässer mit zehn oder 20 Millionen Dollar entgiftet werden können, weiß niemand. Dafür kaufen sich Kommunalpolitiker deutscher Kleinstädte eine Kläranlage.

Die Ratlosigkeit zeigt auch ein anderer Bericht, den die Unep unter der Leitung des früheren CDU-Umweltministers Klaus Töpfer Ende März in Genf vorstellte. Der Studie zufolge befinden sich auch drei Jahre nach den Nato-Luftangriffen noch immer Partikel von Munition aus abgereichertem Uran (Depleted Uranium, DU) in der Luft.

»Die Unep-Studie in Serbien und Montenegro bestätigt, dass es eine weitgehende Kontamination an den Einschlagorten gibt«, erklärte Töpfer bei der Vorstellung des Berichtes. Neben der Verbreitung in der Luft ist die Grundwasservergiftung durch überraschend schnell korrodierende Geschosse die größte Sorge der Forscher. Die Nato hat bei ihren Angriffen nach eigenen Angaben 35 000 Projektile aus abgereichertem Uran abgefeuert. Jugoslawische Stellen sprechen sogar von 50 000 Projektilen.

DU wird als besonders hartes Metall, das beim Einschlag verbrennt, insbesondere für panzer- und bunkerbrechende Munition verwendet. Zahlreiche Experten machen es für Krebserkrankungen bei Menschen verantwortlich, die mit der Munition nach der Explosion in Kontakt kommen. Zuletzt hat im März selbst die Londoner Royal Academy eine Studie veröffentlicht, die vor den Gefahren des abgereicherten Urans warnt und ausdrücklich Sicherheitsmaßnahmen für die Nato Balkantruppen anmahnt.

Der renommierte jugoslawische Arzt Zoran Stankovic macht den Einsatz von DU gegen Stellungen der bosnischen Serben bei Sarajevo im Jahr 1994 für den Tod mehrerer Hundert Zivilisten verantwortlich, die nach direktem Kontakt mit kontaminiertem Material an Krebs gerstorben seien.

In jugoslawischen Medien wird immer wieder gemutmaßt, dass auch bei der Zerstörung des früheren Verteidigungsministeriums in der Belgrader Innenstadt Uranmunition verwendet worden sein könnte. An der Bushaltestelle vor der Ruine atmen die Passanten derzeit den Staub ein, der während der Aufräumarbeiten durch die milde Frühjahrsluft weht.