Chirac opponiert gegen die EU

Ein starker Franzose

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Seine angekündigten Steuersenkungen hätten Vorrang vor dem EU-Stabilitäts-pakt, bekräftigte der frisch im Amt bestätigte französische Staatspräsident Jacques Chirac in der vorigen Woche. Eine Herausforderung, auf die der französische Arbeitgeberverband und die EU-Kommission ebenso prompt wie harsch reagierten.

Auch der deutsche Finanzminister Hans Eichel schloss sich dieser Kritik an: »Die französische Regierung kann nicht damit rechnen, dass wir ihr auch nur den kleinen Finger reichen, um den Stabilitätspakt aufzuweichen«, erklärte er am Dienstag vergangener Woche. Bemerkenswert. Denn erst im März hatte Deutschland, dessen Staatsausgaben die in der Euroregion festgelegte Drei-Prozent-Marke zu überschreiten drohten, nur mit viel nationalistischem Getöse sowie der Beihilfe aus Paris eine Rüge der Kommission abwenden können.

Schon im Präsidentschaftswahlkampf hatte Chirac erklärt, dass er sich nicht an die EU-Vorgaben halten wolle. In seinem Programm ist erst für das Jahr 2007 ein ausgeglichener Haushalt vorgesehen - und nicht, wie von der EU beschlossen, für 2004. Anfang April erntete Chirac dafür auch die öffentliche Kritik des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg.

Dabei hatte Frankreichs damalige Doppelspitze, bestehend aus dem alten und neuen Präsidenten und dem Premierminister Lionel Jospin, noch auf dem EU-Gipfel von Barcelona im März dieses Jahres den Beschluss mitgetragen, das Haushaltsdefizit der Mitgliedstaaten bis 2004 auf Null zu reduzieren - die entsprechenden Auswirkungen auf die Staatshaushalte und die Sozialausgaben inklusive. Doch im Wahlkampf wollte Chirac derart unpopuläre Maßnahmen nicht vertreten, und auch jetzt scheint er Unmut in der Bevölkerung vermeiden zu wollen.

Die Steuersenkungen dürften vorwiegend der Mittel- und Oberschicht zugute kommen, bereits ab dem kommenden September sollen sie fünf Prozent weniger zahlen. Denn die indirekten Steuern, die jeder Einwohner unabhängig von seinem Einkommen entrichtet - wie die Mehrwertsteuer, die in Frankreich mit 20,6 Prozent über dem EU-Durchschnitt liegt -, will der Präsident nicht antasten.

Auch eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns steht, anders als bei den vorigen Präsidentschaftswahlen, nicht zur Debatte. Damals, vor seiner Wahl im Mai 1995, hatte Chirac soziale Reformen versprochen und eine andere EU-Währungspolitik gefordert. Versprechen, von denen er anschließend nichts wissen wollte. Das Gefühl, getäuscht worden zu sein, trug so wesentlich zu der bald darauf folgenden Streikwelle im öffentlichen Dienst bei.

Zwar könnte der Druck des Arbeitgeberverbands dafür sorgen, dass die Auflehnung des Präsidenten gegen die EU-Institutionen nur eine kurze Episode bleibt. Andererseits könnte Chirac seine Rolle als Kämpfer gegen Brüssel eine Zeit lang durchhalten, weil er sich als Einiger und Verteidiger der Nation profilieren will. Denn seinen Wahlsieg hat er vor allem seinem Konkurrenten Jean-Marie Le Pen zu verdanken. Die Mehrheit der für Chirac abgegebenen Stimmen waren keine Stimmen für ihn, sondern solche gegen den Rechtsextremisten.

Zugleich versucht Chirac, die Wähler Le Pens anzusprechen. Und dieses Publikum ist über Steuersenkungen ebenso erfreut wie über Kritik an der EU und deren Institutionen. Gut gefallen dürfte ihm auch die Ankündigung der von Chirac eingesetzten Übergangsregierung, künftig die einst zur Deeskalation in den Banlieues gegründete »Nachbarschaftspolizei« mit Gummigeschossen auszurüsten.