Neuerscheinungen zum 11. September

Die nackte Rakete

Thierry Meyssan legt eine neue Verschwörungstheorie über den 11. September vor.

Zahlreiche Verschwörungstheorien ranken sich um die Attentate des 11. September 2001. Die CIA, »die Juden« oder der Mossad gehören bei jenen, die die offizielle Darstellung vom Tisch wischen, zu den am häufigsten der Urheberschaft Verdächtigten.

Der US-amerikanische rechtsextreme Multimillionär Lyndon LaRouche, ein Spezialist für wüste Komplottthesen, verbreitet, es habe sich um einen Putsch von Militärs und Geheimdienstlern gegen die amtierende US-Administration gehandelt. In Internetforen ultraorthodoxer Kommunisten Frankreichs und Belgiens, etwa des belgischen Parteikommunisten Roger Romain, wird diese »Information« herumgereicht, als stamme sie aus einer glaubwürdigen Quelle.

In den USA selbst sind Komplotttheorien seit langem ein fester Bestandteil der ideologischen Landschaft, und viele Bürger trauen ihrer Bundes- oder einer ominösen »Weltregierung« - welche ihre Regierenden mittels der Uno errichtet hätten - ohnehin alle Übel zu. Die rechtsextremen und anti-bundesstaatlichen Milizen in vielen Regionen gedeihen auf dieser Grundlage. Umgekehrt sind aber auch viele Nordamerikaner wegen dieser langen Tradition in gewisser Weise »immunisiert« gegen solcherlei Weltverschwörungsthesen; kennt man schon, dankend winkt man ab.

Die Thesen des Franzosen Thierry Meyssan, des vielleicht prominentesten Vertreters von Komplottthesen zum 11. September außerhalb der USA, haben vielleicht deswegen in Nordamerika wenig Aufsehen hervorgerufen. Jedenfalls gibt es keine offiziellen Reaktionen, allerdings sollen zwei Drittel der Zugriffe auf Meyssans Website im Internet aus den USA erfolgen. In Europa hingegen hat der Autor bereits in der Woche nach dessen Erscheinen 100 000 Exemplare des Buchs über den »furchtbaren Schwindel« (»L'effroyable imposture«) abgesetzt, trotz ausschließlich negativer Kritik in der gesamten Presse (Jungle World, 16/2002). Auch in Teilen der arabischen Welt, wo Verschwörungsideen ebenfalls gern zur Welterklärung herangezogen werden, steht Meyssan hoch im Kurs.

So durfte er am 8. April dieses Jahres in Abu Dhabi, einer ultrareaktionären Golfmonarchie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, auf einer Konferenz »unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga« sprechen. Bei dieser Gelegenheit schüttelte er gleich eine neue Theorie aus dem Ärmel und widerlegte sich selbst. Es sei kein Flugzeug am 11. September auf das Pentagon gestürzt, hatte Meyssan in »L'effroyable imposture« behauptet, sondern ein mit Sprengstoff beladener LKW sei gegen das US-Verteidigungsministerium gesteuert worden, um einen Anschlag nur vorzutäuschen. Alles falsch, meinte Meyssan nunmehr in Abu Dhabi, in Wirklichkeit sei es nämlich eine Rakete gewesen. Die US-Militärs hätten einen Marschflugkörper auf ihr Ministerium abgefeuert, um eine Flugzeugattacke zu fingieren.

Die Raketenthese steht auch im Mittelpunkt seines neuesten Buches »Le Pentagate«, das großspurig auf die Enthüllung des Watergate-Skandals anspielt. Entwickelt wird die Theorie vom Marschflugkörper, der ins Pentagon gedonnert sei, vom ehemaligen Offizier Pierre-Henri Bunel, den Thierry ein zentrales Kapitel hat schreiben lassen.

Bunel wurde 1998 aus der französischen Armee gefeuert und später zu mehrjähriger Haft verurteilt, weil er im Brüsseler Hauptquartier der Nato vertrauliche Informationen an serbische Agenten weitergegeben haben soll. Sein Beweggrund waren nationalistische Sympathien für den traditionellen Bündnispartner Frankreichs in Südosteuropa, die damals von vielen Rechten geteilt wurden.

Dass der bisher als linksliberal geltende Meyssan sich bereits für sein erstes Buch zum 11. September auf die Zuarbeit von politisch höchst zweifelhaften Leuten verlassen hat, versuchten die beiden Journalisten Guillaume Dasquié und Jean Guisnel in ihrem Gegenbuch »L'effroyable mensonge« (Die furchtbare Lüge) zu belegen.

Zu jenen, die Meyssan inspirierten, zählen demnach auch rechtsextreme Intellektuelle oder Ideologen. Einer von ihnen ist Emmanuel Ratier. Er publiziert regelmäßig in Organen des neofaschistischen Front National. Und ist nach eigener Einschätzung der geistige Erbe des im vergangenen Jahr in hohem Alter verstorbenen Verschwörungsideologen Henry Coston, dessen Archive er übernommen hat.

Coston war bereits in den dreißiger Jahren einer der führenden antisemitischen Ideologen in Frankreich, er korrespondierte mit den Medien NS-Deutschlands und leitete später unter dem Vichy-Regime ein »Dokumentationszentrum über freimaurerische Umtriebe«. Ein weiterer Zuträger von Meyssan war demnach Stéphane Jah, ein ehemaliger Militär und passionierter »Experte« für Geheimdienste, er unterhält eine Webpage mit zahlreichen Informationen über nachrichtendienstliche Aktivitäten. Jah bestätigte den Autoren Dasquié und Guisnel, im Frühherbst des Jahres 2001 sowohl mit Ratier als auch mit Meyssan zusammengearbeitet zu haben. Ebenfalls ein bekennender Ideengeber Meyssans war der leicht versponnene Polizist Hubert Marty-Vrayance, ein Kommissar bei den Renseignements Généraux, der französischen politischen Polizei.

Dasquié und Guisnel greifen Meyssan keineswegs deswegen an, weil sie den US-geführten »Krieg gegen den Terror« unterstützen möchten. Beide sind als Journalisten in ein geheimdienstliches Milieu eingeführt - Guillaume Dasquié leitet die Zeitschrift Intelligence Online, die sich mit Nachrichtendiensten beschäftigt -, spielen dabei aber mit offenen Karten.

Dasquié ist, zusammen mit seinem Kollegen Jean-Charles Brisard, der Autor eines auch auf Deutsch erschienenen Buchs mit dem Titel »Die verbotene Wahrheit«, das eine Reihe brauchbarer Informationen über frühere Kontakte zwischen der US-Administration und dem Islamisten Ussama bin Laden enthält. In ihm wird die These herausgearbeitet, die USA hätten bin Laden erst unterstützt, bevor dieser aus dem Ruder gelaufen sei. Insofern haben sie auch öffentliche Kritik an der Politik der USA, vor allem aber am US-Verbündeten Saudi-Arabien formuliert.

Thierry Meyssan galt bis vor kurzem als unverdächtig, Angehörigen der extremen Rechten nahe zu stehen, da er mit seinem Réseau Voltaire, einem Netzwerk für Investigativjournalismus und Enthüllungen, eher antifaschistische Informationsarbeit betrieb.

Die gemeinsame Überzeugung, auf geniale Weise einer gigantischen Verschwörung auf der Spur zu sein, eine verkürzte Kritik an der internationalen Rolle der USA und eine Menge Selbstüberschätzung haben Meyssan und rechtsextreme Ideologen jetzt einander näher gebracht. Ein Links-Rechts-Crossover vor dem Hintergrund der »furchtbaren Lüge« ergibt eine furchtbare Mischung.

Guillaume Dasquié / Jean Guisnel: L'effroyable mensonge. La Découverte, Paris 2002, 120 S., 11 Euro
Thierry Meyssan: Le Pentagate. Verlag Carnot, Chatou 2002, 182 S., 12 Euro