Neue Bündnisse vor den Parlamentswahlen

Sechs Patrioten und ein Technokrat

Der Kampf um die Präsidentschaft schafft in Serbien neue politische Konstellationen.

Wie in Deutschland können auch in Serbien die Stimmberechtigten in diesem Monat zwischen zwei Übeln wählen. Ein neuer patriotischer Block tritt am 29. September gegen neoliberale Technokraten zur Wahl an. Nachdem das Bündnis zum Sturz Slobodan Milosevics im Machtkampf zwischen dem prowestlichen serbischen Premier Zoran Djindjic und dem national-konservativen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica zerfallen ist, sucht letzterer nun bei den Präsidentschaftswahlen die Machtprobe. Er fordert den Wirtschaftsprofessor Miroljub Labus von Djindjics Demokratischer Partei (DS) heraus. So kommen auch die Rechtsextremisten und die Sozialisten wieder ins Spiel, denn Kostunica benötigt ihre Unterstützung im zweiten Wahlgang.

Mit scharfen Angriffen auf Djindjic und Labus gab Kostunica in der vergangenen Woche den Ton im Wahlkampf an. Insbesondere im Dauerstreit um die neue Verfassung versucht er sich zu profilieren. Nach seinen Vorstellungen soll der Jugoslawien ablösende neue Bundesstaat »Serbien und Montengro« möglichst einheitlich sein. Djindjic dagegen wolle das Land weiter zersplittern, behauptet Kostunica. Falls er Präsident werde, wolle er dem entgegentreten, Neuwahlen für das Parlament ausrufen und Djindjics Regierung stürzen.

Mit seinen Angriffen schafft Kostunica eine politische Konstellation, in der sich der ehemalige Frontmann der von Djindjic gegründeten Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) immer mehr den rechtsextremen Parteien und den Relikten der zerfallenen Sozialistischen Partei (SPS) annähert. Vor allem wenn es am 13. Oktober zu einem zweiten Wahlgang der beiden am besten platzierten Kandidaten kommt, aller Voraussicht nach Kostunica und Labus, denen jeweils etwa 30 Prozent vorausgesagt werden, dürfte das deutlich werden.

Der Führer der Serbischen Radikalen Partei (SRS), Vojislav Seselj, dem für den ersten Wahlgang bis zwölf Prozent prognostiziert werden, hat bereits angekündigt, seine Wähler für Kostunica zu mobilisieren. Auch Borislav Pelevic, Kandidat der Partei der Serbischen Einheit (SJJ), dem fünf Prozent vorausgesagt werden, hat klargemacht, dass Kostunica sein Mann für die zweite Runde ist. Die Wähler der mittlerweile zersplitterten sozialistischen Partei SPS werden ohnehin für Kostunica votieren, der sich immerhin vehement gegen die Auslieferung des ehemaligen Präsidenten nach Den Haag wehrte.

Beim neuen Block der Patrioten handelt es sich eher um eine Wahlverwandtschaft als um eine Zweckgemeinschaft. Denn der Sturz Milosevics im Oktober vor zwei Jahren gelang Kostunica hauptsächlich, weil er sich als der bessere Kämpfer für die Nation darstellen konnte. Dass er damit überzeugte, hatte er seinem nationalistischen Image zu verdanken. Kostunicas politische Karriere begann 1974, als er von der Jurafakultät der Belgrader Universität relegiert wurde. Er hatte eine Verfassungsreform, die die Position der föderalen Republiken erheblich stärkte, als »titoistisches Komplott gegen das Serbentum« gegeißelt. Genau dieser in serbischen Intellektuellenkreisen verbreiteten Argumentation folgte das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften, das 1986 zum Manifest des von Milosevic instrumentalisierten neuen serbischen Nationalismus wurde.

Die von Kostunica 1992 gegründete Demokratische Partei Serbiens (DSS) brandmarkte Milosevic als Verräter, weil er im Herbst 1995 im Abkommen von Dayton den serbischen Teil Bosniens aufgab und im Sommer desselben Jahres die Serben in der Krajina nicht gegen die Vertreibung durch die kroatische Armee verteidigte. Kurz vor dem Beginn der Nato-Bombardements ließ sich Kostunica mit einer Kalaschnikow im Arm im Kosovo fotografieren. Die Gemeinsamkeiten mit den rechtsextremen Nationalisten sind also zahlreich, denn diese argumentierten ähnlich gegen Milosevic, auch wenn sie zeitweilig an seiner Regierung beteiligt waren. »Programmatisch gibt es kaum Differenzen«, meint etwa der Belgrader Journalist Dragomir Olujic. »Die Unterschiede liegen eher in der Repräsentation.«

Sie ist allerdings tatsächlich grundverschieden. Während Kostunica gern mit einem orthodoxen Popen an der Seite auftritt, sorgt Seselj regelmäßig für Saalschlachten im Parlament. Im Bosnienkrieg organisierte seine Partei, die sich jahrelang in Milosevics Regierungskoalition befand, paramilitärische Truppen. Mit seinen beiden besten ausländischen Verbündeten, Jean-Marie Le Pen aus Frankreich und dem russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowsky, stimmt Seselj einerseits im antimuslimischen Rassismus und andererseits im panslawistischen Antiliberalismus überein.

Während Seselj mit seiner Truppe deklassierte Schichten anspricht, steht Borislav Pelevic von der SJJ für einen disziplinierteren Stil. Seine Partei war vom Anführer der Fußballhooligans von Roter Stern Belgrad und späteren Paramilitär und Unterweltboss, Zeljko »Arkan« Raznatovic, gegründet worden, der vor zwei Jahren erschossen wurde. Pelevic prahlt beim Stimmenfang mit seiner Vergangenheit als Kommandant von Arkans Verbänden im Bosnienkrieg: »Ich bin sehr stolz auf meine Rolle als Tiger. Wir waren die disziplinierteste Truppe.« Außerdem ist er Vorsitzender der serbischen Assoziation der Kickboxer.

Ein älteres und jugonostalgisches Publikum spricht dagegen der Kandidat der größten Gruppierung innerhalb der SPS an. Gegen die Empfehlung Milosevics, der zur Unterstützung Seseljs aufruft, hat diese Gruppe Velimir Zivojinovic nominiert. Der mit dem Kosenamen »Bata« bedachte Schauspieler spielte in Dutzenden Partisanenschinken der Tito-Zeit den verwegenen Kämpfer gegen die deutschen Besatzer und die kroatischen Faschisten der Ustasha. Im wirklichen Leben konvertierte er vom Kommunismus zum serbischen Patriotismus. Trotz seiner Ankündigung, im Falle eines Wahlsieges mehr als 100 Milliarden Dollar als Schadensersatz für die Bombardements von 1999 zu fordern, wird »Bata« wohl nur fünf Prozent der Wähler für sich gewinnen können.

Mit ähnlichen Ergebnissen dürfen zwei weitere Teilnehmer am patriotischen Kandidatenreigen rechnen, Vuk Draskovic von der Serbischen Erneuerungsbewegung und Velimir Ilic vom Neuen Serbien. Draskovics Glanzzeiten als königstreuer Volkstribun sind seit seinem Eintritt in Milosevics Regierungskoalition vorbei. Der Lokalfürst Velimir Ilic kann mit der Unterstützung der royalistischen Tschetnik-Hochburg Cacak in Zentralserbien rechnen, von der aus er am 5. Oktober 2000 einen Konvoi zum Sturz Milosevics organisierte. Nationale Bedeutung hat Ilic nicht.

Ob es Kostunica gelingt, mit Hilfe der fünf Patrioten zum neuen Präsidenten zu werden? In den vergangenen Monaten litt seine Popularität unter den zahlreichen Ränkespielen in der Auseinandersetzung mit Djindjic. Mittlerweile ist aus dem Saubermann in den Augen der meisten Serben einfach nur ein normaler Politiker geworden. Labus dagegen betont, er sei eigentlich gar kein Politiker, sondern nur ein Wirtschaftsexperte und setzt sich damit taktisch von Djindjic ab. So könnte nicht nur der nationale, sondern auch der entpolitisierte Populismus der liberalen Wirtschaftstechnokraten in Serbien noch eine Chance bekommen.