Negerkult, Rassismus und Faschisierung

Konstruktion monströser Körper

Am 7. November startet im NS-Dokumentationszentrum Köln die Ausstellung »Besondere Kennzeichen: Neger. Schwarze im NS-Staat«. Sie zeigt die Ausbreitung des gegen Schwarze gerichteten Rassismus in der Weimarer Republik und im NS. Die Forcierung rassistischer Diskurse in den kulturellen und politischen Kampagnen der Weimarer Rechten untersucht Jost Müller in seinem Beitrag.

»Zwischen zwei Küssen sagte sie zu ihm: 'Juju, mein schwarzer Prinz, ich bin stolz auf dich! Ja, stolz darauf, dass du schwarz bist.' Wirklich, sie kam sich sehr interessant vor. Augenblicklich waren die Neger modern. Ihre Musik, ihre Skulptur, ihre Tänze beschäftigten vorübergehend die oberflächlichen Zehntausend der Gesellschaft.« Im Paris der zwanziger Jahre führt Claire Goll ihre Figuren, Jupiter Djilbuti, den Kabinettschef im Kolonialministerium, und Alma Valery, die 18jährige Ingenieurstochter, zusammen und zur Ehe. Der Roman Der Neger Jupiter raubt Europa erschien 1926 zuerst im Baseler Rhein- und dann im Berliner Ullstein-Verlag.

Die Liebesgeschichte hätte sich ebenso gut, freilich ohne Kolonialministerium, in einem der urbanen Zentren der Weimarer Republik, etwa in Berlin oder in München, darstellen lassen. Mitte der zwanziger Jahre war es auch hier in Mode gekommen, sich mit Schwarzen zu umgeben, Charleston zu tanzen, die Wohnung im vermeintlich afrikanischen Stil einzurichten, sich demgemäß zu kleiden und entsprechende Kunst zu sammeln. In Konzertsälen, Theatern und Bars spielten schwarze Musiker; Sam Wooding und Duke Ellington etwa. Josephine Baker kam 1927 mit ihrer Band nach Berlin. Der Star verkörperte den Typus der modernen, selbstbewussten Frau und mehr noch eine neue, im Tanz beweglich gemachte Modernität. Ihr Kurzhaarschnitt wurde imitiert, und sonnengebräunte Haut avancierte zum neuen Schönheitsideal.

Aporien der Kultur

Nimmt man Golls Roman als Symptom, so wird klar, dass der modische, sich in snobistischem Lebenswandel äußernde wie in der Vergnügungsindustrie angesiedelte Negerkult gegen rassistische Anfeindungen kaum etwas auszurichten vermochte. Auch avantgardistische Kunst und Literatur, Kubismus und Expressionismus, Zürcher Dada und Pariser Surrealisten waren gegen entsprechende Anfechtungen keineswegs gefeit. Wo die Künstler die von ihnen hergestellte Spannung zwischen so genannter primitiver Form und technisch avancierten künstlerischen Mitteln, durch die sie den akademischen Kunstbetrieb zum Tanzen zwangen, selbst wieder abbauten, und wo sie mit ethnologischen Anleihen die »Kultur der Primitiven« ungebrochen gegen die mechanische Zivilisation und das operationelle Denken aufboten, um den Vorstoß ins zugleich ursprüngliche und absolute Leben zu preisen, glitten sie unweigerlich in Mystifikationen ab. Diese hatte ihnen allerdings eher die Kolonialgeschichte als das so gepriesene Leben an die Hand gegeben. In der Verherrlichung mythischer und kultisch-religiöser Rituale schließlich konnten Rassisten umso leichter ihre Ressentiments spiegeln. Zumindest Claire Goll, selbst in dadaistischen und surrealistischen Kreisen unterwegs, hatte wohl diese Aporie avantgardistischer Kunst und Literatur wie ihre modischen und kulturindustriellen Sedimente vor Augen, als sie den Roman schrieb.

Nachdem Alma sich während eines Theaterbesuchs diskriminierenden Äußerungen ausgesetzt sieht, schwindet in kürzester Zeit der Stolz auf den schwarzen Ehemann. Als »blonde Negerin« bezeichnet, verliert sie ihr Faszinosum, an dessen Stelle tritt die Abscheu vor dem »Neger Jupiter«. Ihre Liebe verwandelt sich in Hass. Jupiter selbst, der Stigmatisierte und gesellschaftlich Diskriminierte, ist jedoch ebenfalls keine zur Identifikation einladende, positive Figur. Befangen in eifersüchtigem Narzissmus, getrieben von Besitz- und Herrschaftsansprüchen, auch gegenüber der gemeinsamen Tochter, wird er schließlich zum Mörder, der nach begangener Tat die Zuflucht in »heiligen Riten« sucht. Diese Figurenkonstellation drückt nicht nur die ironische Distanz der Autorin zum modischen Negerkult aus, sondern demonstriert die vorherrschenden dualistischen Konstrukte der Subjektivation, schwarz oder weiß, männlich oder weiblich, rational oder emotional, zivilisiert oder primitiv. Die Figuren jedenfalls bleiben ihnen letztlich verhaftet. Ihre Konstellation aber dient vor allem dazu, den Umschlag des vermeintlich Zivilisierten und Rationalen in den modernen Aberglauben an Wahrsagerei und den Verlust an Realitätswahrnehmung vorzuführen und die Klischees des Natürlichen, Primitiven, Vitalen und Irrationalen als gefährliche soziale Projektionen auszuweisen. Gesteuert von ihrem Wahrnehmungsverlust wird Alma zur Protagonistin quälerischer Verhaltensweisen, etwa wenn sie ihren Mann zur Jahrmarktsbude »Negro down« zerrt; gefangen in den Projektionen wird Jupiter zu einer monströsen Gestalt.

Zugegeben, es handelt sich um literarische Figuren, deren Spiel weniger gefahrvoll ist. Beide Aspekte weisen jedoch über die literarische Fiktion hinaus auf den gesellschaftlich-politischen Kontext. Golls kleiner Roman deutet auf dem massenkulturellen Höhepunkt des modischen Negerkults, 1926, auf die durch ihn verdeckten Mechanismen hin. Sie waren jener Verbreitung des Rassismus dienlich, die von der Weimarer Rechten, nicht zuletzt von den faschistischen Organisationen und ihrem Terror, forciert wurde.

Imaginäre Repräsentanz und Wahrnehmungsverlust

Im aufgezeichneten Feld aus Wahrnehmungsverlust und Projektion entfaltet die rassistische Propaganda ihre Wirkungen. Tatsächlich zieht sie durch ihre Konstrukte, die die Spaltung in das Eigene und das Fremde, in das chimärische Selbst und die Anderen stützen sollen, die Wahrnehmung von der realen Präsenz der Stigmatisierten und Diskriminierten ab, um deren imaginäre Repräsentanz auszubauen und aufzuladen. Um diese Verschiebung von der realen Präsenz zur imaginären Repräsentanz zu begreifen, ist es allerdings nicht hinreichend, die Konstrukte als solche des Rassenwahns zu charakterisieren. Denn dies bedeutete lediglich eine andere Bezeichnung für das zu verwenden, was bereits als Wahrnehmungsverlust und Projektion angesprochen wurde. Geht es vielmehr um die sozialen Wirkungen dieser Konstrukte, so kommen ihre diskursive Organisation, die mit ihnen verbundenen Diskriminierungspraktiken und die administrativen Strategien in den Blick, wie sie die besondere gesellschaftliche Situation bestimmen und das soziale Leben durchziehen.

Umfangreiches Anschauungsmaterial zur Verbreitung des gegen Schwarze gerichteten Rassismus im Faschisierungsprozess zur Zeit der Weimarer Republik und im Faschismus an der Macht liefert die Ausstellung »Besondere Kennzeichen: Neger. Schwarze im NS-Staat« im NS-Dokumentationszentrum Köln. Sozialgeschichtliches Material, das von den alltäglichen Lebensumständen bis zu den administrativen Abläufen der Verfolgungsgeschichte reicht, findet sich bereits in einigen Büchern dokumentiert und analysiert. Zu nennen wären die Autobiografie Destined to Witness des 1926 in Hamburg geborenen Hans J. Massaquoi, (deutsch:»Neger, Neger, Schornsteinfeger!«, 1999), Katharina Oguntoye (Eine afrodeutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, 1997), Fatima El-Tayeb (Schwarze Deutsche. Der Diskurs um »Rasse« und nationale Identität 1890-1933, 2001) sowie Reiner Pommerin (»Sterilisierung von Rheinlandbastarden«. Das Schicksal einer farbigen deutschen Minderheit 1918-1937, 1977). Anhand zweier Aspekte, der kulturellen und der politischen Forcierung des rassistischen Diskurses, denen auch in der Ausstellung »Besondere Kennzeichen: Neger« breiterer Raum gewidmet ist, können diskursive Organisation und Diskriminierungspraktiken des gegen Schwarze gerichteten Rassismus im Faschisierungsprozess beleuchtet werden.

Die kulturelle Propaganda der Weimarer Rechten

Der erste Aspekt bezieht sich auf den Bereich des Kulturbetriebs im engeren Sinn, insbesondere aif die bereits angesprochene Begeisterung für Jazzmusik, die zu einem zentralen Kampagnenziel konservativer, völkischer und faschistischer Kulturpolitik wurde. Als in den Jahren 1927 und 1928 die Oper »Jonny spielt auf!« des Komponisten Ernst Krenek an nahezu 50 Spielstätten zur Aufführung kam, wurde sie zum bevorzugten Angriffsobjekt der Weimarer Rechten. Krenek arbeitete entsprechend dem neusachlichen Programm der Entromantisierung Geräuschelemente wie die von ein- und ausfahrenden Zügen oder von klingelnden Telefonen ebenso ein wie Material der modischen Tanzmusik und nicht zuletzt des Jazz. Die Titelfigur Jonny, der schwarze Musiker, spielt mit entwendeter Geige der Menge, einer Art Weltbevölkerung, den Jazz. Die Oper endet in der amerikanistischen Apotheose, die weder über Amerika noch über Europa etwas auszusagen vermag. »Es kommt die neue Welt übers Meer gefahren und erbt das alte Europa durch den Tanz!« Der Schlusschor beschwört die neue Einheit der Welt, die durch die Tanzmusik zusammengehalten wird.

Die Oper war von Krenek keineswegs politisch gemeint, entwarf sie doch ein sentimentales Bild der Völkerverständigung. Dieses Bild kam wohl eher der entpolitisierten Bewusstseinslage der neuen Angestelltenmassen entgegen, nämlich der »Furcht, sich bis zum Ende durchzufragen«, wie Siegfried Kracauer sie charakterisierte. Politisch wurde »Jonny spielt auf!« erst durch die Kampagnen der Rechten. Sie sahen in dieser Oper nicht nur ihre Ahnungen vom Kulturverfall bestätigt, von der Entweihung der Oper des Sakralgebäudes bürgerlicher Publikumskultur, durch die Klänge des Tanzbodens, sondern klammerten sich auch an die Titelfigur. Sie wird zum Sinnbild der rassistischen Aufladung: »Das Symbol der neuen Kulturepoche ist der Nigger in Kreneks 'Jonny spielt auf', der den Weißen die Melodien zum Tanze fiedelt und auf der Bühne weiße Mädchen küsst«, heißt es 1929 bei den Völkischen.

Der Vorgang dieser Aufladung ist von entscheidender Bedeutung für die Ausbreitung des Rassismus. Hierzu bedarf es keiner Schwarzen. Sie spielt sich ganz in deren imaginärer Repräsentation ab. Begleitet aber wird sie zudem von tätlichen Störversuchen der Nazis bei der Münchner Erstaufführung der Oper und von einer publizistischen Vernetzung zur Verhinderung weiterer Aufführungen. Aus der Opernfigur Jonny wird durch die Kampagne ein monströser Körper für das rassistische Bedrohungsszenarium, das eben nicht auf die vermeintliche kulturelle Überforderung durch einen Modernisierungsschub in der Weimarer Republik zurückzuführen ist, sondern umgekehrt Überforderung erst produziert, um sie politisch zu kanalisieren. Kreneks Erfolgsoper ist hier nur ein herausgehobenes Beispiel für diese Aufladung im Imaginären, sie konnte jedes Produkt und jedes Moment des modischen Negerkults treffen. Und auf dieser Ebene der Wahrnehmung wird auch die Verknüpfung zwischen dem gegen Schwarze gerichteten Rassismus und dem Antisemitismus hergestellt. Im preußischen Landtag heißt es dann 1930 aus den Reihen der Deutschnationalen Volkspartei über die Entwicklung zeitgenössischer Kunst, sie müsse als »jüdisch-negerische Epoche der preußischen Kunst« bezeichnet werden.

Politische Kampagne und faschistische Forcierung

Die Nazis haben diese Verknüpfung von Anfang an evoziert. Mit Bezug auf die nationalistische Kampagne gegen die Rheinlandbesetzung von 1919 durch französische und belgische Truppen, denen zunächst auch Kontingente der Kolonialarmee angehörten, intervenieren sie unentwegt in dieser Richtung. In Hitlers Mein Kampf wird 1924 explizit behauptet, es seien die Juden, die »Neger an den Rhein bringen«, um die »weiße Rasse zu zerstören«. Die Kampagne lieferte das ideale Terrain für die faschistische Forcierung des herrschenden Diskurses. Sie wurde 1920 im politischen Spektrum von der Weimarer Rechten bis zur Mehrheitssozialdemokratie gemeinsam getragen. Wenn der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert in diesem Kontext die »Verwendung farbiger Truppen niederster Kultur über eine Bevölkerung von der hohen geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung der Rheinländer« als eine »herausfordernde Verletzung der Gesetze europäischer Zivilisation« bezeichnete, setzte er unmittelbar die antifranzösische Kriegspropaganda fort. Die Kampagne hatte jedoch einige entscheidende Verschiebungen der Akzente zur Folge, die sie von der Kolonialpolitik unterschieden und die in der NS-Propaganda wiederkehren. Zum einen erscheint hier - anders als im kolonialen Diskurs - das Phantasma des »schwarzen Negers« als das einer herrschenden Gestalt, zum anderen wird die politische Propaganda sexualisiert, indem vornehmlich schwarze Soldaten als Lustmörder, Vergewaltiger und »schauerliche Gefahr« für weiße Frauen und Kinder dargestellt werden.

Unter dem Begriff »Schwarze Schmach« beginnt ein rassistischer Reklamefeldzug, an dem staatliche Institutionen wie private Organisationen beteiligt sind und der sich aller nur erdenklicher Medien von der Münze über die Postkarte bis zum Spielfilm bedient. Er bildet ohne Zweifel die Grundlage für die Propaganda gegen die »Verniggerung« der Kultur, die den modischen Negerkult wie nichts in sich zusammensacken ließ. Der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg stellt genau diese Verbindung zur Rheinland-Kampagne her, wenn er die Kultur der Weimarer Republik denunziert: »Berlin wird erobert. Nicht von Juden allein, sondern von Mulatten und Niggern«, die »weiße Frauen auf der Bühne peitschen« und »schwarz-weiße Liebesszenen« spielen, »während am deutschen Rhein die Mulattisierung als fremdes Regierungssystem betrieben wird«. Mit dem Ende der Rheinlandbesetzung im Jahr 1930 waren derartige kulturelle und politische Kampagnen der Nazis nicht beendet. Auch nach der Machtergreifung trieben sie diese weiter, um die Volksgemeinschaft durch Szenarien ihrer vermeintlichen Bedrohung zusammenzuschweißen, etwa in den Ausstellungen über »entartete« Kunst und Musik (1937-38).

Im Hintergrund dieser öffentlichen Kampagnen vollziehen sich die administrativen Strategien zur Erfassung und Verfolgung der »farbigen Minderheit« in Deutschland. Bereits in der Weimarer Republik schicken sich seit spätestens 1923 Regierungsstellen an, die als »Rheinlandbastarde« stigmatisierten Kinder zu registrieren. Nach 1933 wird verstärkt nach ihnen gefahndet. Begehrlichkeiten von Medizinern, Rassenforschern und Rassenhygienikern richten sich auf diese Minderheit, die ihnen das Untersuchungsmaterial liefern soll. 1937 wird mit der Einrichtung der Gestapo-Sonderkommission 3 das Programm zur Zwangssterilisation gestartet. Die in den kulturellen und politischen Kampagnen inszenierten Bedrohungsszenarien stellen vorher bereits die ideologischen Motive zur Verfügung, die der rassistische Staat exekutiert. Sie wirken über ihn hinaus. Im historischen Gedächtnis zumal sind die damaligen Konstrukte, die monströsen Körper und die Phantasmagorien der Minderwertigkeit noch immer präsent, und in jedem aktuellen Bedrohungsszenarium können sie in erneuerter Konfiguration virulent gemacht werden. Sicher ist, die gegenwärtige europäische Rechte schreckt in ihren Kampagnen davor nicht zurück.