Die Sommerliebe verblüht

Jürgen Klinsmann könnte neuer Trainer der US-Nationalmannschaft werden. In Deutschland vermisst ihn ohnehin niemand mehr. von alex feuerherdt

Ende Oktober schien es bereits sicher: Jürgen Klinsmann, der im Sommer »die deutsche Fahne zum Kassenknüller werden« ließ und »die Nationalhymne zum Schlager« machte (Die Welt), wird neuer Coach des Fußballnationalteams der USA. Inzwischen ist seine Verpflichtung zwar wieder fraglich geworden. »Wir haben weder ein Angebot gemacht noch eine Entscheidung getroffen«, sagte US-Verbandspräsident Sunil Gulati. Doch sollte es noch zu einem Engagement des 42jährigen kommen, würde das in Deutschland die meisten offenbar weder überraschen noch sonderlich schmer­zen.

Diese Gelassenheit verwundert auf den ersten Blick schon. Gab es kurz nach dem Turnier nicht noch allerlei Versuche, den in den Rang eines Fußballmessias erhobenen Weltmeister von 1990 un­be­dingt zum Bleiben zu bewegen? Wurden zu diesem Zweck nicht zahllose Unterschrif­ten gesammelt und öffentliche Appelle verfasst?

Mittlerweile ist das »Sommermärchen« allerdings vorbei und erlebt sein Revival gerade in den Kinos, während es Klinsmanns Nachfolger Joachim Löw gelungen ist, »aus dem Schatten seines Vorgängers herauszutreten« (kicker) und die DFB-Auswahl ohne größere Reibungsverluste auf Erfolgskurs zu halten. »Viele haben gezweifelt, ob es auch ohne Klinsmann funktioniert«, sagte der Bremer Nationalspieler Per Mertesacker kürzlich.

Doch diese Bedenken haben längst ein Ende. »Vier Monate nach der WM gibt es eigentlich niemanden mehr, der Klinsmann noch vermisst«, befand der Tagesspiegel und konnte dem eigentlich nur Positives abgewinnen: »Während Klinsmann wohl von Anfang an nur bis zum zweiten Juliwochenende 2006 gedacht und dafür ein passendes Modell gefunden hat, will Löw die deutsche Nationalmannschaft dauer­haft wieder in der Spitze etablieren.« Da, wo sie ihrem eigenen Selbstverständnis nach hingehört, heißt das, und demzufolge braucht es einen ruhigen, seriösen Arbeiter und nicht einen rastlosen Hexenmeister, denn: »Klinsmanns Motivationszauber hat nicht alle Mitglieder der Nationalmannschaft erreicht; manche sehnten sich nach mehr Substanz und sahen diese vor allem durch Löw verkörpert.«

Ähnlich äußerte sich auch Oliver Kahn, der von Klinsmann zur Nummer zwei degradierte frühere Nationaltorwart, in einem Interview mit der Münchner Abendzeitung: »Bei einer WM im eigenen Land ist es nicht besonders schwierig, eine Mannschaft zu motivieren«, relativierte der Torwart die »Klinsmania«. Die bisweilen grobschlächtigen Ansprachen des Chef­übungsleiters an die Mannschaft seien kurzzeitig vielleicht ein Er­folgsmittel; prinzipiell müsse ein Trainer jedoch »eher durch eine klare Linie, ein klares System, klare Analysen, gute Menschenführung und durch Fußballsachverstand auffallen«.

Keine Träne für »Klinsi« also – das findet auch die Süddeutsche Zeitung, die sich außerdem verraten und verkauft vorkommt: »Nun ist klar, warum Jürgen Klinsmann sein Amt als Bundestrainer aufgab: Er wird wohl die amerikanische Nationalmannschaft trainieren – und mit jenen Vollmachten ausgestattet werden, die er in Deutschland nie hatte.« Dass er sich »ausgebrannt« gefühlt habe und es sein »großer Wunsch« gewesen sei, zu seiner Familie und »in die Normalität zurückzukehren«, nimmt ihm das Münch­ner Blatt schon lange nicht mehr ab: »Klinsmann wusste bereits im Juli, dass der Posten von Bruce Arena erst 2007 frei werden würde. Es wäre taktisch unklug gewesen, schon damals zu verkünden, dass ihn die Stelle reizen wür­de. Also sagte er kryptisch: ›Ich will ein halbes Jahr pausieren.‹ Ein Blick auf den Kalender genügte, um Klinsmanns Pläne zu durchschauen.« Schließlich werde er nun »zu einem mächtigen Mann im amerikanischen Fußball, viel mächtiger, als er es in Deutschland jemals war«, weshalb der mögliche Job in Übersee »ein weiterer Ausbau eines Imperiums« sei – »mit Klins­mann als Herrscher«, einer Art George W. Bush des Fußballs also.

Kein Wunder, dass es dem Mann, folgt man dieser Sicht der Dinge, nur um sein eigenes Ego ging und nicht um Deutschland, wie es sich gehört hätte. Er­leichterung herrscht daher bei all jenen Medien und Fachleuten, die nach Klinsmanns Berufung zum Bundestrainer eine »Amerikanisierung des deutschen Fußballs« befürchteten und die nun froh sind, dass diese ihr Ende fand, noch bevor sie richtig begann. Den »schwarz-rot-geilen« Sommer und Platz drei nahmen sie natürlich trotzdem gerne mit. Man ist schließlich nicht undankbar.

Und die Fans? Sie haben die Demission Klinsmanns zur Kenntnis genommen, sich wieder an die karge Bundesligakost gewöhnt und Vertrauen in »Jogi« gefasst. In den einschlägigen Internetforen wird über die Nachricht, dass Klinsmann die US-Nationalmanschaft übernehmen könnte, nicht über­mäßig intensiv diskutiert. Diejenigen, die sich doch zu Wort melden, schwanken zwischen pflichtschul­digem Dank und routiniertem Verständnis einerseits und dem Vorwurf, Klinsmann sei ein kalt kalkulierender Egoist, andererseits.

Im Forum von Spiegel Online etwa streiten sich die Teilnehmer vor allem darüber, ob es richtig von Klinsmann gewesen sei, nicht zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes zu erscheinen, während die Leser der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zei­tung die Gründe dafür erörtern, dass ihr sommer­licher Partymacher für seinen nächsten Job möglicherweise nicht mehr so weit reisen muss wie bisher.

»Klinsmann ist ein riesengroßer Machtmensch«, meint da beispielsweise einer, der seine Enttäuschung nicht verbergen mag. »Ja, er hat uns einen tollen Sommer beschert, es hat uns allen gefallen. Deshalb muss aber den­noch gesagt werden: Klinsmann ist ein Egomane allererster Güte.« Ein anderer pflichtet ihm bei und vermutet zudem monetäre Grün­de: »Klinsmann geht es nur um die Taler.« Und ein Dritter glaubt sogar: »Klinsmann ist falsch, verlogen und feige.« Denn: »Der deutsche Fuß­ball war totgesagt, und somit war die Ausgangslage für ihn ausgezeichnet. Er hatte die Möglichkeit, etwas zu ändern. Nach der öffentlichen Abfeierung zog er es aber vor zu flüchten, statt seinen heldenhaften Ruf zu gefährden. Er hat sich die Rosine Heim-WM herausgepickt und lässt die von ihm angefangenen Reformen unvollendet zurück.«

Für einen regelrechten Verräter des Proletariats wiederum hält ihn ein Vierter: »JKs Abgang (›bin ausgebrannt‹) war doch eine Unverschämtheit für jeden, der täglich arbeitet und der nicht alles hinschmeißt, auch wenn’s mal schwerer wird.«

Mag sich auch Franz Beckenbauer im ZDF für seine »überzogene Reaktion« entschuldigt und Abbitte geleistet haben, nachdem er sich vor der Weltmeisterschaft wegen Klinsmann »wahnsinnig geärgert« und »geschämt« hatte, in den Medien und der Fangemeinde herrscht eher eine Mischung vor aus Empörung und demonstrativer Gleichgültigkeit gegenüber einer möglichen Berufung Klinsmanns zum US-Trainer. Die meisten Stellungnahmen erinnern an die Reaktionen verlassener Liebhaber, die sich getäuscht fühlen, aber trotzdem immer schon gewusst haben wollen, mit was für einem berechnenden Menschen sie es zu tun hatten. Die Liebe, sie währte eben nur einen Sommer.