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Ein islamkritischer Text hat in Frankreich eine neue Religionsdebatte ausgelöst. von bernhard schmid
Die Religion der anderen ist die der Barbaren, unsere eigene die der Liebe und der Zivilisation. Genau wie in früheren Jahren gegen den Kommunismus muss sie heute verteidigt werden. So meint der eine. »Schlagt dem Schwein, das unsere Religion beschmutzt hat, den Kopf ab«, fordern die anderen wörtlich. Eine solche Irrsinnsdebatte findet zurzeit in Frankreich ihr teils ratloses, teils entsetztes, manchmal voyeuristisches, in selteneren Fällen Partei ergreifendes Publikum.
Tote und Verletzte hat es bisher zum Glück nicht gegeben. Es hätte aber leicht ein Opfer geben können: Der Philosophielehrer Robert Redeker, der an einer Oberschule in einem Vorort von Toulouse unterrichtet, muss sich seit dem 21. September versteckt halten. Zuvor hatte er nicht nur Briefe und E-Mails mit handfesten Drohungen – man werde ihm den Kopf abtrennen – erhalten, auch wurden Zugangspläne zu seinem Haus in der Post gleich mitgeliefert.
Redeker nahm die Todesdrohungen ernst, ebenso der französische Auslandsgeheimdienst DST. Ihm zufolge wurden die Angaben und der Mordaufruf durch jihadistische Internetseiten »von Gruppen aus dem Umfeld von al-Qaida« verbreitet. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um die in Algerien aktive Untergrundgruppe GSPC (Salafistische Gruppe für die Predigt und den Kampf) – die letzte verbliebene bewaffnete Islamistengruppe dort, nachdem die anderen vor zwei Jahren zerschlagen worden sind. Sie dürfte über Zellen in Frankreich verfügen, die der Staat aber seit der Attentatserie von 1995 ganz gut im Griff hat. Seit 2000 wurden mehrfach andere Anschlagspläne frühzeitig aufgedeckt.
Am 19. September erschien ein Gastbeitrag Redekers in der konservativen Tageszeitung Le Figaro unter der Überschrift »Was muss die freie Welt angesichts der islamistischen Drohungen tun?« Den Begriff der »freien Welt« benutzt Redeker so, wie es seiner ursprünglichen Verwendung im Kalten Krieg entspricht: »Wie in der Zeit des Kalten Kriegs sind Gewalt und Einschüchterung die Mittel, die eine Ideologie mit Hegemonieanspruch benutzt – der Islam –, um der Welt ihren bleiernen Mantel aufzudrücken.« Und habe man einst suggeriert, »die Stimme der Armen komme aus Moskau, so soll die Stimme der Armen jetzt aus Mekka kommen«. Dies bringe »das westliche Gewissen, das den Anderen Aufmerksamkeit schenkt, durcheinander«.
Um seine These zu untermauern, macht Redeker einen Vergleich zwischen Religionen im Hauruck-Verfahren. »Unbarmherziger Kriegsherr, Plünderer, Judenmassakrierer und Polygamist, so offenbart sich Mohammed durch den Koran.« Die katholische Kirche müsse sich Vorwürfe wegen ihrer Vergangenheit gefallen lassen, aber: »Jesus ist gewaltlos. Die Rückkehr zu Jesus ist eine Anrufungsmöglichkeit gegen die Exzesse der kirchlichen Inquisition« – was sicherlich ungeheuer viele Opfer der Inquisition gerettet hat –, »während die Rückkehr zu Mohammed, im Gegenteil, den Hass und die Gewalt verstärkt. Jesus ist ein Meister der Liebe, Mohammed ein Meister des Hasses.« Sowohl das Christen- als auch das Judentum seien »Religionen, deren Riten die Gewalt einhegen«, weil nämlich Abraham seinen Sohn in der Bibel am Ende doch nicht als Menschenopfer darbringt und weil das Opfer im christlichen Kultus durch die Hostie ersetzt werde.
Anders »das Buch, durch das jeder Moslem erzogen wird«, wodurch mal eben eine Milliarde Menschen zur Gefahr erklärt werden. Zwar bezieht sich auch der Islam auf Urvater Abraham als seinem ersten Propheten, aber das scheint Redeker egal zu sein. Auch sonst handelt es sich bei Redekers Vergleichen um ahistorischen Unfug: Theologisch ähnelt der Gott des Koran stark jenem der Thora, also der Bücher Mose: einem Gott, der den Menschen als fordernder, manchmal zorniger Übervater gegenübertritt und nicht an ein Programm wie die vorgebliche »Erlösung der Menschheit« gebunden ist. Eindeutige Verhaltensvorschriften mit handfesten Strafdrohungen finden sich in beiden Quellen. Etwa für außerehelichen Sex oder in den Büchern Mose auch für den Umgang mit dem, der »den Namen Gottes lästert« und dafür gesteinigt werden muss.
Der Tonfall im Neuen Testament ist ein anderer, aber nur deshalb, weil die Thora und der Koran als Regierungsprogramm verfasst wurden, wobei beide das Faustrecht oder persönliche Abhängigkeitsverhältnisse in einer Gesellschaft Krieg führender Stämme durch allgemeine und abstrakte Regeln ersetzten. Das bedeutete für den damaligen historischen Stand einen Fortschritt. Hingegen wurde das Neue Testament als Oppositionsprogramm einer damals noch kleinen Sekte unter der Besatzung durch das Römische Reich formuliert, die also kein Gewaltmonopol für sich beanspruchen konnte. Zwar fordert Jesus in einer Passage des Lukas-Evangeliums von seinen Jüngern auch mal, dass man ihm seine Gegner bringe und töte. Ansonsten droht die Bibel aber nicht direkt mit Prügeln, sondern mit ewiger Verdammnis – der Gläubige soll die Zwänge verinnerlichen.
Die interessantere Frage aber ist, warum manche Menschen glauben, diese Regeln im 21. Jahrhundert buchstabentreu anwenden zu müssen. Französische Intellektuelle haben bereits mehrere Petitionen zu der Affäre in Umlauf gebracht. Eine erste trägt die Überschrift »Dies ist nicht die Stunde der Feigheit«. Zu den prominentesten Unterzeichnern zählen Bernard-Henri Lévy, Alain Finkielkraut, Pascal Bruckner, der Cinéast Romain Goupil und Alexandre Adler. Es handelt sich vorwiegend um ehemals linke und jetzt »antitotalitäre« Intellektuelle, die früher eine Bekämpfung des »kommunistischen Totalitarismus« befürworteten und heute jene des »islamischen Totalitarismus« fordern. Häufig sind sie auch Anhänger einer offensiveren Außenpolitik der westlichen Großmächte. Bruckner brachte soeben ein Buch über die »Tyrannei der Reue« heraus, in dem er anklagt, dass der Westen zu viel bereuen wolle, vom Kolonialismus bis zum Algerien-Krieg. Sie fordern »die Religionen« und insbesondere »die Moslems« auf, Redeker zu schützen, und verlangen vom französischen Staat, er solle eine Kündigung des Lehrers verhindern und dessen Gehalt zahlen.
Ein anderer Aufruf wurde von den Initiatoren des »Manifeste des libertés« um Tewfik Allal lanciert. Dabei handelt es sich vorwiegend um Menschen mit Migrations- und muslimischem Familienhintergrund, die vor zwei Jahren mit einem Aufruf »gegen Judenhass, gegen Homophobie, gegen Frauenunterdrückung« einiges Aufsehen erregten. In ihrem Aufruf, der wiederum überwiegend von Erstunterzeichnern migrantischer Herkunft veröffentlicht wurde, heißt es: »Wir verurteilen mit aller Entschiedenheit die Todesdrohungen gegen Robert Redeker, obwohl wir nicht einverstanden sind mit dem, was er geschrieben hat, mit der banalen Mediokrität seiner Äußerungen, mit seinen verbalen Übertreibungen, denen die gewalttätigen Islamisten spiegelbildlich antworten.«