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Der Bundeswehrsoldat und mutmaßliche Rechtsterrorist Franco A. war anscheinend in ein größeres Netzwerk eingebunden und intellektuell steht er der »Neuen Rechten« nahe.
Bis vor wenigen Wochen sah es aus wie eine Mustergeschichte der europäischen Versöhnung. Ein Bundeswehroffizier, dessen Eltern aus Deutschland und Italien stammen, macht seinen Studienabschluss an der französischen Militärakademie Saint-Cyr und dient seitdem beim deutsch-französischen Bataillon im elsässischen Örtchen Illkirchen. Unter Freunden gilt er als weltoffen und beliebt.
Selbst nach rechtsextremen Maßstäben ist die Masterarbeit von Franco A. außergewöhnlich paranoid.
Die Geschichte hat nur einen Haken: Seit dem 26. April sitzt dieser Offizier als mutmaßlicher Rechtsterrorist in Untersuchungshaft. An diesem Tag zogen Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) den Oberleutnant während einer Einzelkämpferausbildung aus einem Erdloch. Ende Januar soll Franco A. den »Ball der Offiziere« in Wien besucht haben. Vor dem Rückflug versteckte er eine Pistole auf der Flughafentoilette. Beim Versuch, die Waffe am 3. Februar aus dem Versteck zu holen, schnappte ihn die österreichische Polizei. Da er als unbescholten galt, ließ sie ihn laufen. Nun begannen jedoch die deutschen Kollegen zu ermitteln. Die Überprüfung der Fingerabdrücke sorgte für eine große Überraschung: Der Soldat hatte sich in Deutschland als Flüchtling registrieren lassen. Im bayerischen Zirndorf wurde A. unter dem Namen »David Benjamin« als syrischer Flüchtling anerkannt und seit Januar 2016 soll er, zusätzlich zu seinem Offizierssold, sogar Unterstützung bezogen haben.
»Offenbar wollte A. seinen Flüchtlingsstatus für einen Anschlag auf eine Antifa-Gruppe nutzen, um die Tat dann einem Asylbewerber unterschieben zu können«, schreibt Der Spiegel mit Verweis auf Notizen des Soldaten. In den Aufzeichnungen ist von weiteren Anschlagsplänen die Rede. Auch eine Aktion zur Befreiung der 88jährigen Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zog A. in Betracht.
Vermutlich war er mit diesen Ideen nicht allein. Eine Liste mit potentiellen Anschlagszielen von Joachim Gauck über den Zentralrat der Juden bis hin zu Claudia Roth soll sein Kamerad Maximilian T. zusammengestellt haben. Wie Spiegel Online meldete, wurde T. am Dienstagmorgen festgenommen. Nach A. und dem Studenten Matthias F. ist es bereits die dritte Festnahme im Zuge der Ermittlungen. Auch eine Whatsapp-Gruppe, in der A. mit anderen Soldaten eindeutige Botschaften austauschte, lässt auf ein rassistisches Netzwerk um den Offizier schließen. Etwa 1 000 Schuss Gewehr- und Pistolenmunition soll er bei einem mutmaßlichen Komplizen in Offenbach deponiert haben. Nach Recherchen der Bundeswehr stammt der Großteil davon aus den Beständen der Truppe. Offenbar hatte A. bei Schießübungen, die er in Illkirchen leitete, regelmäßig kleinere Mengen Munition abgezweigt. In dem Offenbacher Depot sollen sich auch andere Bundeswehrmaterialien wie Leucht- und Nebelmunition und Teile von Handgranaten befunden haben.
Eigentlich hätte die Gesinnung von Franco A. bereits 2014 auffallen müssen. Damals legte er an der Akademie in Saint-Cyr eine Masterarbeit mit dem Titel »Politischer Wandel und Subversionsstrategie« vor, die an seiner völkisch-rechtsextremen Gesinnung keine Zweifel lässt. Die französischen Prüfer hatten die Arbeit damals abgelehnt. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt nun gegen drei Bundeswehrangehörige ermitteln, denen nicht nur die Masterarbeit, sondern auch ein wissenschaftliches Gutachten vorlag, das die Arbeit klar als rassistisch und rechtsextrem einordnete. Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass A. ohne jegliche Sanktionen eine zweite Chance bekam. Nach Dienstvorschrift wäre eine Meldung an den Militärischen Abschirmdienst (MAD) zwingend nötig gewesen, ist man im Ministerium überzeugt. So bekamen die »Extremismusexperten« der Bundeswehr die erste Masterarbeit nie zu Gesicht. Mit einer zweiten Arbeit erhielt A. seinen Abschluss und durfte weiter Karriere im Heer machen.
Spätestens ab hier zerfällt die unglaubliche Geschichte in mehrere mediale Debatten. CDU-Generalsekretär Peter Tauber, selbst Reserveoffizier, twitterte einen Tag nach dem Bekanntwerden des Falls: »Wegen eines durchgeknallten Oberleutnants pauschal allen Soldaten Rechtsradikalismus unterstellen. Die politische Linke ist erbärmlich.« Die am häufigsten als pauschalisierend abgelehnte Kritik kam dann jedoch von seiner Parteifreundin, der Verteidigungsministerin. Die Bundeswehr habe »ein Haltungsproblem« und »offensichtlich eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen«, urteilte von der Leyen im Interview mit dem ZDF. Seitdem steht die Ministerin selbst im Mittelpunkt der Debatte und bemüht sich um Schadensbegrenzung. Ende vergangener Woche ließ sie eigens 100 Führungskräfte der Bundeswehr ins Ministerium kommen, um sich persönlich zu entschuldigen.
Während eine Debatte sich nun um die Ministerin dreht, kritisieren andere den Umgang der Bundeswehr mit der deutschen Vergangenheit. Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, fordert, den »Wehrmachtsverherrlichungssaustall in der Bundeswehr« aufzuräumen. »Die Wehrmacht ist bis heute eine Traditionssäule der Bundeswehr. Es nützt nichts, dies gebetsmühlenhaft zu dementieren. Wenn sich die Bundeswehr tatsächlich von der Wehrmacht distanzieren will, dann sollte sie beispielsweise endlich ihre Kasernennamen entnazifizieren.« Tatsächlich tragen zahlreiche Bundeswehrkasernen die Namen von Offizieren der Wehrmacht.
Rechtsaußen nutzt man den Fall derweil, um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu kritisieren. Der AfD-Politiker Martin Hohmann, der wegen einer Antisemitismusaffäre 2004 aus der CDU ausgeschlossen worden war, dankte dem Soldaten. Franco A. habe den Skandal aufgedeckt, dass jeder Migrant viel zu einfach Geld bekomme, so Hohmann auf einer AfD-Veranstaltung in Büdingen. Das berichtete der Zeit-Autor Christian Fuchs via Twitter. Dass der Soldat mutmaßlicher Rechtsterrorist ist, habe Hohmann hingegen mit keinem Wort erwähnt, so Fuchs. Aber auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte in der Welt, Flüchtlinge genauer unter die Lupe zu nehmen – und nicht etwa rechtsextreme Netzwerke in der Bundeswehr.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Ideologie des Soldaten findet hingegen nicht statt. Während Sonderermittler nun im Auftrag von der Leyens die Kasernen nach Wehrmachtsdevotionalien untersuchen, spielt das »Dritte Reich« in der ersten Masterarbeit des Soldaten keine große Rolle. Anhand einiger Denkfiguren der Neuen Rechten entwickelte Franco A. in dem Text, der der Jungle World vorliegt, eine ganz eigene Verschwörungstheorie. Im Kern geht es um eine ominöse Kraft namens »Subversion«, die von Auswanderershows des Fernsehsenders Vox bis zur Charta der Vereinten Nationen für alles verantwortlich sein soll, in dem A. eine Bedrohung der Nation sieht. Die Macht der »Subversion« bringe die westlichen Staaten dazu, sich selbst aufzulösen. Hierfür wählt A. den Begriff »Autogenozid« – also ein »Völkerselbstmord«. Auch wenn die Quelle nicht genannt wird, stammt diese Idee eindeutig von Günter Maschke. Früher Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), wandte sich Maschke in den siebziger Jahren von der Linken ab und wurde einer der Ideologen der Neuen Rechten in Deutschland. Sein Essay »Die Verschwörung der Flakhelfer« aus dem Jahr 1985, in dem er den Begriff »Autogenozid« prägte, wurde zuletzt häufiger im Milieu der »Identitären« diskutiert.
Die wichtigste Quelle, die Franco A. angibt, ist der umstrittene Massenpsychologe Gustave Le Bon (1841–1931). Von diesem ist der Weg nicht weit zu Alain de Benoist, dem Vater der Neuen Rechten. Dessen Großmutter, die Publizistin Yvonne de Benoist, war die Sekretärin Le Bons, und in den Texten des Enkels taucht der ansonsten etwas in Vergessenheit geratene Denker regelmäßig auf. Auch den Begriff der »Subversion« gibt es bei de Benoist öfter. Vermutlich hat A. diesen jedoch analog zur antisemitischen Verschwörungstheoretikerin Nesta Webster entwickelt, die er sogar brav im Quellenverzeichnis seiner Masterarbeit angibt. Auch sonst ist die Arbeit reich an antisemitischen Denkfiguren. So deutet er an, der FDP-Politiker Jürgen Möllemann sei von Geheimdiensten ermordet worden, weil er eine »gegen die Subversion gerichtete Bewegung« organisiert habe. Als möglichen Anführer der Subversion nennt A. den jüdischen Investor George Soros. Die »Zerstörung Europas« glaubt A. sogar bereits beim Propheten Jesaja herauslesen zu können.
Selbst nach rechtsextremen Maßstäben ist die Masterarbeit außergewöhnlich paranoid. Sie hat strukturelle Ähnlichkeiten mit dem »Manifest« des norwegischen Massenmörders Anders Breivik. Beide sehen eine große Verschwörung gegen Europa im Gange, mit der vermeintliche gesellschaftliche Eliten von Medien bis Ministern durch Zuwanderung Europa vernichten wollen, und beide beschreiben sich selbst als privilegierte Durchblicker, die mit missionarischem Eifer versuchen, die vermeintlich fehlgeleiteten Massen zu retten. Diese gar nicht so neue Art extremer Rechter ist weder klassischer Glatzennazi noch abgehängter Wendeverlierer – und dennoch brandgefährlich. Ob man das bei der Bundeswehr mittlerweile durchschaut, ist fraglich.