Ausgekochte Stilllegung

In Frankreich setzen sich Lohnabhängige teilweise erfolgreich gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen zur Wehr. Die Regierung würde das Streikrecht gerne einschränken.
von bernhard schmid, paris

Normalerweise geht es in der Gegend um das Café Ruc ziemlich gesetzt zu. Direkt gegenüber liegt der Palais du Louvre, die schicke Avenue de l’Opéra ist nur ein paar Schritte entfernt. Das Café Ruc ist ein so genannter Nobelschuppen, der den Brüdern Costes gehört, ebenso wie etwa 30 weitere angesagte Etablissements der französischen Hauptstadt.

Ansonst verkehren hier Leute aus »besseren Kreisen«. Ab Mitte Oktober herrschte jedoch ein anderes Klima: Fahnen der postkommunistischen Gewerkschaft CGT wurden auf den Terrassen des Café Ruc gehisst, und aus einem Megaphon mit Lautsprecheranlage tönten Slogans auf die Straße. Von den 13 Angestellten arbeiteten nur noch die »Teamchefs«, die von der Direktion ernannt worden waren – ein Problem für die Geschäftsleitung. Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné berichtete, ein Wachmann habe gegenüber einem Streikenden geäußert: »Dich werde ich in Stücke schneiden und in die Gosse werfen.« Dann blieb die Kundschaft weg. Seit dem 2. November ist das Café Ruc geschlossen, angeblich »wegen Umbauarbeiten«, wie ein Schild an der Tür behauptet.

Die Konflikte in den Häusern der Brüder Costes verschärften sich, nachdem Anfang vergangenen Jahres in einem ihrer nobelsten Restaurants der srilankische Koch M. Soma auf betrügerische Weise zur Kündigung veranlasst worden war. Der Betreiber des Restaurants hatte dem Koch, der gerade zum Vertrauensmann der CGT ernannt worden war, ein Kündigungsschreiben zur Unterschrift vorgelegt, doch er hatte den Migranten, der des Lesens und Schreibens auf Französisch unkundig ist, glauben gemacht, es handele sich um die Unterlagen für seine Kandidatur zum Betriebsrat.

Im Juli 2004 hat das Pariser Berufungsgericht die sofortige Wiedereinstellung des Betroffenen angeordnet. Deswegen haben die Lohnabhängigen der Restaurantkette neuen Mut geschöpft. Im Café Ruc kämpfen die inzwischen ausgesperrten Mitarbeiter gegen unerträgliche Arbeitsbedingungen. Die zumeist aus Westafrika oder Sri Lanka stammenden Küchenangestellten arbeiten unter der Aufsicht von Überwachungskameras neun Stunden in Folge ohne die gesetzlich vorgeschriebene Viertelstunde Pause, ohne die Möglichkeit, etwas zu essen. Auch katastrophale hygienische Verhältnisse werden angeprangert. Aus ähnlichen Gründen hatten Ende Oktober die Köche eines anderen In-Restaurants, des Chicago Pizza Pie, überraschend die Kunden in die Küche gebeten, damit sie sich selbst ein Bild von den hygienischen Verhältnissen machen konnten.

Die Brüder Costes sind nicht irgendwer. Thierry Costes, dem das Café Ruc gehört, war jahrelang Präsident des Pariser Handelsgerichts. Dessen Laienrichter werden von den Geschäftsleuten gewählt, sie müssen also ein Mindestmaß an Vertrauen unter ihresgleichen genießen.

Im Hotel- und Gaststättengewerbe als traditionellem Niedriglohnsektor ist es in den letzten drei bis vier Jahren vermehrt zu spektakulären Arbeitskämpfen gekommen, vor allem auch im Fastfood-Bereich. Ein McDonald’s-Restaurant im 10. Pariser Bezirk war bis März ein Jahr lang wegen Streiks geschlossen geblieben. Fünf Betriebsratskandidaten waren entlassen worden. Der Pächter hatte versucht, ihnen einen fingierten Diebstahl in die Schuhe zu schieben. Der Ausstand endete mit ihrer Wiedereinstellung, der Belegschaft wurden etwa 40 Prozent der Streiktage bezahlt, und sie erhielt eine sechsprozentige Lohnerhöhung.

Am 24. November wollen die streikenden Köche des Café Ruc zusammen mit Beschäftigten der französisch-belgischen Fastfoodkette Quick und streikenden Zimmerfrauen der Hotelgruppe Accor ein gemeinsames Solidaritätskomitee gründen, das die Bediensteten des gesamten Dienstleistungs- und Niedriglohnsektors ansprechen soll.

Einer anderen sozialen Gruppe, die häufig zu den Trägern sozialen Protests gehört und zugleich über einen Hebel verfügt, den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen »Alltagsbetrieb« erheblich zu beeinträchtigen, nimmt sich die Regierung derzeit besonders an. Es geht um die Transportbeschäftigten bei der Bahngesellschaft SNCF und den Pariser kommunalen Verkehrsbetrieben. Bereits im Wahlkampfjahr 2002 hatte der alte und neue bürgerliche Präsident Jaques Chirac seiner Basis versprochen, das Streikrecht der Transportangestellten einzuschränken und notfalls per Gesetz die Einführung eines service minimum zu erzwingen – also eines Mindestbetriebs, der durch Dienstverpflichtungen erzwungen werden kann. Die Debatte darüber ist nach den Streiks im Frühjahr 2003 erneut hochgekocht worden. Ursprünglich hatte Chirac dem Transportminister Gilles de Robien bis zum Ende des Jahres Zeit für die Erarbeitung eines Konzepts gegeben.

Ende Oktober beschlossen dann die Direktion und sieben der neun Gewerkschaften der Eisenbahner – nur die populistische Force Ouvrière (FO) und die linke Basisgewerkschaft Sud verweigerten sich – für die SNCF ein neues Kollektivabkommen zum Streikrecht. Es sieht vor, künftig vor der Ausrufung jedes Streiks, der nach geltendem Recht im öffentlichen Dienst fünf Tage vor Beginn angemeldet werden muss, eine zehntägige obligatorische Verhandlungsperiode einzuhalten. Erst danach soll ein Streik beginnen können, wobei Bahndirektion und Gewerkschaften sich jedoch in den 24 Stunden davor »zum Zweck der Kundeninformation« auf einen verbindlichen »Dienstplan« verständigen sollen. Einen ähnlichen »Vorwarnmechanismus mittels sozialer Konzertierung« gibt es seit 1996 bereits bei den Pariser Bus- und Metrobetrieben, wo seitdem die Zahl der Streiks um zwei Drittel gesunken ist.

Die Mehrheitsgewerkschaft CGT hat bei den Eisenbahnern – anders als bei den Busfahrern – das Abkommen mitunterzeichnet. Zwar hat die Bahndirektion keine Gegenleistungen für die jetzt vereinbarte »Vorwarnfrist« erbracht, wie die FO-Gewerkschaft bemängelt. Allerdings hofft die CGT, die Vereinbarung werde helfen, künftig Schlimmeres zu vermeiden. Denn tatsächlich enthält sie keine Bestimmungen zu Dienstverpflichtungen und obligatorischem service minimum. Ferner ist an das Abkommen ein gemeinsamer Brief der Unterzeichnerparteien angeheftet, in dem diese sich für die Zukunft gegen eine gesetzliche Beschränkung des Streikrechts aussprechen. Für den Fall, dass die Regierung solche Pläne wahr macht, drohen die meisten Gewerkschaften zudem mit einer Kündigung der jetzigen Vereinbarung und einem neuen Konflikt.

Dennoch zeigten sich der Premier Jean-Pierre Raffarin und sein Transportminister sehr zufrieden mit dem neuen Abkommen, das möglichst rasch Nachahmung in anderen öffentlichen Betrieben finden soll. De Robien bezeichnete es als ersten Schritt, dem aber noch weitere Vereinbarungen bei der Frage zur Mindestbelegschaft im Streikfalle folgen sollten. Erst dann könne man von einem Gesetz zum Streikrecht absehen. Raffarin erklärte dagegen die Verabschiedung eines solchen Gesetzes weiterhin für »wahrscheinlich«. Er steht auch unter Druck von Seiten des wirtschaftsliberalen Flügels der Regierungspartei UMP, der sich in dieser Frage ausnahmsweise sehr für die Idee staatlicher Regulierung begeistert.